Roche-Milliardärin Maja Hoffmann so politisch wie nie
«Der Rechtsrutsch macht mir Sorgen»

Kunst braucht Freiheit, sagt die Präsidentin des Filmfestivals von Locarno. Ein Gespräch über Politik, ihr bewegtes Leben – und ihre Vision für die Piazza Grande.
Publiziert: 04.08.2024 um 00:03 Uhr
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Aktualisiert: 04.08.2024 um 13:16 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Maja Hoffmann (68) zählt zu den reichsten Frauen der Schweiz. Bloomberg schätzt ihr Vermögen auf knapp sieben Milliarden US-Dollar; im Weltranking der 500 Reichsten steht sie auf Platz 410. Maja Hoffmann gibt ungern Interviews. Sie sagt, ihr gehe es um die Kunst und nicht um sich. Am Schweizer Nationalfeiertag hat Hoffmann Blick zum Gespräch nach Zürich-West eingeladen. Im Löwenbräu-Kunstareal ist auch die Luma-Stiftung daheim – die Stiftung ist nach Hoffmanns Kindern Lucas und Marina benannt.

Frau Hoffmann, was bedeutet Ihnen der 1. August?
Maja Hoffmann: Am 1. August feiere ich den Geburtstag meines Sohnes! Ich habe zwei Kinder, Lucas und Marina. Lucas kam vor 28 Jahren auf die Welt.

Sie wohnen im französischen Arles, in Zürich-Feldmeilen, Gstaad, London, New York und auf der Karibik-Insel Mustique. Habe ich einen Ort vergessen?
Auf Mustique kann ich zurzeit leider nicht wohnen, weil der Hurricane viele Häuser unbewohnbar gemacht hat. Ansonsten stimmt die Liste – wobei ich meistens im Hotel wohne.

Maja Hoffmann ist Präsidentin des Filmfestivals von Locarno.
Foto: James Hill/laif
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Was bedeutet Ihnen Heimat?
Die Wildpferde und der grosse Himmel der Camargue, wo ich aufgewachsen bin, aber auch die Berge in der Schweiz. Grossstädte finde ich zunehmend stressig. Ich sehne mich nach Antistress.

Die Schweiz debattiert seit Jahren über ihr Verhältnis zur Europäischen Union. Was bedeutet Ihnen Europa?
Für mich war immer klar: Die Schweiz ist ein Teil von Europa. Ich habe 1992 für einen Beitritt zum europäischen Wirtschaftsraum gestimmt.

Persönlich

Maja Hoffmann (68) ist Urenkelin von Fritz Hoffmann, der 1896 den Vorläufer des Basler Pharmakonzerns Roche gegründet hatte. Ihr Bruder ist Roche-Vizepräsident André Hoffmann. Maja Hoffmann wuchs in der Camargue (Südfrankreich) auf. Kunst ist ihre grosse Leidenschaft: Sie hat in Arles (F) zwei Museen gegründet und fördert mit Stiftungen Kunst in aller Welt. In jungen Jahren war Maja Hoffmann mit dem Theaterregisseur Werner Düggelin zusammen, später mit dem Pianisten Nicolas Economou. Heute ist der Filmproduzent Stanley F. Buchthal ihr Lebenspartner. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder: Lucas und Marina. Seit September 2023 präsidiert Maja Hoffmann das Filmfestival von Locarno.

Keystone

Maja Hoffmann (68) ist Urenkelin von Fritz Hoffmann, der 1896 den Vorläufer des Basler Pharmakonzerns Roche gegründet hatte. Ihr Bruder ist Roche-Vizepräsident André Hoffmann. Maja Hoffmann wuchs in der Camargue (Südfrankreich) auf. Kunst ist ihre grosse Leidenschaft: Sie hat in Arles (F) zwei Museen gegründet und fördert mit Stiftungen Kunst in aller Welt. In jungen Jahren war Maja Hoffmann mit dem Theaterregisseur Werner Düggelin zusammen, später mit dem Pianisten Nicolas Economou. Heute ist der Filmproduzent Stanley F. Buchthal ihr Lebenspartner. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder: Lucas und Marina. Seit September 2023 präsidiert Maja Hoffmann das Filmfestival von Locarno.

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Wie blicken Sie heute auf Europa?
Nicht nur Europa, die ganze Welt verändert sich und rutscht extrem nach rechts. Dieser allgemeine Rechtsrutsch macht mir Sorgen.

Macht Ihnen der Aufstieg des Front National in Frankreich Angst?
Angst ist der falsche Begriff. Aber ich war stolz und erleichtert, dass im letzten Moment der Front National ausgebremst wurde. Meine Werte sind linksliberal, auch wenn ich ins Establishment geboren wurde. Das Establishment ist nicht so rechts, wie man oft meint.

