Neue Ausstellung im Kunsthaus
«Bührle gehört zu Zürich, ob wir wollen oder nicht»

Das Kunsthaus Zürich zeigt eine neue Präsentation der umstrittenen Bührle-Sammlung. SonntagsBlick war zu Besuch.
Publiziert: 05.11.2023 um 10:13 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2023 um 11:37 Uhr
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Lisa AeschlimannReporterin & Blattmacherin

Die kleine Irene» liegt hinter einem feinen blauen Vorhang. Pierre-Auguste Renoirs Meisterwerk von 1880 ist das erste Bild, dem man begegnet – und welches das Fundament für den Rest der Ausstellung legt: den Versuch, zu zeigen, dass Werk und Geschichte untrennbar miteinander verbunden sind.

Das Porträt der damals achtjährigen Irène Cahen d’Anvers war Raubkunst. Irène, eine jüdische Bankierstochter, verliert ihre Verwandtschaft im Holocaust. 1949 verkauft sie ihr Porträt. Über einen Mittelsmann geht es an den NS-Waffenfabrikanten und Kunstsammler, der dem Zürcher Kunstplatz den grössten Skandal der letzten Jahrzehnte bescherte: Emil Bührle (1890–1956).

Samstagnachmittag im Kunsthaus Zürich. Seit Freitag ist die Bührle-Sammlung wieder für die Öffentlichkeit zugänglich, diesmal für die Besucher neu gestaltet. Im Zentrum steht die Frage: Wie geht ein Museum mit einer Sammlung um, die mit Geld aus Waffenverkäufen an Nazideutschland finanziert wurde und zu einem Teil aus dem Besitz von Juden stammt, die ihre Kunstwerke verkaufen mussten?

Die Sammlung Bührle wird neu präsentiert: die Werke wurden in den dringend nötigen historischen Kontext gesetzt.
Foto: Thomas Meier
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Beirat protestierte

Die Meinungen waren so unterschiedlich, dass der wissenschaftliche Beirat noch vor Eröffnung zurücktrat. Die Person Bührles stehe zu sehr im Zentrum der Präsentation, den einstigen jüdischen Eigentümern werde zu wenig Raum zugestanden.

Der jüngste Eklat hat das Interesse an der Ausstellung nicht gemindert. Die Führung ist ausgebucht. 25 Personen, darunter viele Brillenträger, Ergraute im Lehrer-Veston, werden von Kunsthistorikerin Anna Bähler (44) durch die Sammlung geführt.

Bähler sagt gleich zu Beginn: «Emil Bührle war ein Profiteur.» Bührle, deutscher Grossindustrieller eines Rüstungskonzerns, belieferte unter anderem NS-Deutschland mit Waffen, wurde während des Zweiten Weltkrieges zum reichsten Schweizer.

«Mit diesem Vermögen hat er diese Kunstsammlung aufgebaut.» Er hat sich in der Zürcher Kunstgesellschaft Einfluss erkämpft, war eine Zeit lang Hauptmäzen des Kunsthauses. Das Kunsthaus sei eng verbunden mit Bührle. Bähler: «Wir haben von ihm profitiert, er aber auch von uns.» Bührle gehöre zu Zürich, «ob wir wollen oder nicht».

Öffentliche Debatte

Mit der neuen Präsentation setzen die Kuratoren die Kunstwerke in den nötigen historischen Kontext. Sie versuchen, die Debatte, die sich entfacht hat, einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In einem Resonanzraum kommen rund zwanzig Kritikerinnen und Kritiker in kurzen Statements zu Wort. Besucherinnen und Besucher können in der Ausstellung immer wieder ihre Meinung auf Tablets eintippen.

Ein Raum ist für Raubkunst und jene sieben Werke gedacht, die besonders zu reden geben; darunter auch das Mohnblumenfeld von Claude Monet, ein Schlüsselwerk der Sammlung. 2024 wird ein Expertenteam seine Evaluation dazu vorlegen.

Anna Bähler spricht in Windeseile vom Abkommen von Theresienstadt, sogenannt NS-verfolgungsbedingtem Entzug – und man merkt bald: Es ist viel, es ist kompliziert und es ist kontrovers. Die Gruppe nimmt es schweigend hin, zu komplex das Thema, um in 60 Minuten noch Zeit für Fragen zu lassen.

Beinahe geht die Pracht der berühmten Werke vergessen, der Degas, Renoirs, Braques, Delacroix, Manets, van Goghs und Picassos. Die sind nach dem Jahr des Ankaufs aufgehängt worden – ein ungewohntes Bild. Herkunft kommt vor dem Werk.

Verständnis für NS-Profiteur

Viele schauen sich die Biografien an, diskutieren, was getan werden muss. Eine Zürcherin und ein Basler diskutieren. Sie: «Die Betroffenen sollten Bührle dankbar sein, dass er es gekauft hat, sonst hätten sie nicht flüchten können.» Er: «Aber wenn sie in einer solchen Situation sind, können sie nicht frei entscheiden. Sie müssen das tun, um zu überleben.»

Ein junger Mann nervt sich: «Die Leute kriegen nun keinen Hinweis mehr darauf, wie grossartig diese Werke sind.» Ein anderer stört sich daran, dass Bührle jedem einzelnen Rahmen seinen Namen aufgestempelt hat. Und eine Frau fragt, wo eigentlich die Künstlerinnen bleiben.

Am Schluss können die Besucherinnen und Besucher auf runden blauen Zetteln ihre Meinung kundtun: Soll das Kunsthaus die Sammlung Bührle zeigen? Braucht es eine dauerhafte Kontextualisierung? Wer soll über Kunstankäufe eines Museums entscheiden? Die Wand ist bereits am zweiten Ausstellungstag gut befüllt: «Die Bilder können nichts dafür», steht da. Aber auch: «Zeigen, aber bitte weiter forschen und kritisch diskutieren.»

Und: «Grosse Werke gehören der Menschheit und sollen gesehen werden.» Grosse Werke sind es. Und nach der Ausstellung kennt man auch die Geschichte hinter diesen.

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