«Warum man diese Möglichkeiten schaffen muss»
Ueli Maurer verteidigt Offshore-Deals für Superreiche

SVP-Bundesrat Ueli Maurer ist seit 100 Tagen neuer Finanzminister. Im grossen BLICK-Interview verteidigt er Offshore-Firmen, schiesst im Armee-Streit scharf gegen Offiziere und kämpft er gegen die Milchkuh-Initiative. Und er erzählt, dass er nun wieder öfters per Velo ins Büro fahren will – trotz einer 80-Kilometer-Strecke.
Publiziert: 08.04.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 06:35 Uhr
SVP-Finanzminister Ueli Maurer in seinem neuen Büro im «Bernerhof».
Foto: Monika Flueckiger
Christof Vuille und Ruedi Studer

Herr Bundesrat, die «Panama-Papers»-Affäre beschäftigt die ganze Welt. Hat Sie das als Steuerminister aufgeschreckt?

Ueli Maurer: Bei jedem Medienhype sollte man zuerst mal zurückzulehnen und tief durchatmen. Offshore-Firmen sind nicht illegal. Dass viele Gründungen in der Schweiz stattfinden, hat mit der Bedeutung unseres Finanzplatzes zu tun. Ich habe aber ein gutes Gefühl, da wir ein strenges Geldwäscherei-Gesetz haben. Die Finma schaut sich das Ganze aber genau an, und wenn es Verdachtsmomente gibt, wird auch die Bundesanwaltschaft aktiv.

Mit dem neuen Fifa-Präsidenten Gianni Infantino ist auch eine Schweizer Persönlichkeit in die Schlagzeilen geraten.

Das ist keine Sache der Politik, sondern allenfalls der Bundesanwaltschaft und der Fifa.

Anwälte sind heute nur unter gewissen Bedingungen dem Geldwäscherei-Gesetz unterstellt. Muss man sie nicht enger an die Leine nehmen?

Es ist immer populär, mehr Regulierungen zu fordern. Aber da muss man aufpassen. Die heutige Abgrenzung ist okay. Wir können doch nicht jede Tätigkeit unter staatliche Kontrollen stellen.

Was halten Sie persönlich von solchen Offshore-Geschäften für Superreiche? Die einfachen Leute haben nichts davon!

Man muss diese Möglichkeiten schaffen. Die reichen Leute bezahlen viel mehr Steuern als ich. Ich bin nicht reich – und ohne Reiche müsste ich mehr Steuern bezahlen. Wir dürfen uns nicht als Obermoralisierer der Welt aufspielen. Heute haben wir in der Schweiz eine Regulierungsdichte erreicht, die definitiv reicht. Wer kriminelle Energie hat, findet so oder so immer eine Lücke.

Seit 100 Tagen sind Sie nicht mehr der einzige SVP-Vertreter im Bundesrat. Fühlen Sie sich mit Guy Parmelin an Ihrer Seite weniger einsam?

Ich habe mich auch vorher nicht einsam gefühlt (lacht). Es ist aber noch ein bisschen früh, die neue Konstellation zu beurteilen, auch weil ich als Finanzminister eine andere Rolle habe. Vielleicht ist meine Arbeit etwas weniger parteipolitisch geprägt als zuvor, weil ich eine Gesamtoptik einbringen muss. Die Zusammenarbeit im Bundesrat ist okay, auch mit Guy Parmelin. Je nach Geschäft gibt es wechselnde Koalitionen. Wir diskutieren immer so lange, bis wir eine Lösung haben.

Sie reden also anderen Bundesräten vermehrt in die Geschäfte rein und machen breitere Sachpolitik.

Ich bin immer sachlich. Es ist meine Aufgabe bei allen Geschäften zu schauen, ob sie in die Finanzplanung passen, und dann entsprechende Vorbehalte und Mitberichte zu machen. Ich habe schon immer auch finanzpolitisch argumentiert, aber nun hat mein Wort etwas mehr Gewicht.

Es fällt auf, dass Sie nach Ihrem Wechsel voll auf das bisherige EFD-Personal gesetzt haben. Wann hören Sie auf ihren Fraktionschef Adrian Amstutz und entlassen Finanzdirektor Serge Gaillard?

