Grünen-Chefin Rytz sieht ihre Partei im Aufwind, warnt aber:
«Die CVP-Krise ist kein Grund zur Schadenfreude»

Die Grünen haben einen Lauf. Sie legen in Kantonen und Gemeinden zu. Für die Ökopartei sind das beste Vorzeichen im Hinblick auf die Parlamentswahlen 2019. In diese will Regula Rytz (56) die Grünen weiterhin als Präsidentin führen. Die Grünen-Chefin erklärt, weshalb sie sich über die «Krise der CVP» und den Zulauf durch frühere CVP-Anhänger nicht recht freuen kann, welche Bundesrätin sie enttäuscht hat und was für Bundesratstickets sie von den bürgerlichen Parteien erwartet.
Publiziert: 04.05.2018 um 16:17 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 17:30 Uhr
Interview: Pascal Tischhauser und Ruedi Studer

Die Grünen Schweiz legen in Kantonen und Gemeinden zu. Für die Ökopartei sind das gute Vorzeichen für die Parlamentswahlen 2019. In diese will Regula Rytz (56) die Grünen weiterhin als Präsidentin führen. Am Samstag stellt sich das frühere Mitglied der Berner Stadtregierung in Olten zur Wiederwahl. BLICK hat Rytz im Bundeshaus getroffen. Sie erklärt, weshalb sie sich über die «Krise der CVP» und den Zulauf von früheren CVP-Anhängern nicht recht freuen kann, welche Bundesrätin sie enttäuscht hat, was sie von einer Bundesrätin Martullo-Blocher halten würde und was für Bundesratstickets sie von den bürgerlichen Parteien erwartet. 

BLICK: Frau Rytz, die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer tritt zurück und kritisiert den konservativen Kurs von CVP-Chef Gerhard Pfister. Eröffnet sich für die Grünen ein neues Wählerpotenzial?
Regula Rytz: Bei der CVP gibt es derzeit starke Flügelkämpfe. Tatsächlich erhalte ich Rückmeldungen von CVP-Mitgliedern, die mit dem nationalkonservativen Pfister-Kurs nicht einverstanden sind. Setzt er diesen fort, dann suchen immer mehr christlichsoziale Wähler bei uns eine neue Heimat. Denn gerade in sozialen und ökologischen Fragen haben wir eine gemeinsame Wertebasis. 

Sie müssen sich bei Gerhard Pfister bedanken. Er treibt Ihnen die christlichsozialen Wähler in die grünen Arme!
Wir sind auch unabhängig von Pfister auf Erfolgskurs. Aber klar schadet Pfister seiner Partei, weil er sich in vielen Fragen auf die falsche Seite schlägt: Er hilft mit beim Abbau der Ergänzungsleistungen oder bei der Einführung von Versicherungsspionen. Das widerspricht christlichsozialen Werten.

CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer, links, und ihr Parteipräsident Gerhard Pfister haben das Heu nicht auf der selben Bühne.
Foto: Keystone

Die Grünen befinden sich im Aufwärtstrend. Überholen Sie die CVP nun bei den Nationalratswahlen 2019?
Unser Wahlziel ist klar: Wir wollen mindestens 9 Prozent Wähleranteil erreichen, im Nationalrat mindestens vier Sitze hinzugewinnen und auch weiterhin im Ständerat vertreten sein.

Sie müssen doch den Ehrgeiz haben, die CVP als viertstärkste Kraft abzulösen!
Das sind Spielereien. Natürlich wollen wir gewinnen. Entscheidend ist dabei aber nicht, dass wir die CVP überholen, sondern dass wir die rechtsbürgerliche Mehrheit aus FDP und SVP im Nationalrat brechen. Insofern ist für mich die Krise der CVP kein Grund zur Schadenfreude.

Wirklich nicht?
Nein, die CVP ist ja oft eine Brückenbauerin – zum Beispiel bei der Energiestrategie oder der Rentenreform. Wenn sie ihren konservativen Kurs korrigiert, kann die CVP gemeinsam mit uns die bürgerfeindliche Politik von SVP und FDP in die Schranken weisen. Der Bundesrat will den Versicherungen zum Beispiel das Recht geben, Verträge einseitig abzuändern und die Menschen im Stich zu lassen. Das müssen wir korrigieren.

Sie müssen aber auch den Bundesrat im Auge haben: Überholen Sie die CVP, rückt ein grüner Bundesratssitz in greifbare Nähe.
Wenn wir unsere Wahlziele erreichen, dann sind wir im Spiel. Welchen Sitz wir angreifen, das hängt aber vom Wahlausgang 2019 ab. Aus heutiger Sicht ist die FDP übervertreten. Mathematisch haben wir jetzt schon den grösseren Anspruch auf einen Bundesratssitz als die Freisinnigen auf zwei.

Für die Grünen müsste aber eine Frau antreten.
Das ist sonnenklar! Die Untervertretung der Frauen in der Landesregierung ist untragbar.

