Gemeindepräsident: St. Gallen setzt auf Profis
«Ich bin sicher kein Söldner!»

Gemeinderäte als Milizler im Nebenamt mit Sitzungsgeld – diese Zeiten sind in vielen Schweizer Gemeinden vorbei. Längst haben kreativere und vor allem besser bezahlte Modelle Einzug gehalten. BLICK stellt die wichtigsten vor.
Publiziert: 24.04.2018 um 12:04 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:25 Uhr
St. Gallen zeigt Ausweg aus dem Miliz-Dilemma: Erich Zoller regiert schon die vierte Gemeinde. Nach Sargans, Weesen und Rapperswil-Jona amtet er jetzt in Quarten.
Foto: ZVG
1/4
Andrea Willimann, Sermîn Faki, Nicola Imfeld

«Beruf: Gemeindepräsident» steht auf der Website der Gemeinde Quarten SG, wenn man dort nach Erich Zoller (59) sucht. Kein Scherz: CVP-Mann Zoller ist Quartens Gemeindepräsident. Und er ist ein echter Profi darin: Bevor er Ende 2016 in Quarten zum neuen Chef gewählt wurde, stand er der Exekutive von Sargans SG, Weesen SG und Rapperswil-Jona SG vor.

Ist Zoller so etwas wie ein Söldner der Gemeindepolitik? «Sicher nicht!», sagt er lachend dem BLICK. In St. Gallen sei es üblich, dass Präsidenten auch einmal die Gemeinde wechseln. «Meist fängt man in einer kleinen an und geht im Lauf der Karriere in eine grössere.»

Ein attraktiver Job statt Miliz-Stress

St. Gallen geht in der Kommunalpolitik einen eigenen Weg. Das hat historische Gründe, hilft heute aber, dem Milizproblem, dass viele Gemeinden kennen, zu begegnen. Denn Vollamt-Gemeindepräsident ist ein attraktiver Job mit viel Gestaltungsspielraum, guter Bezahlung und Sozialleistungen.

Anstatt also Bürger in ein Amt zu zwingen, wie andere Kantone das tun (BLICK berichtete), hat St. Gallen das Amt des Gemeindepräsidenten professionalisiert. Die anderen Gemeinderäte sind echte Milizler mit sehr kleinen Pensen und weitgehend von Alltagsgeschäften entlastet.

St. Gallen kennt kaum Miliz-Probleme

Drei Viertel aller St. Galler Gemeinden sind so organisiert – oft führt der Gemeindepräsident auch noch die Verwaltung. So wie Erich Zoller, der den Gemeinderat mit einem Verwaltungsrat (VR) in der Wirtschaft vergleicht. In einigen Unternehmen nehme ein Delegierter des VR Einsitz in der Geschäftsleitung. Dieses Modell habe für Gemeinden viele Vorteile, findet Zoller: «So ist die Kommunikation zwischen Exekutive und Verwaltung gewährleistet.»

Zumindest der Erfolg gibt Zoller recht: Probleme wie in anderen Kantonen, wo sich partout niemand für ein Amt meldet, sind selten. Doch das Vollamt ist nicht die einzige Möglichkeit, die Rekrutierung von Kommunalpolitikern zu verbessern:

Nebenamt mit ordentlicher Bezahlung: Die Gemeinderäte werden von der Gemeinde regulär in Teilzeitpensen angestellt und inklusive Sozialversicherungsbeiträgen entlöhnt. Diese kleinen, besser bezahlten Milizpensen sind beliebter, weil sie sich mit Familienarbeit und der Landwirtschaft vereinbaren lassen. 

Geschäftsführer-Modell: Hier wird streng unterschieden: Der Gemeinderat amtet eher als Verwaltungsrat mit Kleinstpensen und ein Geschäftsführer – zum Beispiel der ehemalige Gemeindeschreiber – leitet die Verwaltung. Dieses Modell ist vor allem in Luzerner Gemeinden anzutreffen.

Vollamt-Modell: Alle Gemeinderäte arbeiten im Vollpensum und verdienen regulär. Ihren angestammten Beruf geben sie auf. Auch dieses Modell ist vor allem in der Ostschweiz verbreitet. Von einem Milizsystem kann man nicht mehr sprechen.

Minibehörde-Modell: Diese Möglichkeit ist vor allem in kleineren Gemeinden beliebt. Die Minigemeinden suchen Partnerschaften mit anderen Kleingemeinden, um beispielsweise gemeinsam einen Schulkreis, das Bau- oder Steueramt zu führen. Dadurch kann die Zahl der Exekutivmitglieder reduziert werden, die Belastung sinkt. Die Teilamts- oder Milizarbeit wird attraktiver.

Endet das Milizsystems durch Professionalisierung?

Nur: Führen alle diese Modelle nicht letztlich zum Ende des Milizsystems? Politikwissenschaftler Oliver Dlabac vom Zentrum für Demokratie Aarau widerspricht: «Das Milizprinzip definiert sich nicht dadurch, dass ein paar wenige für Arbeiten ausgebeutet werden, für welche sich die anderen zu gut sind», sagt er. Ein angemessen entschädigtes Teilamt und eine funktionierende Gemeindeverwaltung stünden keineswegs im Widerspruch zur Idee des Milizsystems.

Er kann allen Modellen etwas abgewinnen: So hätten Luzerner Gemeinden gute Erfahrungen gemacht mit der Einführung von Geschäftsführern. Das heisse nicht, dass der Gemeinderat die Entscheidungsgewalt aus der Hand gebe. Auch das Teilzeit-Modell  würde das Amt attraktiver machen, ist Dlabac überzeugt: «Es würde den Politikern erlauben, ihr Pensum beim Arbeitgeber zu reduzieren. Sie müssten weniger von ihrer Freizeit für das Amt aufwenden.»

Und letztlich findet er, dass auch Fusionen von sehr kleinen Gemeinden eine Chance seien: «Sie stärken unser Milizsystem. Eine fusionierte Gemeindeverwaltung führt auch zur Entlastung der Gemeinderäte.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?