Ich bin zuständig für das Personal in meinem Departement, nicht die Partei. Gaillard macht einen guten Job. Es ist eine Führungssache: Wer zu viele Leute auswechselt, kann nicht führen. Wenn einem ein Mitarbeiter politisch nicht passt, muss man ihm sagen, was er tun soll. Die Bundesangestellten sind so loyal, dass sie das auch tun.

Gegen Gaillard läuft ein Strafverfahren wegen Amtsmissbrauchs und Verleumdung. Ist das kein Problem?

Es gibt keinen Grund, an seiner Unschuld zu zweifeln. Frau Widmer-Schlumpf hat sich schon damit beschäftigt, ich habe es auch angeschaut. Wir gehen davon aus, dass sich diese Geschichte sehr rasch erledigt.

Im Gegensatz zu Ihnen mistet Ihr Nachfolger im VBS ordentlich aus. Er wechselt den Armeechef und die Generalsekretärin aus. Haben Sie ihm ein solches Chaos hinterlassen, dass er aufräumen muss?

Nein. Die Generalsekretärin wäre in einem Jahr pensioniert worden. Da macht es Sinn, sich nicht ein Jahr mit einer Mitarbeiterin einzuarbeiten, die dann wieder weg ist. Beim Chef der Armee hatte auch ich einen Wechsel auf Ende Jahr vorgesehen. Er wird dann pensioniert und kann die WEA so noch aufgleisen und die Umsetzung dann seinem Nachfolger überlassen. Die Wechsel sind also nachvollziehbar.

Auch inhaltlich räumt Parmelin auf. Er hat das Projekt Bodluv sistiert. Können Sie den Entscheid nachvollziehen?

Nein. Aber ich habe auch die Unterlagen, die zu diesem Entscheid geführt haben, nicht gesehen. Wir haben Bodluv nach dem Gripen-Absturz vorgezogen. Das Projekt bleibt wichtig für die Verteidigungsfähigkeit der Armee. Früher oder später muss man diese Ersatzbeschaffung angehen.

Es gibt nun eine Administrativuntersuchung. Wurden Fehler gemacht beim Projekt?

Nein, es lief alles okay. Man hat bewusst eine Planungs- und Testphase bis Ende Jahr eingeräumt und wollte dann einen Antrag auf die Beschaffung stellen. Nun hat man in dieser Planungsphase sehr früh eingegriffen, bevor ein Antrag gestellt wurde. Offenbar gab es Gründe für den Abbruch.

Die Debatte erinnert an den Gripen. Da gab es auch interne Machtkämpfe und Intrigen in der Armee – interne Protokolle, die an die Öffentlichkeit gelangen.

Vor dem Hintergrund dieser Indiskretionen gibt es tatsächlich ein paar höhere Offiziere, die nochmals in den Kindergarten müssen.

Die Armee betrifft sie auch im EFD. Der Bundesrat gesteht ihr fünf Milliarden Franken pro Jahr zu. Ist der Entscheid für Sie als Finanzminister richtig?

Ja, wir haben gar keine andere Wahl. Der Beschluss des Parlaments ist aufgrund des Parlamentsgesetzes verbindlich.

Er bedeutet aber auch, dass andere Bereiche stärker bluten müssen.

Ja. Wobei die Mehrausgaben bei der Armee im Vergleich zu anderen Parlamentsbeschlüssen relativ harmlos sind. So wurden 600 Millionen Franken mehr für die Altersvorsorge und 300 Millionen mehr für den öffentlichen Verkehr beschlossen. Und wenn die Milchkuh-Initiative durchkommt, sind es nochmal 1,5 Milliarden Franken mehr, die in der Bundeskasse fehlen werden und die wir einsparen müssen.

In Bundesbern wird mit Millionen- und Milliarden-Beträgen jongliert. Da kann man sich doch auch die 1,5 Milliarden Franken teure «Milchkuh» leisten.

Das grössere Problem an der Milchkuh-Initiative ist nicht einmal der Betrag, sondern dass sie am nächsten Tag in Kraft tritt. Wir würden alleine dieses Jahr 700 Millionen Franken verlieren und müssten nächstes Jahr 1,5 Milliarden einsparen.

