Zoologisch – Zoodirektor Severin Dressen erklärt
Training für den Ernstfall

Wie Haustiere müssen auch die Bewohner im Zoo Zürich regelmässig zum Tierarzt. Das ist wichtig, damit die Tiere bei einem Notfall bereits an die Behandlungen gewöhnt sind, schreibt Zoodirektor Severin Dressen.
Publiziert: 29.01.2023 um 09:55 Uhr
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Severin DressenDirektor des Zoo Zürich

Wann immer man spazieren geht, trifft man sie: Menschen mit Hund. Über eine halbe Million Hunde leben in der Schweiz. Viele von ihnen haben das Glück, im Wald von der Leine gelassen zu werden. Wenn aber ein Dackel oder Dobermann auf mich zustürmt, geht mir die gleiche Frage durch den Kopf: Wie gut ist dieser Hund wohl trainiert? In den meisten Fällen lautet die Antwort: sehr gut. Und so drehen sich «Luna» oder «Rocky» auf Zuruf wieder um und laufen brav zu Herrchen oder Frauchen zurück.

Einen Hund erfolgreich zu trainieren, ist zwar nicht einfach, aber gut möglich. Hilfreich ist seine Biologie: Hunde sind, wie auch ihre Vorfahren, die Wölfe, soziale Tiere, die es gewohnt sind, in Gruppen zu leben, wo es einen Chef oder eine Chefin gibt. Denken also Rocky und Luna, dass der Mensch das ranghöchste Tier ist, nehmen sie relativ einfach Befehle von ihm an. Ein gut trainierter Hund kann daher nicht nur frei herumlaufen, sondern auch im ÖV diszipliniert mitfahren. Er weiss, wo (und wo nicht) er sein Geschäft erledigen darf, und macht auch gewisse Behandlungen bei der Tierärztin klaglos mit.

Der letzte Punkt ist auch im Zoo wichtig. Unsere Tiere müssen regelmässig zum Tierarzt: Impfungen, Klauenpflege, Zahncheck, Blutuntersuchung, Ultraschall, Medikamentengabe – die Liste ist lang. Wenn wir jedes Mal ein Tier in Vollnarkose legen müssten, nur um die Zähne zu checken, wäre das für den Körper des Tieres eine grosse Belastung. Das weiss jeder, der schon mal eine Vollnarkose durchmachen musste. Daher ist für uns das Training von grosser Bedeutung. So trainieren unsere Tierpflegerinnen und Tierpfleger mit vielen unserer Tiere unterschiedliche Szenarien, um sie regelmässig medizinisch untersuchen zu können. Da wir zu den meisten Tieren nicht in die Anlage gehen, sind wir auf die Kooperation der Tiere angewiesen. Das funktioniert – welch Überraschung – am besten über Futter. Die Tiere lernen, dass ein bestimmtes Kommando mit einer Belohnung verknüpft ist.

Das Giraffen-Weibchen Irma hat sich einen Stein in ihren Huf eingetreten, der entfernt werden musste. Weil sich die Wunde entzündet hat, reinigen die Tierpflegerinnen diese täglich.
Foto: zVg
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Dass das sogenannte «medizinische Training» funktioniert, zeigt ein aktuelles Beispiel. Unser Giraffen-Weibchen Irma hat sich einen Stein in ihren Huf eingetreten, der entfernt werden musste. Weil sich die Wunde entzündet hat, reinigen die Tierpflegerinnen diese täglich. Hätten die Tierpfleger nicht schon im Vorfeld mit Irma trainiert, wäre diese Behandlung nicht so unkompliziert möglich gewesen.

Neben medizinischen Untersuchungen sind es auch Transporte, die trainiert werden. Tiere lernen im Vorfeld freiwillig, in ihre Transportbox zu gehen. Dies gelingt, weil darin leckeres Futter wartet. Kommt der Tag des Transports, ist es für das Tier zur Routine geworden, sich in die Box zu begeben, und stellt keinen Stress dar. Da unsere Tiere sich in grossen Lebensräumen aufhalten und mit unterschiedlichen Arten vergesellschaftet sind, spielt noch eine dritte Art von Training eine Rolle – das «Recall Training». Dies erlaubt es uns, unsere Tiere auch auf grossen Anlagen wie der Lewa-Savanne oder im Masoala-Regenwald zu managen. Jede Art, manchmal jedes Individuum, hat sein eigenes akustisches Signal. Dies kann von einer Pfeife, einer Rassel oder auch einer Veloklingel stammen. Hören die Tiere «ihren» Ton, wissen sie, dass sie schleunigst in den Hintergrund zurückkommen sollen. Fast so wie «Rocky» und «Luna».

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