«Wegen all den Polizisten sahen wir keine Sau»
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Luzerner auf Jagd mit Nawalny:«Wegen all den Polizisten sahen wir keine Sau»

Entlebucher Volksmusiker Franz Stadelmann (78) traf im Schwarzwald auf Gift-Opfer Alexei Nawalny (44)
Ein Ständchen für den Putin-Erzfeind

Franz Stadelmann (78) aus Escholzmatt LU besuchte Freunde im Schwarzwald. Unverhofft lernte er dort Kreml-Kritiker Alexej Nawalny (44) kennen. Die beiden Männer freundeten sich an und gingen sogar zusammen auf die Jagd.
Publiziert: 07.11.2020 um 16:30 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2022 um 09:09 Uhr
Anian Heierli

Sie gingen zusammen auf die Jagd, sangen Schweizer Volkslieder und schossen Selfies. Franz Stadelmann (78) aus Escholzmatt LU traf Mitte Oktober überraschend den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny (44) im Schwarzwald. Stadelmann war damals gerade in Deutschland bei Freunden zu Besuch für die Wildschweinjagd. Was er anfangs nicht wusste: Im selben Haus wie er schlief auch Nawalny, der sich gerade vom Nervengift-Anschlag erholte.

Der russische Oppositionelle war am 20. August während eines Inlandflugs zusammengebrochen und fiel ins Koma. Deutsche Ärzte diagnostizierten eine Vergiftung mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe. Nawalny selbst glaubt, dass der russische Präsident Wladimir Putin (67) hinter dem Anschlag steht. Dies sagte er öffentlich, nachdem er Anfang August aus dem Koma erwacht war (BLICK berichtete).

Dafür stimmt die Chemie zwischen Nawalny und Volksmusiker Stadelmann. BLICK erzählt der passionierte Jäger zu Hause in Escholzmatt am Stubentisch mit leuchtenden Augen von der Begegnung. «Ein Freund lud mich nach Deutschland zur Jagd ein und stellte mir in seinem Haus ein Zimmer zur Verfügung. Er verriet mir nicht, dass Nawalny einen Stock über mir schlief.» Stadelmann überlegt und meint: «Sonst wäre ich wohl gar nicht gegangen.»

Der Entlebucher Franz Stadelmann (78) zusammen mit Kreml-Kritiker Alexej Nawalny (44).
Foto: zVg.
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Nawalny wollte unbedingt ein Wildschwein jagen

Rückblickend ist er aber froh darüber: «Nawalny ist ein anständiger und zugänglicher Mensch. Ich kannte ihn und seine Geschichte aus den Medien und war schon überrascht, als er plötzlich vor mir stand.» Der Russe habe sich sehr für die Jagd interessiert. «Also haben wir ihn mitgenommen. Glück hatten wir keines. Wir haben keine einzige Sau gesehen. Aber das war ja logisch bei all den Polizisten, die zu Nawalnys Schutz im Wald rumliefen. Die haben die Tiere verscheucht.»

So stand die ganze Region, in der sich der Kreml-Kritiker aufhielt, unter Polizeischutz. In den Strassen und rund ums Ferienhaus patrouillierten die Beamten. «So etwas habe ich noch nie gesehen», so Stadelmann. «Das waren sicher hundert Sicherheitskräfte.» Er erklärt: «Selbst als wir mit Nawalny in den Wald gingen, liefen Polizisten vor und hinter uns.» Er muss schmunzeln: «Einer der Männer hatte es besonders schwer. Er trug die ganze Zeit meine Handorgel.»

«Er sang Schweizer Volkslieder und tanzte»

Ohne die geht der bekannte Schweizer Volksmusiker nirgends hin. Immerhin hat sie ihm schon den Goldenen Violinschlüssel und den Prix Walo beschert. Und weil kein Wild kam, spielte er Nawalny hin und wieder etwas vor. «Der hatte eine riesige Freude», sagt Stadelmann. «Er hat sogar versucht mitzusingen und zu tanzen. Am Ende schaukelten wir zusammen.»

Stadelmann war überrascht, was für ein Interesse der Russe an allem hatte: «Er interessierte sich sehr für die Schweizer Folklore. Ich habe ihm versucht zu erklären, was eine Chilbi ist.» Ganz leicht sei das allerdings wegen der Sprachbarriere nicht gewesen. Auch über die Jagd wollte der berühmte Gast aus Russland alles wissen. «Wir haben ihm dann zwei Hochsitze gezeigt. Er ist selber raufgeklettert und hat sich hineingelegt.»

Die drei Tage mit Nawalny wird Stadelmann nie vergessen. «Es ist schon speziell, wenn plötzlich ein Mann vor dir steht, der von ganz Russland gesucht wird. Das Eindrücklichste war, wie einfach und bescheiden er ist. Wie er mit Freude mitmacht und alles selber ausprobiert.»

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