Fibo Deutsch (78) über den SonntagsBlick
Wie der Sonntag einen Blick bekam

Unser Autor brachte den SonntagsBlick mit auf die Welt und erzählt hier von der turbulenten Startphase. Mit dabei war auch der spätere Gründer des deutschen «Playboy».
Publiziert: 23.03.2019 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 24.03.2019 um 13:02 Uhr
Geburtstagtorte zur Erstausgabe des SonntagsBlicks vom 23. März 1969.
Foto: Blick
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Fibo Deutsch
Fibo DeutschJournalist

Der Anfang des SonntagsBlick lag in München-Schwabing. Mitten in der Amüsiermeile, da, wo die «Bild»-Zeitung ihre Redaktion hatte. Hier begann auch meine Geschichte mit dem SonntagsBlick. Sechs Jahre bevor die Zeitung in der Nacht auf den 23. März 1969 in der Druckerei an der Staffelstrasse im Zürcher Giesshübelquartier das Licht der Welt erblicken sollte. 1962 hatten mich die Chefs des erst drei Jahre jungen BLICK für ein paar Wochen in die bayerische Weltstadt geschickt. Beim grossen Bruder sollte ich schnuppern und das Geheimnis des Boulevards mit nach Hause bringen, dieser Mischung aus Glamour, Spass, Sex, Nervenkitzel, News.

In der Redaktion an der Schellingstrasse fragten mich die Kollegen gleich: «Junge, wo wohnst du denn?» Gelächter, als ich das Hotel über der Bar «Fendilator» an der Fendstrasse nannte. «Jo, hast net gmerkt, dass dös a Bordell is?» Nein, hatte ich nicht. 12 Mark pro Nacht, immer ohne Dame, versteht sich. Es war der erste Kontakt des biederen Schweizer Volontärs mit den Ver­lockungen des Münchner Boulevards. Chefredaktor von «Bild» München war der damals 40-jährige Fred Baumgärtel. Er sollte später beim SonntagsBlick eine wichtige Rolle spielen.

Lieber SonntagsBlick statt 
Abendzeitung

Im Herbst 1968, inzwischen war ich Mitglied der Chefredaktion des BLICK geworden, entschied der Verlag auf Empfehlung von Redaktions-Direktor Martin Speich, eine Sonntagsausgabe des BLICK zu planen, einen SonntagsBlick eben. Das Projekt erhielt den Vorzug gegenüber der Idee einer Abendzeitung unter dem Namen «Express». «Es ist höchste Zeit, die Informationslücke am Sonntag zu schliessen. Fernsehen und Radio machen schliesslich auch keine Sonntagspause», argumentierte Speich überzeugend. Ich bekam den Auftrag, meine Kontakte in München aufzufrischen und ein Konzept nach dem Muster der erfolgreichen «Bild am Sonntag» 
zu entwickeln. Ein Anruf bei Fred Baumgärtel genügte, er hatte inzwischen von «Bild» in eine TV-Produktion gewechselt. «Ich helf dir, ich bin dabei», sagte er. «Komm nach München.»

Deshalb heisst Boulevard Boulevard

Boulevard – das ist ­lockere, flockige, unterhaltsame Information über alle Dinge, die das Leben lebenswert machen. In einer Form, die jeder schnell versteht. Mit Bildern, weil sie mehr sagen als tausend Worte. Und mit Menschen, weil nichts die Menschen mehr interessiert als Menschen. Der Begriff «Boulevard» stammt aus dem Mittelalter. Damals waren viele Städte aus Sicherheitsgründen mit einer Ringmauer, einem «Bollwerk», umgeben. Wuchsen die Städte mit den Jahren über diese Mauer hinaus, wurde das Bollwerk überflüssig, 
es wurde geschleift und machte einer breiten Strasse Platz. Platz für Cafés, Restaurants, ­Läden und Platz zum Flanieren – für die Freude am Leben. Aus Bollwerk wurde Boulevard.

Boulevard – das ist ­lockere, flockige, unterhaltsame Information über alle Dinge, die das Leben lebenswert machen. In einer Form, die jeder schnell versteht. Mit Bildern, weil sie mehr sagen als tausend Worte. Und mit Menschen, weil nichts die Menschen mehr interessiert als Menschen. Der Begriff «Boulevard» stammt aus dem Mittelalter. Damals waren viele Städte aus Sicherheitsgründen mit einer Ringmauer, einem «Bollwerk», umgeben. Wuchsen die Städte mit den Jahren über diese Mauer hinaus, wurde das Bollwerk überflüssig, 
es wurde geschleift und machte einer breiten Strasse Platz. Platz für Cafés, Restaurants, ­Läden und Platz zum Flanieren – für die Freude am Leben. Aus Bollwerk wurde Boulevard.

