Kein Vertrag mit den Farc
Darum wollen Kolumbianer keinen Frieden

Eine Mehrheit der Kolumbianer stimmt überraschend gegen den Friedenspakt mit den Farc. Sie sähe die Rebellen gerne härter bestraft.
Publiziert: 03.10.2016 um 12:02 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 12:10 Uhr
Gregory Remez

Tränen flossen am Ende auf beiden Seiten. Sowohl die Sieger als auch die Verlierer mochten dem Ergebnis nicht so recht glauben. Allen Prognosen zum Trotz hatten gestern 6,4 Millionen Kolumbianer auf die Frage: «Unterstützen Sie das endgültige Abkommen zur Beendigung des Konflikts und den Aufbau eines stabilen und dauerhaften Friedens»? mit «No» geantwortet – eine hauchdünne Mehrheit von 50,21 Prozent.

«No» zum Friedensvertrag: Der Schock sitzt bei den Verlierern des Referendums tief.
Foto: AP

Der als historisch besungene Friedensvertrag zwischen Regierung und den den «Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia» (Farc) ist damit bereits Geschichte.

Zu viele Zugeständnisse

Es war allen voran eine herbe Niederlage für Präsident Juan Manuel Santos (65) – wohl die grösste seiner politischen Karriere. Santos, der bereits als Anwärter für den Friedensnobelpreis gehandelt wurde, hatte im Vorfeld der Abstimmung wiederholt betont, dass es keine Alternative zum Abkommen gebe und dieses nicht neu verhandelt werden könne.

Er vermochte mit seiner Argumentation keine Mehrheit zu mobilisieren. Für viele Kolumbianer fiel das in über vier Jahren ausgehandelte Abkommen zu mild aus. Sie stören sich vor allem am Regime der Sonderjustiz, das den Guerilleros weitgehende Amnestie eingeräumt hätte. Selbst schwerste Verbrechen wären mit Strafen von maximal acht Jahren geahndet worden. Und diese Strafen sollten nicht im Gefängnis, sondern durch gemeinnützige Arbeit vollzogen werden.

Steht nach verlorener Abstimmung im Regen: Kolumbiens Präsident Juan Manuel Santos (65).
Foto: imago/Xinhua

Des Weiteren hätte die zur politischen Partei konvertierte Farc in einer Übergangsphase sichere Sitze im Parlament erhalten. Bei der Parlamentswahl 2018 hätten ihre Kandidaten fünf Plätze im Senat und fünf im Abgeordnetenhaus garantiert gehabt – auch ohne eine einzige Wählerstimme.

Zu viel des Guten für die Guerilleros, kritisierten viele Kolumbianer. Der 52 Jahre andauernde Krieg gegen die Farc hat in der Gesellschaft tiefe Narben hinterlassen. Über 260'000 Menschen wurden bei den Kämpfen getötet, sieben Millionen Menschen vertrieben. Unzählige Frauen wurden vergewaltigt. Kinder wurden entführt, indoktriniert und mit Kalaschnikows in den bewaffneten Kampf geschickt.

«Wir sind in Angst, Wut und Kriegsgetöse aufgewachsen»

Zu lange und zu brutal war der Krieg, als dass man den Farc ihre Gräueltaten einfach so vergeben könnte. Eine grosse Mehrheit der Kolumbianer sähe die Anführer der Guerilla, die sie als Terroristen bezeichnen, am liebsten hinter Gitter.

«Wir leiden als Gesellschaft unter posttraumatischem Stress, weil wir inmitten von Angst, Wut und Kriegsgetöse aufwuchsen», sagte der bekannte kolumbianische Autor Gabriel Vasquez gestern – und sprach damit vielen seiner Landsleute aus der Seele.

Sollen für ihre Gräueltaten bezahlen: Kämpfer der Farc.
Foto: AFP

Überraschend war gestern aber nicht nur der Ausgang der Abstimmung, sondern auch wie das Resultat zustande gekommen war. Gerade einmal 37 Prozent der Wahlberechtigten waren an die Urne gegangen. Auch wenn Kolumbianer als eher abstimmungsfaul gelten, so verblüfft es doch, dass zwei Dritteln der Menschen offenbar egal ist, ob sich ihr Land nach Jahren des Bürgerkrieges endlich dem Frieden öffnet oder nicht.

Hält die Waffenruhe trotzdem?

Nach dem für alle überraschenden Ergebnis steht die Zukunft Kolumbiens einmal mehr in den Sternen. Niemand kann genau sagen, wie es nun weitergeht. Vieles hängt von den Entscheiden der Regierung und der Farc in den kommenden Tagen ab. Klar ist, dass die Farc ihre Waffen vorerst nicht hergeben und sich nicht in den vorgesehenen Zonen zusammenziehen werden, wie dies vorgesehen war.

Fraglich ist überdies, welches Fundament der ausgehandelte beidseitige Waffenstillstand jetzt noch hat – auch wenn beide Seiten heute beteuerten, daran festhalten zu wollen.