Stehen Sie für eine Bundesratskandidatur zur Verfügung?
Es ist viel zu früh, um über Personen zu reden.

Verlangen Sie auch von den andern Parteien, dass sie mit reinen Frauentickets antreten?
Auf jeden Fall. Insbesondere die bürgerlichen Parteien stehen in der Pflicht. Tritt Doris Leuthard zurück, muss die CVP ein Frauenticket präsentieren. Dasselbe gilt für die FDP, wenn Schneider-Ammann geht, und auch für die SVP. Ueli Maurer ist ja immer für eine Überraschung gut.

Würden Sie über Ihren Schatten springen und Magdalena Martullo-Blocher Ihre Stimme geben?
Ich gehe davon aus, dass die SVP so wie in der Vergangenheit eine Auswahl ermöglicht und zwei Frauen nominiert. Ganz generell sind Familiendynastien keine gute Idee.

Wie beurteilen Sie eigentlich die Arbeit des aktuellen Bundesrats?
In der Europafrage ist er mit dem Rahmenabkommen auf dem richtigen Weg. Doch in anderen Fragen ist er schwach. Enttäuscht bin ich von Doris Leuthard. Sie hat ihr Wort gebrochen. Statt endlich aus der teuren und gefährlichen Atomenergie auszusteigen, passt sie die Gesetze so an, dass Beznau I wieder ans Netz kann. Wäre das absehbar gewesen, hätten viele CVP-Mitglieder unserer Ausstiegsinitiative zugestimmt. Gut möglich, dass wir dem ältesten AKW der Welt per Volksinitiative den Stecker ziehen müssen.

Der aktuelle Bundesrat mit Doris Leuthard, Bundespräsident Alain Berset, Ueli Maurer, Simonetta Sommaruga, Johann Schneider-Ammann, Guy Parmelin und Ignazio Cassis (v.l.n.r). Ganz rechts im Bild ist Bundeskanzler Walter Thurnherr.
Foto: Keystone

Bleiben wir beim Gesamtbundesrat. Warum ist er «schwach»?
Er hat vor der rechtsbürgerlichen Nationalratsmehrheit kapituliert. Darum brauchen wir grosse Veränderungen im Parlament. So können wir den Bundesrat neu mit führungsstarken Persönlichkeiten besetzen, die die Kraft haben, sich einseitigen Wirtschaftsinteressen zu widersetzen. Zum Beispiel der Lieferung von Waffen und Giftgasbestandteilen für Syrien.

Um den Anspruch auf einen grünen Bundesratssitz zu stärken, wäre doch eine Allianz mit der GLP sinnvoll.
Für eine Wahl in den Bundesrat braucht es die Mehrheit der Bundesversammlung. Entscheidend wird also die Stärke der Blöcke sein. Wenn die Ökologie in der Regierung eine Stimme erhalten soll, muss die Unterstützung weit über die GLP hinausgehen. Es gibt auch inhaltliche Vorbehalte.

Welche denn?
Wir sind in ökologischen Fragen konsequenter als die GLP und schwimmen auch mal gegen den Strom. Vor allem haben wir aber Differenzen bei der Steuer- und Sozialpolitik. Die GLP hat zum Beispiel mit dem Ja zur Unternehmenssteuerreform III Sparmassnahmen bei Bildung und Gesundheit in Kauf genommen. Die Bevölkerung hat das korrigiert. Wenn wir Allianzen schmieden, dann inhaltliche, so wie heute mit den Bauern.

Mit den Landwirten, wo denn?
Im Zusammenhang mit unserer Fairfood-Initiative, über die wir im Herbst abstimmen, pflegen wir einen guten Austausch mit den Landwirten. Gemeinsam setzen wir uns für artgerechte Tierhaltung, faire Arbeitsbedingungen und qualitativ hochwertige Lebensmittel ein, die auf unseren Tellern und nicht im Müll landen. Diesen klaren Wettbewerbsvorteil der lokalen Produktion können wir nur zusammen mit den Bauern und ihren Familien stärken. Sie kommen durch importierte Billigprodukte unter Druck. Es braucht Spielregeln für fairen Handel und den Schutz der Natur.

Derzeit ist Bundesrat Schneider-Ammann mit einer Wirtschaftsdelegation in Südamerika. Er will mit den Mercosur-Staaten ein Freihandelsabkommen abschliessen. Der Bauernverband ist dagegen. Sie auch?
Wir haben grosse Vorbehalte. So wie die EU Autos gegen Rindfleisch tauschen will, macht Schneider-Ammann mit seiner Propagandatour Werbung für einen Schweizer Deal: Maschinen gegen Rindfleisch. Unsere Initiative gibt der Bevölkerung die Möglichkeit zu entscheiden, ob unsere Supermärkte mit ökologisch fragwürdigem Billigsteak aus Argentinien überschwemmt werden sollen oder ob wir auf hochwertige Produkte aus der Region und fairen Handel setzen.

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