Toni Brunner im MEI-Jubiläums-Interview
«Ausländer-Stopp beim Staat!»

Seit seinem Rücktritt als SVP-Präsident ist es still geworden um Nationalrat Toni Brunner. Drei Jahre nach seinem grössten Triumph – dem Ja zur Masseneinwanderungsinitiative – sagt der Kampfkuhzüchter aus dem Toggenburg im BLICK, was nun passieren muss. Und er verrät, warum eine Ablehnung der Steuerreform «nicht so tragisch» wäre.
Publiziert: 08.02.2017 um 23:43 Uhr
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Aktualisiert: 04.10.2018 um 18:36 Uhr
Drei Jahre nach dem Ja zur Masseneinwanderungs-Initiative tritt der damalige SVP-Präsident Toni Brunner wieder an die Öffentlichkeit.
Foto: PAOLO FOSCHINI
Interview: Christof Vuille Fotos: Paolo Foschini

BLICK: Herr Brunner, mit was für einem Gefühl sind Sie heute vor drei Jahren aufgestanden?
Toni Brunner:
Wir durften angesichts der Übermacht von Verbänden und Parteien nicht von einem Sieg ausgehen. Doch ich hatte ein gutes Bauchgefühl. Ich spürte im Abstimmungskampf, dass die masslose Zuwanderung die Bevölkerung stark beschäftigt. Nicht nur SVP-Wähler wollten in der Migrationsfrage das Heft wieder selber in die Hand nehmen.

Die Situation im Winter 2014 war für Sie ideal.
Natürlich war die Einwanderung auf einem Rekordhoch. Die Infrastruktur ist aber heute noch überlasteter als damals. Die Bahnhöfe sind immer verstopfter, die Staustunden nehmen zu, der Arbeitsmarkt ist unter Druck.

«Die Zuwanderung liegt rund 800 Prozent über dem Wert, den der Bundesrat prognostiziert hat», rechnet Brunner in seinem «Haus der Freiheit» in Ebnat-Kappel SG.

Mittlerweile hat das Parlament die Initiative umgesetzt – wenn auch nicht in Ihrem Sinn. Doch das Problem hat sich von selbst gelöst, die Zuwanderung geht seit geraumer Zeit zurück.
Nichts ist umgesetzt, das Problem in keiner Art und Weise gelöst. Heute ist die Zuwanderung im Vergleich zu früher immer noch sehr hoch. Sie liegt rund 800 Prozent über dem Wert, den der Bundesrat prognostiziert hat. Der andauernde Druck einwandernder Ausländer müsste für Regierung und Parlament Auftrag genug sein, den Volkswillen zu beachten.

Der «Dichtestress» hat Ihnen 2014 zum Sieg verholfen. Nun sinken aber sogar die Mieten.
Die Zuwanderung hat in der Schweiz einen riesigen Bauboom ausgelöst. Bei Wohnungen geht es aber nun mal um Angebot und Nachfrage. Bei einem Überangebot, wie es in einigen Landesteilen vorkommt, sinken die Mieten, das ist ja logisch. Deshalb zu sagen, dass das Zuwanderungsproblem gelöst sei, wäre aber absurd.

Die Frist zur Umsetzung läuft heute ab. Sie haben verloren.
Nein. Nur haben wir es jetzt schwarz auf weiss: Der Bundesrat hat die Verfassung gebrochen. Er hätte nach der Nichtumsetzung des Parlaments die Initiative auf Verordnungsstufe umsetzen müssen. Die Regierung hat aber versagt. Dabei gab es unmittelbar nach dem Volksentscheid deutliche Willensäusserungen. Bei den Von-Wattenwyl-Gesprächen überboten sich Bundesrätin Sommaruga und die anderen Parteien förmlich darin, dass man die Initiative wortgetreu umsetzen wolle. Ich traute meinen Ohren nicht.

«Wir haben einen guten akademischen Nachwuchs und brauchen nicht noch mehr deutsche Professoren», findet der Toggenburger SVP-Politiker.