Die wichtigsten Punkte des Friedensvertrags für Kolumbien

Mit einem Friedensvertrag legen die kolumbianische Regierung und die linke Guerillaorganisation Farc den seit über 50 Jahren andauernden Konflikt in dem südamerikanischen Land bei. Die wichtigsten Punkte des Abkommens:

LANDREFORM: Die extreme Konzentrierung des Landbesitzes war einer der Auslöser des Konflikts. Nun soll Grund und Boden gerechter verteilt werden. Ein Fonds soll in den kommenden zehn Jahren drei Millionen Hektar Land verteilen. Ausserdem sieht der Plan unter anderem den Bau von Häusern, Schulungen für Bauern und den Aufbau von Vertriebsstrukturen für landwirtschaftliche Produkte vor.

POLITISCHE TEILHABE: Die Ex-Guerilleros sollen künftig politisch für ihre Ziele eintreten. Für die kommenden zwei Wahlperioden bekommen sie mindestens fünf Sitze im Senat und in der Abgeordnetenkammer garantiert. Danach müssen sie ihre Mandate im normalen Wahlprozess gewinnen. Der Staat garantiert die freie politische Beteiligung der ehemaligen Rebellen.

ENDGÜLTIGER WAFFENSTILLSTAND: Die Farc stellen alle militärischen Operationen ein und geben den bewaffneten Kampf auf. Die Kämpfer sollen sich in 28 Zonen im ganzen Land sammeln und ihre Waffen den Vereinten Nationen übergeben. Die ehemaligen Farc-Mitglieder erhalten für zwei Jahre eine monatliche Basisrente und eine Einmalzahlung von zwei Millionen Pesos (610 Euro). Die staatlichen Sicherheitskräfte beschützen die ehemaligen Rebellen.

NEUE DROGENPOLITIK: Künftig sollen statt Repression Prävention, Schutz der Menschenrechte und Hilfe für die Bauern statt im Zentrum der Drogenpolitik stehen. Schritt für Schritt sollen die Koka- und Marihuana-Plantagen durch Anbauflächen für legale landwirtschaftliche Produkte ersetzt werden. Die Bauern werden bei der Umstellung unterstützt, Drogenanbauflächen werden aufgeforstet.

SONDERJUSTIZ UND ENTSCHÄDIGUNG DER OPFER: Ein Sondertribunal soll die während des Konflikts verübten Verbrechen aufklären. Geständige Täter müssen für maximal acht Jahre in Haft. Die Suche nach Verschleppten wird intensiviert. Die Opfer des Konflikts werden entschädigt. (bau/SDA)

Mit einem Friedensvertrag legen die kolumbianische Regierung und die linke Guerillaorganisation Farc den seit über 50 Jahren andauernden Konflikt in dem südamerikanischen Land bei. Die wichtigsten Punkte des Abkommens:

LANDREFORM: Die extreme Konzentrierung des Landbesitzes war einer der Auslöser des Konflikts. Nun soll Grund und Boden gerechter verteilt werden. Ein Fonds soll in den kommenden zehn Jahren drei Millionen Hektar Land verteilen. Ausserdem sieht der Plan unter anderem den Bau von Häusern, Schulungen für Bauern und den Aufbau von Vertriebsstrukturen für landwirtschaftliche Produkte vor.

POLITISCHE TEILHABE: Die Ex-Guerilleros sollen künftig politisch für ihre Ziele eintreten. Für die kommenden zwei Wahlperioden bekommen sie mindestens fünf Sitze im Senat und in der Abgeordnetenkammer garantiert. Danach müssen sie ihre Mandate im normalen Wahlprozess gewinnen. Der Staat garantiert die freie politische Beteiligung der ehemaligen Rebellen.

ENDGÜLTIGER WAFFENSTILLSTAND: Die Farc stellen alle militärischen Operationen ein und geben den bewaffneten Kampf auf. Die Kämpfer sollen sich in 28 Zonen im ganzen Land sammeln und ihre Waffen den Vereinten Nationen übergeben. Die ehemaligen Farc-Mitglieder erhalten für zwei Jahre eine monatliche Basisrente und eine Einmalzahlung von zwei Millionen Pesos (610 Euro). Die staatlichen Sicherheitskräfte beschützen die ehemaligen Rebellen.

NEUE DROGENPOLITIK: Künftig sollen statt Repression Prävention, Schutz der Menschenrechte und Hilfe für die Bauern statt im Zentrum der Drogenpolitik stehen. Schritt für Schritt sollen die Koka- und Marihuana-Plantagen durch Anbauflächen für legale landwirtschaftliche Produkte ersetzt werden. Die Bauern werden bei der Umstellung unterstützt, Drogenanbauflächen werden aufgeforstet.

SONDERJUSTIZ UND ENTSCHÄDIGUNG DER OPFER: Ein Sondertribunal soll die während des Konflikts verübten Verbrechen aufklären. Geständige Täter müssen für maximal acht Jahre in Haft. Die Suche nach Verschleppten wird intensiviert. Die Opfer des Konflikts werden entschädigt. (bau/SDA)

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