Jung-Dirigent mischt Schweizer Klassik-Szene auf
«Ein Konzert zu dirigieren, ist wie Spitzensport»

Er gehört zu den talentiertesten Nachwuchs-Dirigenten der Schweiz: Jonas Bürgin (23). Mit 18 gründete er sein eigenes Orchester: 
die Jungen Zürcher Harmoniker. Doch Bürgin ist nicht der Einzige. Es gibt weitere aufstrebende 
junge Orchestergruppen in der Schweiz.
Publiziert: 15.09.2019 um 15:15 Uhr
Jonas Bürgin dirigiert seit 2015 sein eigenes Orchester, die Jungen Zürcher Harmoniker.
Foto: Robin Brem
1/13
Valentin Rubin

Mit drei Jahren hält Jonas Bürgin zum ersten Mal einen Dirigierstab in der Hand. Er gehört dem schweizerisch-amerikanischen Star-Dirigenten Francis Travis. «Wir lebten damals in Tokio, und Francis wohnte zwischendurch bei uns. Durch ihn tauchte ich in die Welt des Dirigierens ein. Seitdem war es immer mein Traum», erzählt der heute 23-Jährige im Foyer der Zürcher Hochschule der Künste, wo er Orchesterleitung studiert.

Es gebe Aufnahmen, wie er als Bub mit dem Taktstock herumfuchtle. Er brauchte ihn ständig und dirigierte zu CDs. «Als ich 13 Jahre alt war, ging er eines Tages kaputt. Das war tragisch.» Zu eifrig habe er den Holzstab durch die Luft geschwungen. Noch heute bewahrt er die Bruchstücke zu Hause im aargauischen Möriken auf – und kann mittlerweile über das Malheur lachen.

Als Jugendliche begonnen, jetzt aber Profis

Mittlerweile ist auch aus dem Gefuchtel weit mehr geworden. Das Dirigieren ist heute Bürgins Leidenschaft, doch zunächst lernte er Geige. Als Streicher ist er Mitglied des Zürcher und des Aargauer Jugend­sinfonieorchesters, mit 18 muss er das Geigenspiel wegen Handproblemen aber aufgeben. Er setzt nun alles aufs Dirigieren und gründet ein eigenes Orchester, die Jungen Zürcher Harmoniker. Sie, ein paar Freunde und Bekannte aus dem Gymi und der Hochschule, haben aus Spass an der Musik ein kleines Orchester zusammengestellt. Mit Bürgin als Dirigenten.

Als klassisches Jugendorchester will er die Jungen Zürcher Harmoniker aber nicht bezeichnen. «Wir sind zwar von Jungen ­organisiert, aber vom Niveau her sind wir eigentlich Profis. Unsere Musiker sind brillant», schwärmt Bürgin. Sein Orchester sei mittlerweile eine wichtige Gruppe in der professionellen Musikszene geworden. Die Mitglieder kommen aus der Schweiz, aber auch aus Chile oder Bulgarien. Fast alle haben in Zürich studiert. Zweimal jährlich treten die Musiker in einem aus­gewählten Programm auf.

Jedes Mal soll wieder das erste Mal sein

Wenn es um ihn selbst geht, gibt sich Bürgin bescheiden. «Das Orchester macht die Musik, nicht ich. Ich schaffe nur die Umgebung, ­damit die Musiker ihr Bestes geben können.» Er vergleicht sich mit einem Fussballtrainer. Er stehe zwar in der Mitte des Orchesters. Nicht aber, weil er das wolle, sondern weil das akustisch am besten sei. Bei Konzerten legt er seine Schüchternheit ab und vergisst das Publikum im Rücken schnell. «Ich will nur der Musik dienen, so gut wie möglich!» Musik dürfe nie zur Routine werden. Es müsse jedes Mal wieder das erste Mal sein.

Etwas ist für Bürgin sehr wichtig: Teamgeist. Oft sei es der Dirigent, der sagt, wo es langgehe. Nicht so bei den Jungen Zürcher Harmonikern: Alle Musiker sollen sich einbringen – mit nur 16 Mitgliedern ist das etwas einfacher. Etwa drei Wochen vor dem ersten Konzert finden gemeinsame Proben statt. Dabei werden die Instrumente aufeinander abgestimmt und Ideen besprochen. «Dadurch wird das Spiel ehrlicher, es wird wirklich ihre Musik», sagt Bürgin.