Bei einem 67-Milliarden-Budget ein Klacks.

Schauen Sie sich die Bundesrechnung an: Rund zwei Drittel sind gesetzlich gebundene Positionen wie Zahlungen an Sozialwerke oder die Kantone. Um da zu kürzen, braucht es Gesetzesänderungen und Volksabstimmungen. Solche Prozesse dauern Jahre. Müsste die Initiative erst bis 2025 umgesetzt werden, liesse sich das steuern. Wie sie jetzt aufgegleist ist, funktioniert das nicht.

Und wenn es doch ein Ja gibt?

So kurzfristig kann man nicht mehr reagieren. Das Resultat für dieses Jahr wäre ein Defizit, das wir später wieder abtragen müssten. Für das nächste Jahr müssten wir sofort die Budgetvorgaben anpassen – aber auch da reicht die Zeit wohl nicht um 1,5 Milliarden einzusparen. Sofort kommt dann wieder Ruf, man könne beim Personal sparen. Das macht aber nur 8 Prozent der Bundesausgaben aus. Selbst wenn wir auf einen Schlag jeden zehnten Bundesangestellten entlassen würden, wäre erst rund ein Prozent des Bundesbudgets eingespart.

Die jetzige Lösung für den neuen Nationalstrassen- und Agglomerationsfonds (NAF) kostet die Bundeskasse etwa 700 Millionen Franken – eine «halbe Milchkuh». Braucht es dann nicht auch ein «halbes» Sparprogramm?

Der entscheidende Unterschied ist die Zeitachse. Beim NAF fliesst der höhere Mineralölsteuerbeitrag erst ab 2019 in den neuen Fonds. Wir haben also mehr Zeit für die Umsetzung und können besser steuern. Die Milchkuh ist gut gemeint, aber das Gegenteil von gut. Sie ist nicht durchdacht.

Die Autofahrer zahlen jährlich über 9 Milliarden Franken, doch nur etwa 3,5 Milliarden fliessen in die Strasse. Das geht nicht auf.

Die Initianten beziehen fälschlicherweise auch noch die Mehrwertsteuer auf dem Benzin in ihre Rechnung mit ein, das geht so nicht. Dann könnten ja alle – von der Migros bis zu den Zeitungsverlagen – die Mehrwertsteuer zweckgebunden zurückfordern. Seit 60 Jahren fliesst ein Teil des Benzinzolls in die Bundeskasse, ein Teil wird zweckgebunden für Strassenzwecke verwendet. Dieses System hat sich bewährt.

Die Initianten sehen darin aber eine Zweckentfremdung der Strassengelder.

Wir können ja nicht jede Steuer zweckgebunden einsetzen. Das geht nicht auf. Mit der NAF-Lösung fliessen jährlich 700 Millionen mehr für Ausbauten, Engpassbeseitigungen und Agglomerationsprojekte in die Strasse. Das reicht. Für 1,5 Milliarden mehr sind weder genügend Projekte vorhanden noch genügend Leute in der Baubranche, um diese gleich zu bauen. Der Vorschlag des Bundesrates ist demgegenüber eine pragmatische und vernünftige Lösung.

Wie erleben Sie persönlich die Verkehrssituation?

Am Liebsten bin ich mit dem Velo unterwegs! Ich wohne seit kurzem im Berner Oberland, etwa 80 Kilometer von Bern entfernt. Da es noch dunkel ist am Morgen, bin ich seither nur einmal mit dem Velo ins Büro gefahren.

Das dauert!

Etwa drei Stunden. Langsam wird es früher hell am Morgen, da werde ich auch öfter das Velo nehmen.

Und sonst?

In der Regel fahre ich mit dem Zug – und manchmal mit dem Auto, wenn es nicht anders geht. Das Auto ist wahrscheinlich das lästigste Verkehrsmittel – das muss man ehrlicherweise sagen. Sobald man sich auf Hauptachsen wie Bern-Lausanne-Genf oder Bern-Zürich bewegt, sitzt man in den Hauptverkehrszeiten im Stau. Da sind Verbesserungen tatsächlich notwendig und ja auch völlig unbestritten. Aber die Initiative wählt den falschen Weg.

