Heute tritt May ab – Briten werden sie noch vermissen
Sie regierte 1059 Tage für nichts

Für ihr Land hat sich Theresa May zerrieben. Nun tritt sie ab. Die Briten werden sie noch vermissen.
Publiziert: 06.06.2019 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
Down mit der Downing Street: Theresa May nimmt den Hut.
Foto: imago/PA Images
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Fabienne Kinzelmann

Sie hat gekämpft und trotzdem verloren. Drei Wochen nach dem Brexit-Referendum 2016 wurde Theresa May (62) von der Innen- zur Premierministerin. Sie war die Einzige, die sich der Sisyphus-Aufgabe stellte: Den Ausstieg der Briten aus der Europäischen Union zu bewerkstelligen, ohne das Land und seine fragile Wirtschaft an die Wand zu fahren.

Andere Kandidaten hatten entweder nicht genügend Unterstützung - oder scheuten die Verantwortung. So wie Brexit-Verfechter Boris Johnson (54), der pikanterweise nun ihr Nachfolger werden könnte.

1059 Tage gab Theresa May alles. Genug war es nicht. Heute tritt sie zurück. Ab dann ist sie nur noch kommissarisch im Amt. «Es war die Ehre meines Lebens. Ich hatte die Gelegenheit, dem Land zu dienen, das ich liebe», sagte sie bei ihrer Rücktrittsankündigung - weinend.

Mays drei grosse Fehler

Dienen aus Pflichtgefühl, wie es ihr als Pfarrerstochter in die Wiege gelegt wurde. May bewies nicht nur Fleiss und Ausdauer, sondern auch Würde. Dreimal wurde ihr Brexit-Entwurf abgelehnt, zwei Misstrauensanträge überstand sie. Trotzdem gab sie nicht auf.

Dennoch: Drei grosse Fehler hat sie in ihrer dreijährigen Amtszeit gemacht. Sie setzte Neuwahlen an und verlor so ihre ohnehin schon knappe Mehrheit im Parlament. Sie sprach von «roten Linien», noch bevor die Gespräche mit Brüssel überhaupt Fahrt aufgenommen hatten, und nahm so beiden Seiten Verhandlungsspielraum. Und zuletzt setzte sie sich vehement für den nordirischen Backstop ein, der im Brexit-Chaos zum Zankapfel wurde. 

Das kam bei ihren Landsleuten nicht an. Aber auch Brüssel kam ihr nicht entgegen. Die EU wollte unbedingt ein Exempel statuieren - aus Angst, dass andere Länder es den Briten sonst gleichtun könnten. 

Unermüdlich flog May dennoch zwischen London und Brüssel hin und her, verhandelte nach bestem Wissen und Gewissen. Stellte sich den Fragen im britischen Unterhaus, obwohl die Anfeindungen immer persönlicher wurden.

Muss Boris Johnson den Brexit liefern?

Die britische Politik ist gespalten. Seit Monaten hat keine einzige Brexit-Option eine Mehrheit im Parlament: Die Abgeordneten wollen weder Mays Brexit-Deal noch einen harten Brexit, Mischlösungen wie die Zollunion oder gar eine zweite Volksabstimmung.

Weil das Brexit-Chaos alles beherrscht, gibt es gleichzeitig einen politischen Reformstau. Die Regierung ist durch die Unsicherheit praktisch lahmgelegt, die Haushaltsplanung stets nur vorläufig. 

Das neue Datum für den EU-Ausstieg ist der 31. Oktober. Voraussichtlich erst Ende Juli ist die am Montag beginnende Führungswahl der Tories abgeschlossen. Dann bleiben der Regierung noch drei Monate bis zum Brexit.

Liefern muss ihn vermutlich Boris Johnson. Der Mann mit dem blonden Haarmop, der als Aussenminister lieber hinschmiss, während die Premierministerin sich abmühte, für ihr Land den bestmöglichen Brexit-Deal auszuhandeln.

Das steht im Brexit-Entwurf

Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:

Übergangsphase

Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.

EU-Bürger

Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.

Finanzverpflichtungen

Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen. 

Nordirland

Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.

Künftige Beziehungen

Ziel ist laut Dokument bei Waren die «Schaffung eines Freihandelsgebiets» ohne Zölle, Abgaben, Gebühren oder mengenmässige Beschränkungen.

Die Verhandlungsführer von EU und britischer Regierung haben sich am 13. November 2018 auf einen Entwurf für ein Brexit-Abkommen geeinigt. Die wichtigsten Punkte:

Übergangsphase

Bis zum 31. Dezember 2020 (verlängerbar) bleibt Grossbritannien vorerst im EU-Binnenmarkt und der Zollunion, um einen harten Schnitt für die Wirtschaft zu verhindern.

EU-Bürger

Die rund drei Millionen EU-Bürger in Grossbritannien und die eine Million Briten in anderen EU-Ländern haben das Recht zu bleiben, zu arbeiten oder zu studieren sowie Ansprüche bei Krankenversicherung, Renten und sonstigen Sozialleistungen.

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Grossbritannien soll auch über das Austrittsdatum hinaus alle bereits eingegangenen Finanzverpflichtungen erfüllen. 

Nordirland

Durch den Brexit drohte eine «harte Grenze» zwischen Irland und Nordirland mit wiedereingeführten Personen- und Güterkontrollen, die beide Seiten unbedingt vermeiden wollen. Dies soll nun durch drei Optionen garantiert werden.

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Die komplette Brexit-Chronologie

Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

BLICK zeigt die wichtigsten Stationen des chaotischen Prozesses seit dem Austrittsvotum der Briten auf.


Am 23. Juni 2016 stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU. Seit diesem Zeitpunkt fand zwischen der EU und Grossbritannien aber auch innerhalb des Vereinigten Königreichs ein langwieriger politischer Prozess der Kompromissfindung statt. Mehrere Abgeordnete und sogar Premierminister traten aufgrund der Vertragsverhandlungen zurück. Am 31. Januar 2020 trat Grossbritannien schliesslich aus der EU aus.

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