Emotionen wie bei einem Rock-Konzert

Und es sei genau solche Musik, davon ist Bürgin überzeugt, mit der man die Leute für sich gewinne – auch die Jungen. «Mozarts Stücke sind natürlich wunderbar, aber sie wurden für ein Publikum mit grossem Vorwissen geschrieben. Es ist eine Sprache, die man ver­stehen muss. Das fällt heute vielen schwer.»

Die Werke des Kompo­nisten Tschaikowski etwa seien ­zugänglicher: «Jeder Jugendliche, der in einem Konzert sitzen würde, wäre berührt und erschlagen von seinem Werk.» Bei einem klas­sischen Konzert seien Emotionen drin, genauso wie bei einem Rockkonzert. Häufig kämen die Jungen aber nicht mit der echten klassischen Musik in Kontakt. Sondern nur mit dem, was im Radio oder im Fernsehen gespielt wird. Da sehe man die Leidenschaft, die Feinheiten, den Schweiss und das Herzblut nicht.

Flache Hierarchie und viel Freiheit

Bürgin will seinem Orchester ein eigenes Profil geben. «Jedes Ensemble ist anders, und das ist wichtig.» Sein Zugang zu frischen Interpretationen ist vielseitig, auch Mitglieder des Orchesters schätzen das. Hani Song etwa, seit dem Anfang dabei und für die Jungharmoniker die Geigerin der ersten Stunde: «Ich finde es wichtig, dass Jonas allen die Freiheiten gibt, mitzu­reden. In anderen Orchestern gibt der Dirigent oft einfach den Tarif durch.»

Die 21-jährige Zürcherin mit koreanischen Eltern weiss, ­wovon sie spricht. Sie studiert zurzeit in München Musik mit Schwerpunkt Violine und trat bereits in Konzerthallen zwischen Brasilien und Singapur auf. Wie Hani Song investiert auch Bürgin viel in seine Musikkarriere. Jeden Tag üben. Das gehöre dazu. «Du musst einfach gut sein, wenn du da vorne ­stehen willst.»

Sein Bestes zu geben, ist aber anstrengend: «Ein Konzert zu dirigieren, ist wie Spitzensport. Es ist eine Belastung für den ganzen Körper, ich bin nach einem Auftritt zum Teil wirklich durch.» Um fit zu bleiben, geht Bürgin ­joggen oder ins Fitnessstudio.

Das Leben bestimmt die Musik

Will er manchmal abschalten? Nein, denn Musik zu machen, sei ein wahnsinniger Reichtum. Dass es ein hartes Business ist, akzeptiert Bürgin. Letztlich dürfe man nicht vergessen, neben der Musik ein normales Leben zu führen. «Wir wollen mit der Musik Emotionen aus dem Leben ausdrücken», führt er aus. «Und wenn wir das Leben nicht kennen, dann wird das schwierig.» Sein Leben bestimme die Musik, und nicht umgekehrt.

Ein typisches Gebrechen gebe es bei Dirigenten nicht. Vor Handproblemen wie damals bei der Geige muss sich Bürgin nicht fürchten. Dennoch sei es wichtig, das rich­tige Material zu verwenden. Bürgins Dirigierstab ist ein Unikat. Hand­gefertigt. Ein solcher kostet rund 60 Franken. «Nichts Teures, aber etwas Persönliches», sagt der 23-Jährige. Jede Hand, jeder Körper sei schliesslich anders gebaut.

Jedes Orchester hat sein eigenes Profil

Individuell möchte auch jedes Orchester sein. Die einen ver­suchen, ihre Musik mit modernen Elementen zu mischen. Andere bleiben ganz bei der klassischen Musik. «Wir wollen nichts künstlich in die Breite ziehen. Uns geht es nur um die Musik», fasst der ­Orchesterleiter die Richtung der Jungen Zürcher Harmoniker zusammen.

Bürgin ist nicht der Einzige, der sich in den letzten Jahren mit ­jungen Talenten zu einer Gruppe formierte. Es tut sich etwas in der Schweizer Klassik-Szene. Wie die Jungen Zürcher Harmoniker engagieren sich unter anderem im Aargau und in der Zentralschweiz Musiker in kleinen bis mittelgrossen Gruppen (siehe Box unten).

