Die legendäre Zürcher Milieu-Beiz «Sonne» macht dicht
Wo Richter, Huren und Gangster sich gute Nacht sagten

Die Sonne ist die bekannteste Kontaktbar von Zürich, doch nun musste sie Konkurs anmelden. Ehemalige Stammgäste erzählen über Sitten und Bräuche des sozialen Biotops.
Publiziert: 14.07.2015 um 16:15 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 07:48 Uhr
Frust im Zürcher Rotlichtmilieu: «Frauen wieder auf der Gasse!»
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:Frust im Zürcher Rotlichtmilieu: «Frauen wieder auf der Gasse!»
Von Michael Sahli

In der Sonne im Zürcher Kreis 4 ist es dunkel. Zürichs verruchteste und traditionsreichste Kontaktbar musste Konkurs anmelden. Seit 1992 wird die Sonne in der heutigen Form geführt. Das erste bekannte Foto eines Betriebes mit dem Namen Sonne an der Hohlstrasse 32 stammt aus dem Jahr 1897.

Heute treffen sich im Biergarten auf der anderen Strassenseite ehemalige Stammgäste. Einer von ihnen ist der pensionierte Zürcher Richter Ferdi Hürlimann (66). «Ich war 40 Jahre Stammgast in der Sonne», sagt er. «Nicht nur wegen der Frauen – auch wegen der anderen Gäste und dem Essen.» Die Sonne sei so eine Art soziales Biotop gewesen.

Zum Beweis stellt der Richter seinen Trinkkumpan vor: Turi, ein ehemaliger Tresorknacker. «Früher sind die Schlösser schon aufgegangen, wenn ich sie nur angesehen habe», sagt er. «In der Sonne trafen sich Richter und Räuber, hatten zusammen Spass», schwärmen die beiden Männer von den alten Zeiten. «Man ging in die Sonne, um zu reden, etwas zu essen. Wenn es mit einer Frau klick gemacht hat – super. Wenn nicht, auch o. k.», sagt Hürlimann. Es habe eine völlig andere Stimmung als in den üblichen Sexclubs geherrscht: «Die Frauen waren nicht so aggressiv, haben auch ein Nein hingenommen.»

Und was sagten die Ehefrauen zu den Ausschweifungen ihrer Männer? «Meine Frau hat das immer akzeptiert, das ist doch meine Freiheit», meint der heute geschiedene Ferdi Hürlimann.

Die Geschichte der Sonne hat aber auch dunkle Kapitel: 1992 endete ein Streit, der in der Sonne begann, tödlich. Ein Mann erstach vor dem Lokal zwei Jugoslawen. 2005 tötete sich der damalige Betreiber Hans-Peter Brunner im ersten Stock. Sein Nachfolger Albert Mosberger wurde kurz darauf in der Nähe des Lokals erstochen.

Milieu-Anwalt Valentin Landmann (56) sitzt ebenfalls im Biergarten – am Tisch von  Richter Hürlimann und Einbrecher Turi. Er schaut sich die Frauen auf der Strasse an: «Das sind alles ehemalige Sonnen-Damen. Die wissen nicht, wo sie jetzt hingehen sollen.» Die Sonne sei für die hauptsächlich ausländischen Dirnen ein geschützter Rahmen gewesen: «Wenn sich ein Mann nicht benahm, flog er raus», sagt der Anwalt.

Jetzt stehen die Prostituierten auf der Strasse herum. Doch Strassenprostitution ist im Kreis 4 verboten. Die Polizei fährt alle paar Minuten Streife – auch um zu kontrollieren, ob das Verbot eingehalten wird. Dann ver­stecken sich die ehemaligen Sonnen-Dirnen in den umliegenden Hauseingängen. Sobald die Beamten weg sind, bieten sie wieder auf der Strasse ihre Dienste an.

Ilona stammt aus Estland, schaffte in der Sonne an. Jetzt steht sie vor dem verschlossenen Eingang und hofft auf Kundschaft. «Ich bin eigentlich keine Strassen-Nutte», sagt sie. «Aber wo soll ich jetzt hingehen?» Sie müsse in Estland ihren Sohn ernähren. «Hier draussen verdiene ich 70 bis 80 Prozent weniger als vorher in der Sonne. Und ich bin jetzt völlig ungeschützt.» Heimreisen nach Estland kann sie erst in drei Wochen – weil sich ihr Ticket nicht umbuchen lässt. «Aber ich bin eine Kämpferin. Ich gebe nicht auf.»

In dem Moment, in dem Hürlimann, Turi und Landmann ihre Gläser leeren, belästigt vor der Sonne ein Betrunkener eine Dirne. Die Männer stehen auf: «Hey, lass sie in Ruhe», rufen sie über die Strasse. Der Betrunkene lässt von der Frau ab. «Genau solche Dinge wären den Damen in der Sonne nie passiert. Hoffentlich gibt es jetzt nicht wieder so ein In-Lokal», sagt Landmann.

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