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Ich packte meine Hermes Baby ein, diese kleine Reiseschreibmaschine, und fuhr los. Fred buchte uns für ein Wochenende eine Suite im Luxushotel Continental an der Max-Joseph-Strasse, beliebt damals für Staatsempfänge und bei hohen Gästen. Die schillernde Umgebung sollte uns beflügeln. Das Hotel gibt es heute nicht mehr, der Luxus machte Pleite. Ich tippte in mein Baby, welche Inhalte das neue Blatt unbedingt prägen sollte: Neben den aktuellen Berichten mit News vom Wochenende sollte das Kernstück eine Serie über zwischenmenschliche Beziehungen, über das Knistern zwischen Mann und Frau werden. Die Idee klauten wir aus dem Magazin «Jasmin», in jenen Jahren ein Senkrechtstarter auf dem deutschen Markt. Bei uns hiess es dann in mehreren Folgen: «Schweizerin, das ist Dein Mann!» Den Leserinnen gefiel es, den Lesern auch. Eine grosse Meinungsumfrage hatte uns die Erkenntnisse darüber geliefert, was das Wesen eines Schweizer Mannes angeblich ausmacht.

Die Flut der Leserbriefe zwang uns später zur Nachfolgeserie: «Schweizer, das ist Deine Frau!» Mit viel nützlicher Lebenshilfe und Ratschlägen wollten wir am Sonntag nachhaltigen Lesestoff als Ergänzung zum täglichen BLICK ­bieten. Im Münchner Hotelzimmer dachten wir an die ganze Familie: Mit einem Comic-Strip für die Kinder holten wir Yogi-Bär 
an Bord. Und die bekannte Schriftstellerin Doris Bieri für den Einstieg ins Blatt mit einem Wort zum Sonntag.

Der Anfang war 
ziemlich harzig

Aktuelles, Magazin und Sport – alles in ­einem einzigen Zeitungsbund auf 56 Seiten für 80 Rappen, halb so gross wie der Werktags-BLICK, im sogenannten Tabloid-Format. Als Chef­redaktor durfte ich eine separate kleine Redaktion neben dem «grossen» BLICK zusammenstellen, mit zwei eigenen Layoutern und dem Berater aus München. Die Sportredaktion des BLICK unter der Leitung von Fridolin Luchsinger übernahm auch die Bericht­erstattung am Sonntag.

Es kam der Tag der ersten Nummer. Samstag, 22. März 1969. Der grösste Teil der ersten Ausgabe war produziert, es fehlten die letzten aktuellen Nachrichten für die ­Titelseite. Und sie wollten einfach nicht kommen! Nichts Erwähnenswertes passierte an diesem Wochenende, was eine attraktive schweizerische Schlagzeile geliefert hätte. Wenn da nicht der Fussball ein halbwegs spektakuläres Resultat produziert hätte: «Basel in der letzten Minute gerettet – 2:2!». SonntagsBlick Nr. 1 wurde in einer Auflage von 90 000 Exemplaren ­gedruckt – und war restlos ausverkauft.

Leider bleiben von da an die Rückschläge nicht aus. Die Deutschschweiz war für eine Zeitung am Sonntag mit Hinder­nissen gespickt. Die Auflage ging nach der ersten Neugierde auf 70 000 zurück: 
Es fehlte an Verkaufsstellen. Nur einzelne Bahnhofkioske und ­wenige Tankstellen verkauften den SonntagsBlick. Gesetzliche Beschränkungen behinderten eine Haus­zustellung, Verkaufs­automaten waren für die Schweiz noch nicht erhältlich. Der Preis war mit 80 Rappen zu teuer – der BLICK unter der Woche kostete bloss 30 Rappen. Und dann die Sache mit dem Druck: Das Experiment mit einer Kom­bination von zwei Drucktechniken scheiterte. Um Farbanzeigen drucken zu können, lief der innere Teil der Zeitung auf ­einer Offsetmaschine; im Buchdruckverfahren wurde gleichzeitig der aktuelle Mantelteil beigefügt. Das ­Resultat war eine viel zu hohe Ausschussquote.

Das Unternehmen SonntagsBlick-Tabloid verzeichnete nach den ersten sechs Monaten einen Verlust von über 2 Millionen Franken. Am 10.  August 1969 teilte BLICK-Direktor Martin Speich im SonntagsBlick mit, die nächste Ausgabe erscheine neu als siebte Ausgabe des BLICK, im grossen Format, zum alten Preis. Erst nach der Eröffnung des Ringier-Offset-Zentrums in ­Adligenswil 1977 kehrt der SonntagsBlick zum Tabloid-Format und neuen Erfolgen zurück.

Und was ist aus SonntagsBlick-Geburtshelfer Fred Baumgärtel geworden? Er half in den ersten ­Wochen in Zürich tatkräftig bei der Produktion mit, lieferte viele Ideen und formulierte wunderbare Überschriften. Bis ihn eine eifersüchtige Kollegin bei der Fremdenpolizei verpetzte: Wegen Übertretung der Aufenthaltsbewilligung – was es damals noch brauchte – musste er innert drei Wochen nach Deutschland zurückkehren. Wo er die deutschsprachige Ausgabe des «Playboy»-Magazins gründete und später Chefredaktor und Verlagsleiter im Bauer-Verlag wurde – mit den Illustrierten «Quick» und «Bravo». Boulevard bleibt Boulevard. Fred lebt heute, 91-jährig, natürlich noch in München.

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