So kam der Skandalarzt aus der Ferne an die Akten ran
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Unternehmensberaterin erklärt:So kam der Skandalarzt aus der Ferne an die Akten ran

Deutscher Skandal-Arzt hatte Zugriff auf Computer von Appenzeller Praxis
«Er verrechnete aus der Ferne Geister-Leistungen»

Nach Rafz ZH konnte jetzt in Speicher AR das zweite Arztzentrum aus dem zerfallenden Imperium des deutschen Skandalarztes Thomas Haehner gerettet werden. Nur: Dort könnte es zu Unregelmässigkeiten gekommen sein, wie Recherchen zeigen.
Publiziert: 01.07.2023 um 01:01 Uhr
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Aktualisiert: 02.07.2023 um 18:01 Uhr

Das Praxen-Sterben rund um den deutschen Skandalarzt Thomas Haehner (49) geht weiter. Neu sind auch die vier Praxen im Kanton Luzern, die zum Imperium des Doktors gehörten, definitiv geschlossen. Immerhin: In Speicher AR gibt es für die Patienten einen Lichtblick. Seit dieser Woche ist die Appenzeller Haehner-Praxis gerettet. Der von Haehner bereits seit zwei Jahren angestellte Kardiologe Daniel Stern (35) kaufte die Praxis. Gleichzeitig werden neue, pikante Details über den Skandalarzt bekannt.

Gelungen ist die Rettung unter anderem, weil Fabienne Patriarca (39), eine Unternehmensberaterin spezialisiert für Aufbau und Übernahmen von Arztpraxen, den Käufer begleitet hat. «Bis auf die letzte Sekunde war nicht sicher, ob es gelingt», sagt sie und freut sich: «Jetzt können wir garantieren, dass wir am Montag ohne Unterbruch das Zentrum weiterführen.» Gleichzeitig erhebt sie schwere Vorwürfe gegen den Vorbesitzer: «Es sind Altlasten aufgetaucht. Thomas Haehner hat von Deutschland aus auf die Computer der Arztpraxen Zugriff – und hat Daten verändert.»

Fernzugriff auf alle Computer

«Wie Videoaufnahmen vom letzten Sommer zeigen, hat er aus der Ferne Leistungen verrechnet, die gar nicht erbracht worden», sagt Patriarca. Die Unternehmensberaterin war selber nicht vor Ort, als eine Praxisassistentin die Manipulation aufgezeichnet hatte. «Ich empfahl der leitenden MPA, die Leistungen wieder zu löschen und Thomas Haehner zu konfrontieren. Er verpflichtete sich darauf schriftlich, das nicht mehr zu machen. Und er entschuldigte sich.»

Sie haben die Praxis von Speicher AR gerettet: Kardiologe Daniel Stern (35), Hausarzt Armin Rohner (71), Unternehmensberaterin Fabienne Patriarca (39). Sie heisst jetzt neu Medizinisches Zentrum Mittelland MZM.
Foto: Nathalie Taiana
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Ob er das auch mit seinen anderen 17 Schweizer Praxen gemacht hatte, und was für Summen eingesetzt wurden, weiss Patriarca nicht. «Es geht alleine in der Praxis in Speicher etwa um 10 Prozent des Gesamtvolumens. Das muss jetzt an die Öffentlichkeit», sagt Fabienne Patriarca. Bis jetzt wagten die Angestellten nicht, ihren Chef anzuzeigen. Aber jetzt, wo die Unterschrift für die Übernahme steht, und von Haehner nichts mehr zu befürchten ist, spricht die Unternehmensberaterin im Blick über ihren üblen Verdacht.

30'000 Euro im Couvert

Die Rettung des Arztzentrums in Speicher war ähnlich abenteuerlich, wie die Übernahme im zürcherischen Rafz (Blick berichtete): «Er wollte zuerst 180'000 Franken», sagt der neue Besitzer Daniel Stern. «Am Schluss stimmte er 30'000 Euro zu. Dann verlangte er, dass wir das Geld im Couvert zu einer Raststätte im Raum München bringen. Aber ich bestand auf einer Überweisung.»

Falls Haehner nicht unterschrieben hätte, gab es einen Plan B: «Das Altersheim ‹Boden› gleich in der Nachbarschaft stellte uns Räume zur Verfügung, damit wir bis zur möglichen Liquidierung der Praxis Unterschlupf finden. Die Dorfbevölkerung war sehr interessiert, dass wir die Praxis retteten. Wir hätten am Mittwoch um 12 Uhr die Praxis räumen müssen, hätte Haehner nicht unterschrieben.»

Fehlende Löhne

Auch, dass das medizinische Personal ohne Unterbrechung weitergearbeitet hat, zeugt von enormer Loyalität gegenüber den Patienten. «Wir haben seit einem Jahr die Löhne verzögert erhalten, seit April kommt gar nichts mehr», sagt Arzt Daniel Stern. «Nur dank Fabienne Patriarca und ihrer Beratungsfirma habe ich jetzt überhaupt die Mittel, um den Betrieb weiterführen zu können», verrät er.

Die Finanzierung generell, also für die Lieferung von Medikamenten, neuen Möbeln und Diagnose-Maschinen, wäre mit dem Image des maroden Vorgängers schlicht unmöglich gewesen. «Das konnten wir mit unseren Connections auffangen», sagt Praxen-Beraterin Fabienne Patriarca. Thomas Haehner war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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