Als Verteidigungsminister sind Sie in Volksabstimmungen immer mit Ihrer Partei marschiert. Als Finanzminister müssen Sie sich – Bespiel Heiratsstrafe-Initiative und jetzt Milchkuh-Initiative – öfter gegen die SVP stellen. Wie wirkt sich das auf das Verhältnis zu Ihrer Partei aus?

Die persönlichen Beziehungen zur Partei sind nach wie vor super. Dass wir bei öffentlichen Auftritten gegenteilige Auffassungen vertreten, damit müssen wir leben. Das ist eine neue und spannende Situation für beide Seiten.

Die SVP hält ihre Leute gerne auf Linie – auch ihre Bundesräte! Gibt es jetzt öfters Knatsch?

Nein, nein. (lacht) Das Verständnis ist da: Wir wissen, dass wir unterschiedliche Rollen haben – und trinken nach geschlagener Schlacht ein Bier miteinander. Die Partei darf aber keine Rücksicht nehmen, wenn ich ein Geschäft auf der anderen Seite vertreten muss. Sie soll, wenn es nötig ist, die eigenen Bundesräte ebenso attackieren wie fremde Bundesräte. Das gehört zu den Spielregeln.

Sie sind neu auch für das Grenzwachtkorps zuständig. Wie gut ist es für einen allfälligen Flüchtlingsansturm gerüstet?

Tendenziell läuft das Grenzwachtkorps auf dem Zahnfleisch. Die normale Situation können wir bewältigen. Sollten grössere Migrationsströme auf uns zukommen, haben wir derzeit zu wenig Grenzwächter. In einer ausserordentlichen Situation müssten wir unter anderem auf die Armee zurückgreifen.

Ab wann ist die Armee im Ernstfall einsatzbereit?

Man muss immer bereit sein, auf eine ausserordentliche Situation zu reagieren, also auch jetzt.

Im Moment scheint sich die Situation an der Grenze beruhigt zu haben.

In den letzten Wochen hat sich die Situation tatsächlich beruhigt. Die Balkan-Route ist gestoppt, für die Südroute ist das Mittelmehr noch zu unruhig. Trotzdem bereiten wir uns auf den «worst case» mit einer absoluten Ausnahmesituation an der Südgrenze vor. Das ist aber keine Prognose!

Und wie lautet Ihre Prognose?

Im Frühling und Sommer rechnet man wieder mit einem höheren Migrationsdruck – insbesondere an der Südgrenze. Aber es gibt sehr viele Unwägbarkeiten, was eine Prognose schwierig macht.

Ein grosses Projekt ist die Unternehmenssteuerreform III. Als Finanzminister müssen Ihnen die absehbaren Steuerausfälle Sorgen bereiten.

Im Gegenteil, die Unternehmenssteuerreform III ist ein Einnahmenprojekt! Wenn wir uns im Steuerwettbewerb nicht bewegen, verliert die Schweiz interessante Steuerzahler. Wir senken die Steuern, damit diese bleiben und sogar neue Unternehmen hierher kommen. Damit bewahren wir die Einnahmen. Wer jetzt nur die vermeintlichen Steuerausfälle anschaut, macht auf Buchhalter Nötzli, das geht so nicht.

Die SP hat bereits das Referendum angekündigt. Überrascht?

Nein. Doch damit sägt sie am eigenen Ast. Wenn die Grossen gehen und hier keine Steuern mehr zahlen, zahlen am Schluss die Kleinen die Zeche. Das ist ein Schuss ins eigene Bein.

Stichwort Beinverletzung: Sie mussten dieses Jahr wegen einer Zerrung auf den Wasa-Lauf verzichten. Hat Ihnen dieser sportliche Ausgleich gefehlt?

Ja! Ich habe es mit etwas Krafttraining versucht, aber es hat nicht gereicht. Es ist schon ärgerlich: Da habe ich das ganze Jahr lang für den Wasa-Lauf trainiert – vergeblich. Aber nächstes Jahr bin ich wieder dabei!

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