Heikles Geschäft des Rüstungskonzerns
Die Ruag und der Pinochet-Mann

Aus der Zeit der chilenischen Diktatur gibt es Mordvorwürfe gegen ihn. Doch bis vor kurzem war er ein gefragter Geschäftspartner des Staatsbetriebs.
Publiziert: 28.04.2024 um 10:57 Uhr
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Aktualisiert: 28.04.2024 um 11:48 Uhr
Augusto Pinochet war von 1973 bis 1990 in Chile an der Macht.
Foto: Keystone
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) stellt der Compliance-Abteilung des Rüstungskonzerns Ruag ein miserables Zeugnis aus. Von «formellen Mängeln» ist die Rede, von «Schwächen im Compliance-System» und von Verstössen bei der Kompetenz- und Unterschriftenregelung.

Die EFK beleuchtete bislang nur die Spitze des Eisbergs, wie Blick aus mehreren Quellen erfahren hat. Aktuell laufen zwei weitere Untersuchungen – und man könnte sagen: Nach dem Prüfbericht ist vor dem Prüfbericht.

Eine zentrale Figur in den Untersuchungen ist der Walliser M. I.*, gegen den ein Strafverfahren läuft. Deutsche Staatsanwälte werfen ihm Korruption vor. M. I. soll auch mit zwielichtigen Figuren Kontakt gehabt haben – unter anderem in Chile.

Pinochet-Mann als Geschäftspartner

Offenbar betrieb die Ruag Geschäfte mit einem Anhänger des chilenischen Diktators Pinochet, der für den Tod mehrerer Menschen verantwortlich sein soll. Das Geschäft war in den letzten Jahren im Zuständigkeitsbereich von I.

Hintergrund der Zusammenarbeit waren Panzerhaubitzen vom Kaliber 155 mm aus US-amerikanischer Produktion, im Fachjargon M109 genannt. Chile kaufte der Ruag insgesamt 24 der Haubitzen ab. Zuvor rüstete die Ruag die gepanzerten Fahrzeuge um – nun trugen sie die Bezeichnung M109 KAWEST –, denn Chile unterhielt mit der Ruag einen Wartungsvertrag. Regelmässig reisten Mitarbeiter des Schweizer Staatsbetriebs in den Anden-Staat, um das Kriegsmaterial auf den neusten Stand zu bringen – und bekamen so auch Kontakt zu Pinochets Mann.

Der Name des Ruag-Geschäftspartners: Sergio Hernán Espinoza Davies (81). Früher gehörte er als General zu den Stützen des Regimes von Diktator Augusto Pinochet (1915–2006). Menschenrechtler werfen Espinoza vor, für den Tod mehrerer Oppositioneller verantwortlich zu sein.

Espinoza liess Anfragen des Blicks unbeantwortet, im juristischen Sinne ist er unschuldig. Doch die Vorwürfe gegen ihn wogen so schwer, dass Chile ihn 1998 als Leiter der Militärbeobachtergruppe der Vereinten Nationen in Indien und Pakistan abziehen musste.

Chef eines Erschiessungskommandos?

Human Rights Watch wirft Pinochets Gefolgsmann vor, als Mitglied geheimer Kriegstribunale politische Gegner verurteilt zu haben. «Im Oktober 1973 verurteilte Espinozas Tribunal sechs sozialistische Führer nach einem irregulären Verfahren zum Tode. Vier der Männer wurden am nächsten Morgen hingerichtet», so die Menschenrechtsorganisation.

Laut einem Bericht der spanischen Zeitung «El País» soll Espinoza das Erschiessungskommando angeführt und zwei Männer selbst erschossen haben. In den Medien bestritten Espinoza und das chilenische Militär die Anschuldigungen. Nachdem er den Posten bei der Uno räumen musste, stieg er zur Nummer vier in Chiles Armee auf.

Kündigung nach Whistleblower-Alarm

Die Geschichte klingt vertraut: Immer wieder machte die Schweiz Geschäfte mit Diktaturen – von Chile bis Südafrika. Besonders schwer in diesem Fall wiegt jedoch, dass die Zusammenarbeit bis März 2024 bestand. Der staatseigene Rüstungskonzern teilt mit: «Ruag hat die Zusammenarbeit auf den 31. März 2024 beendet. Der Ruag wurden im Dezember 2022 über die unabhängige Whistleblower-Stelle negative Medienberichte zur Person gemeldet.»

Daraufhin habe die Ruag die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit einer Überprüfung beauftragt. Das Ergebnis des «Background-Checks» im Dezember 2022 «ergab keine Rechtsstreitigkeiten oder bestätigte Rechtsverletzungen», betont die Ruag. Offenbar aus Reputationsgründen beschloss man, den Vertrag nicht zu verlängern.

SP-Molina fordert Aufklärung von Viola Amherd

SP-Nationalrat Fabian Molina (33) findet das Verhalten des Rüstungsbetriebs inakzeptabel. Molina hat einen besonderen Bezug zu Chile: Sein Vater war Teil der Opposition gegen Pinochet und floh nach 13 Gefängnisaufenthalten in die Schweiz. Der Sozialdemokrat fordert von VBS-Chefin Viola Amherd (61) Aufklärung: «Die Ruag ist völlig ausser Kontrolle geraten, und die politische Verantwortung dafür trägt Viola Amherd. Dass die Ruag mit einem mutmasslichen Mörder geschäftete, muss lückenlos aufgeklärt werden. Damit wird ein bisher unbekanntes Kapitel der unrühmlichen Schweizer Pinochet-Politik geschrieben. Ich werde das Gespräch mit der Bundespräsidentin suchen.»

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