Sie motzen seit drei Jahren über Ihre politischen Gegner. Wo sind Ihre Vorschläge?
Wir bringen seit drei Jahren eigene Vorschläge und mittlerweile ist klar: Die Freizügigkeit ist ein Auslaufmodell. Doch bei der Nichtumsetzung haben sich die Politiker massiv daran geklammert. Der weltweite Trend läuft aber genau ins Gegenteil – schauen Sie nur in die USA oder nach Grossbritannien! Es braucht aber noch ergänzende Vorschläge. Ich fordere einen konsequenten Ausländerstopp in der Bundesverwaltung. Es geht mir darum, dass der Staat nicht mehr im Ausland rekrutiert, also keine neuen Ausländer hereinholt. Das gilt auch für die eidgenössischen Hochschulen. Wir haben einen guten akademischen Nachwuchs und brauchen nicht noch mehr deutsche Professoren.

Das ist purer Populismus und löst keine Probleme.
Doch, natürlich. Einer der Haupttreiber für die Zuwanderung war der Staat selbst. Wenn ich mit Bundesämtern kommuniziere, werde ich öfters mit akzentfreiem Hochdeutsch konfrontiert. Einen Vorstoss für ein entsprechendes Rekrutierungsverbot im Ausland bin ich am Ausarbeiten. Ob es Ausnahmen braucht, bin ich noch am Abklären. Und ich möchte unsere Kantonsparlamentarier und wo nötig unsere Gemeinderäte ermutigen, dasselbe auf ihrer Stufe zu tun.

Herr Brunner, dann dürften Ausländer nicht mal mehr unsere Senioren pflegen oder die Strasse wischen.
Das sind kantonale und kommunale Hoheitsbereiche. Im Gesundheitsbereich könnte man sich aber bestimmt Ausnahmen überlegen. Strassenwischer müssen sicher nicht im Ausland rekrutiert werden. Es gibt genug Schweizer und bereits anwesende Ausländer, die solche Arbeiten ausführen können. Das Gleiche gilt für Lehrer: Wir haben schon genug Ausländer, die unsere Kinder unterrichten. Der Staat sollte auf allen Ebenen mit gutem Beispiel vorangehen und den Inländervorrang der Bundesverfassung zu 100 Prozent vorleben. Mit dem Nichtumsetzungsgesetz des Parlaments kommt kein einziger Ausländer weniger in die Schweiz. Irgendwo müssen wir nun aber ernsthaft anfangen. 

Die Realität hat Ihre Argumentation von damals eingeholt. Heute würde das Volk die MEI ablehnen. Schliesslich sind auch die Arbeitslosenzahlen nicht massiv gestiegen.
Falsch, die Sockelarbeitslosigkeit ist höher als früher. Und es gibt immer mehr Ausgesteuerte, die gar nicht mehr in den Statistiken erscheinen und von der Sozialhilfe leben müssen. Problematisch ist die stark steigende Arbeitslosigkeit bei bestimmten Ausländergruppen wie zum Beispiel den Portugiesen, die ohne Arbeit trotzdem mit den ganzen Familien hier bleiben. Aber auch Zuwanderer aus östlichen und südlichen Staaten sind überdurchschnittlich stark vertreten bei den Arbeitslosenzahlen.

«Das ganze Theater muss ich nicht mehr mitmachen», sagt Brunner, auf seinen Rücktritt angesprochen.

Mit Rasa-Initiative und Gegenvorschlägen, MEI-Referendum und Ihrer angedrohten Kündigungsinitiative stehen potenziell mehrere Abstimmungen an. Ihre Partei scheint heillos überfordert und strategielos.
Nein. Die SVP steht einfach einer breiten Phalanx aus Politik und Wirtschaft gegenüber. Was es jetzt braucht, sind klare und gut überlegte Antworten von unserer Seite.

Was empfehlen Sie Ihren Anhängern, falls das MEI-Referendum zustande kommt?
Egal, wie man sich bei so einer Abstimmung verhält, es würde nichts passieren. Persönlich würde ich Nein stimmen und das Gleiche empfehlen. Denn ein Ja würde als Umsetzung des Verfassungsartikels ausgelegt, was es natürlich nicht ist. Die SVP muss jetzt vorwärts- und nicht zurückblicken.

Welche Abstimmung ist denn die entscheidende?
Jene über die Beendigung der Freizügigkeit. Die SVP arbeitet bereits an möglichen Initiativtexten. Jetzt geht es aber erst mal darum, die hinterhältigen Angriffe – Stichwort Rasa – abzuwehren. Sollte da etwas schiefgehen, wäre die Initiative zur Beerdigung der Personenfreizügigkeit ein starker Trumpf in der Hinterhand. Sie wird zur Gretchenfrage für die Schweiz. Hält unser Land an der Freizügigkeit fest und wird damit in die EU gedrängt? Das wollen wir nicht.