Mit Eigeninitiativen klassische Musik fördern

Das sei besonders in der Musik- und Kunstbranche wichtig, sagt auch Toni J. Krein, Präsident des Verbandes Schweizerischer Berufsorchester: «Musiker, die in ihrer Karriere weit gekommen sind, haben nicht gewartet, bis man auf sie zukommt. Es braucht Eigeninitiativen, um sich zu profilieren. Aber auch, um Dinge auszuprobieren und sich ein Repertoire zu erarbeiten. Die Dichte von talentierten Musikern ist in der Schweiz sehr hoch.»

All die jungen Orchestergruppen stehen in engem Austausch miteinander. «Wir vermitteln uns gegenseitig die richtigen Leute und ­sprechen uns ab, damit es nicht zu Überschneidungen kommt», erklärt Bürgin. Denn sie haben alle dasselbe Ziel: klassische Musik zu fördern, zu pflegen und junge Menschen darin einzubeziehen.

Aktuelles Programm «Barfuss»: 28. September bis 5. Oktober in Zürich, Winterthur und Aarau.

Junge Orchester in der Schweiz

Camerata Luzern

Erst Anfang 2019 gegründet, umfasst die Camerata Luzern zwanzig junge Musiker aus der Deutschschweiz und dem Tessin. Das Spezielle: Die Musiker nehmen im Orchester jeweils verschiedene Rollen ein. So wird die traditionelle Hierarchie im Orchester überwunden und es entsteht mehr Dynamik.

Astor Aarau

Das Aarauer Studentenorchester Astor wurde 2011 ins Leben gerufen. Ein Chor sowie Elemente aus der Unterhaltungsmusik werden mit einem klassischen Sinfonieorchester kombiniert. Die 50-köpfige Gruppe arbeitet regelmässig mit verschiedenen Kunstschaffenden zusammen.

ZJSO

Das Zentralschweizer Jugendsinfonieorchester (ZJSO) umfasst kantonsübergreifend knapp 200 Musizierende. Seit 2012 treten die jungen Orchestermusiker unter anderem im Hallenstadion sowie im KKL Luzern auf. Auch Jonas Bürgin dirigiert die ZJSO hin und wieder, etwa vergangenen Januar in einer Koproduktion mit der Jodelgruppe Oesch’s die Dritten. 

Sinfonietta

Das 2017 gegründete Kammerorchester Sinfonietta Lucerne besteht vor allem aus Musikstudenten. Ihr Ziel ist es, dynamische Interpretationen klassischer Werke vor allem in den ländlichen Gemeinden der Innerschweiz aufzuführen. Pro Jahr werden mehrere Konzertreihen veranstaltet, zum Teil auch mit Blasmusikern und Theatergruppen.

Camerata Luzern

Erst Anfang 2019 gegründet, umfasst die Camerata Luzern zwanzig junge Musiker aus der Deutschschweiz und dem Tessin. Das Spezielle: Die Musiker nehmen im Orchester jeweils verschiedene Rollen ein. So wird die traditionelle Hierarchie im Orchester überwunden und es entsteht mehr Dynamik.

Astor Aarau

Das Aarauer Studentenorchester Astor wurde 2011 ins Leben gerufen. Ein Chor sowie Elemente aus der Unterhaltungsmusik werden mit einem klassischen Sinfonieorchester kombiniert. Die 50-köpfige Gruppe arbeitet regelmässig mit verschiedenen Kunstschaffenden zusammen.

ZJSO

Das Zentralschweizer Jugendsinfonieorchester (ZJSO) umfasst kantonsübergreifend knapp 200 Musizierende. Seit 2012 treten die jungen Orchestermusiker unter anderem im Hallenstadion sowie im KKL Luzern auf. Auch Jonas Bürgin dirigiert die ZJSO hin und wieder, etwa vergangenen Januar in einer Koproduktion mit der Jodelgruppe Oesch’s die Dritten. 

Sinfonietta

Das 2017 gegründete Kammerorchester Sinfonietta Lucerne besteht vor allem aus Musikstudenten. Ihr Ziel ist es, dynamische Interpretationen klassischer Werke vor allem in den ländlichen Gemeinden der Innerschweiz aufzuführen. Pro Jahr werden mehrere Konzertreihen veranstaltet, zum Teil auch mit Blasmusikern und Theatergruppen.

Mehr
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?