Chefredaktor Blick Romandie Michel Jeanneret
Liebe Deutschschweizer, die Erfahrung in der Minderheit zu sein, wird euch guttun

Nach der Wahl der Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider sind die Deutschsprachigen im Bundesrat in der Minderheit. Kein Grund, euch aufzuregen, schreibt Michel Jeanneret, Chefredaktor von Blick Romandie.
Publiziert: 10.12.2022 um 00:22 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2022 um 11:13 Uhr
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Michel Jeanneret

Liebe Deutschschweizerinnen und Deutschschweizer, seit über einem Jahrzehnt arbeite ich mit euch – und ich muss gestehen: Ich liebe euch. Manchmal sogar mehr als meine welschen Brüder und Schwestern. Ich liebe euch für eure Strenge, dagegen sind wir ein Team von Chaoten. Für eure Anspruchshaltung, wir sind zu oft genügsam und sagen: «Das ist schon in Ordnung.» Und auch für euren Wein und eure Gastronomie, die besser sind als unsere (dafür werde ich in der Romandie Schelte bekommen).

Allen Deutschschweizern, die bei der Verkündung der Wahl von Elisabeth Baume-Schneider zur Salzsäule erstarrt sind, rate ich deshalb als Freund: tief durchatmen, das wird schon gutgehen!

Ich habe sogar eine gute Nachricht: Die Erfahrung, zu einer Minderheit zu gehören, wird euch guttun und euch weiterbringen. Sie wird euch zu besseren Schweizern und Schweizerinnen machen!

Die Wahl der Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider (Zweite von rechts) in den Bundesrat, der nun eine lateinische Mehrheit hat, wird den Charakter der Deutschsprachigen formen, meint Michel Jeanneret.
Foto: Keystone
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Ich spreche aus Erfahrung: Wir Welschen sind seit fast zwei Jahrhunderten in der Minderheit. In der Minderheit zu sein, formt den Charakter. Aus dieser (sicherlich kurzen) Zeit wird die Deutschschweiz gestärkt hervorgehen.

Wir Welschen müssen zum Beispiel oft mit Abstimmungsergebnissen leben, die nicht so ausfallen, wie wir sie uns gewünscht hätten. Aber das ist Demokratie und so nehmen wir es einigermassen gelassen hin.

Vielleicht sind wir Welschen für euch Deutschschweizer künftig etwas sichtbarer. Das Wochenende war ein Anfang: All die deutschsprachigen Journalisten, die in Basel unterwegs waren, um die künftige Bundesrätin Eva Herzog zu empfangen, und die dann Hals über Kopf nach Delémont und Les Breuleux JU weiterreisen mussten, entdeckten dort eine soziale und wirtschaftliche Realität, die ihnen völlig fremd war. Ganz anders jedenfalls als in den wohlhabenden ländlichen Regionen der Deutschschweiz. Sie sehen dort, wofür die wohlhabenden Deutschschweizer Kantone in den Finanzausgleich einzahlen.

Wir Romands sind jetzt für einmal die Mehrheit – und können uns präsentieren.

Und ihr Deutschschweizer werdet vielleicht merken, dass wir nicht nur nonchalant und charmant sind. Angefangen bei der Frau, die Les Breuleux gerade in den Bundesrat gebracht hat.

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