Bereuen Sie Ihren Rücktritt als Parteichef? Immerhin stand mit der MEI-Umsetzung einiges auf dem Spiel für Ihre Partei.
Nein, das ganze Theater muss ich nicht mehr mitmachen. Mein Nachfolger Albert Rösti hat in jeder Beziehung beste Arbeit geleistet. Und die SVP hat detaillierte Vorschläge geliefert, die in der Stossrichtung ähnlich waren wie jene, die der Bundesrat zu Beginn gemacht hat. Unsere Partei ist jetzt gefordert, die Freizügigkeit auf den Tisch zu bringen.

Sie und Ihre Partei engagieren sich kaum für ein Ja zur USR III. Ist das die Rache an FDP, Economiesuisse und Co. dafür, dass sie die MEI nicht in Ihrem Sinne umgesetzt haben?
Nein, wir stehen zu dieser Reform und kämpfen für ein Ja. Bei einem Nein braucht es ganz einfach eine neue Reform, das wäre nicht so tragisch, aber umständlich und mit Unsicherheiten verbunden. Dass die Kampagne zur Unternehmenssteuerreform, koordiniert durch Economiesuisse, mit ihrem Layout schon sehr stark nach künftigen Kampagnen für europapolitische Abstimmungen riecht, ist meiner Ansicht nach ein Eigengoal und wird in unseren Reihen nicht goutiert.

Gäbe es ein Nein, wäre Ihre Intimfeindin wohl mitverantwortlich. Waren Sie überrascht von Widmer-Schlumpfs Intervention?
Nein. Ich kenne ihren Charakter.

Seit Ihrem Rücktritt ist es still geworden um Nationalrat Brunner. Was sind heute Ihre Kernaufgaben im Parlament?
Ich bin Mitglied zweier wichtiger Kommissionen – in jener für Umwelt und Energie und jener für die Sozialpolitik. Kurzfristig wird mich die katastrophale Energiestrategie 2050 fordern. Zudem beschäftigt aktuell die Altersreform 2020. Das ist für mich komplettes Neuland, es braucht Einarbeitungszeit. Darum bin ich auch nach aussen weniger präsent.

«Esther ist beruflich sehr eingespannt mit ihrer Firma. Unsere gemeinsamen freien Stunden sind nach wie vor eher selten», sagt Brunner über seine Beziehung.

Sie sassen mehr als die Hälfte Ihres Lebens im Nationalrat. Auf dem ersten Ersatzplatz wartet in Ihrem Kanton die SVP-Nachwuchshoffnung Mike Egger. Wäre es nicht Zeit, Platz zu machen?
Wenn ich Leute nerven will, sage ich: Noch zwei Jahre, dann habe ich die Hälfte meiner Zeit im Nationalrat erledigt (lacht). Aber ernsthaft: Ich wurde 2015 für vier Jahre gewählt. Manchen reicht es für den Sprung nach Bern, anderen nicht. So ist Politik. Ich werde die Legislatur mit Sicherheit beenden. 

Treten Sie 2019 nochmals an?
Ich habe nie weit voraus geplant, das werde ich wie bisher spontan entscheiden. Ich habe auch viele andere Projekte, ein Leben ausserhalb der Politik. Meine kleine Eringer-Zucht gedeiht prächtig. Mittlerweile stehen in meinem Stall zehn von diesen speziellen Tieren. Und glauben Sie mir: Die Betreuung braucht viel Zeit und Hingabe.

Neben den Kühen haben Sie auch noch eine Freundin. Haben Sie etwas mehr von Esther als früher?
Ja klar, aber ich habe leider weniger von ihr. Sie ist sehr beschäftigt, seit dem 1. Februar leitet sie im Mandatsverhältnis die SVP des Kantons St. Gallen. Esther ist beruflich sehr eingespannt mit ihrer Firma. Unsere gemeinsamen freien Stunden sind nach wie vor eher selten.

Was macht Toni Brunner im Jahr 2025?
Ich habe nie grossartig geplant in meinem Leben. Ich bin aber neugierig genug, um mir viele Wege offenzuhalten. Sicher ist: Der Lebensmittelpunkt wird auch nach 2025 mein Bauernhof bleiben. Ich werde bestimmt nicht bei «die Auswanderer» mitmachen. Überhaupt: Schweizer investieren ihren Wohlstandsüberschuss vor allem für Ferien im Ausland. Ich selber entdecke viel lieber noch mehr von der Schweiz!

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