Wie blicken Sie auf den US-Wahlkampf?
Kamala Harris ist eine sehr interessante Figur. Ich hoffe, sie schafft es ohne Hindernisse. Weitere Tragödien in den USA sollen uns erspart bleiben.

Sie sagten kürzlich an einer Medienkonferenz: «Be nice to me!» Sind Journalisten nicht nett zu Ihnen?
Ich arbeite wirklich viel. Doch das Einzige, wonach ich gefragt werde, ist Geld.

So viele Milliardärinnen, die sich für Kunst interessieren, gibt es in der Schweiz nicht.
Trotzdem verkürzt die Frage nach Geld alles. Sie verhindert, in die Tiefe zu gehen.

Dennoch eine Frage zum Geld: Die Jungsozialisten lancieren eine Volksinitiative für eine Erbschaftssteuer von 50 Prozent auf Vermögen über 50 Millionen Franken. Der Unternehmer Peter Spuhler hat gesagt, er würde dann aus der Schweiz auswandern.
Ich habe die Debatte nicht verfolgt. Eine Schweiz ohne Millionäre? Das könnte eine interessante Filmkomödie werden! Nein, ganz im Ernst: Ich möchte und kann mich da nicht äussern.

Nun zu Tiefsinnigem: Welche Werte sind Ihnen wichtig?
Arbeit. Loyalität. Commitment. Unabhängigkeit.

Was ist mit Umweltschutz? Ihr Vater hat den WWF mitbegründet.
Auch die Umwelt ist mir ein wichtiges Anliegen. Ebenso die Themen Nachhaltigkeit und Klimawandel.

Pharmakonzerne sind wichtig für die Weltgesundheit. Wo sehen Sie als Roche-Erbin Ihre Verantwortung?
Ich bin nicht in das Tagesgeschäft des Konzerns involviert und war es nie. Mein Bruder und mein Neffe vertreten die Interessen unserer Familie. Ich sage ihnen immer wieder, obwohl sie das auch selbst wissen: Mir sind Nachhaltigkeit und sehr gute Arbeitsbedingungen für die Mitarbeitenden sehr wichtig. Dazu gehört auch die Förderung hochwertiger Kultur.

Als Aktionärin können Sie Stimmrechte delegieren, nicht aber Verantwortung. Was heisst Verantwortung für Sie ganz konkret?
Ich gebe einen grossen Teil der jährlichen Dividenden in Form von Philanthropie zurück. Mir ist wichtig, dass meine Projekte auch ohne mich weiterleben. Die Projekte sind wie Kinder: Wenn sie erwachsen sind, müssen sie auf eigenen Füssen stehen.

Sie sind in Basel geboren und in Südfrankreich aufgewachsen. Was haben Sie nach der Matura gemacht?
Ich habe zwei Jahre in Montpellier Biologie studiert. Doch dann gab es viele Streiks an der Uni, und ich habe das Studium abgebrochen. Ausserdem bin ich viel gereist. Meine Zeit mit meinem ersten Partner Werner Düggelin am Schauspielhaus Zürich von 1977–1984 war sehr prägend. Zeitgleich habe ich die Ringier-Journalistenschule absolviert.

Im Journalismus geht es nicht um Fantasie, sondern um Fakten. War Ihnen das nicht zu langweilig?
Zuerst kam die Journalistenschule, dann das Theater. Tatsächlich fand ich das Theater aufregender. Später zog es mich nach Paris und New York.

Haben Sie es als Studentin in Paris so richtig krachen lassen?
Ja, ich habe viele Leute kennengelernt, viel gelebt und auch viel gefeiert. Auch New York war sehr prägend für mich.

Waren Sie im legendären «Studio 54» tanzen?
Ich war damals noch zu jung, aber ich habe mich reingemogelt …

… und dann mit Mick Jagger getanzt?
Nicht mit ihm, aber Mick Jagger werde ich nach Locarno zum Filmfestival einladen!

Dieses Jahr?
Noch nicht. Ich war seit 1997 nicht mehr richtig in Locarno. Ich muss Locarno neu kennenlernen.

Welche Kunst inspiriert Sie?
Mich inspiriert vor allem die Intelligenz von Künstlerinnen und Künstlern. Vor allem die Intelligenz, die aus dem Herzen kommt. Und ich entdecke gerne Neues – neue Bedeutungen, neue Zusammenhänge. Mich fasziniert Kunst, die alle Sinne anspricht und wie ein Organismus lebt.

Von welchen Newcomern waren Sie zuletzt beeindruckt?
Die von der Luma-Stiftung koproduzierte Sommerausstellung in der Fondation Beyeler in Basel ist beeindruckend. Oder auch Julien Creuzet, ein französischer Konzeptkünstler mit Vorfahren aus Martinique. Er stellt dieses Jahr auf der Biennale in Venedig im französischen Pavillon aus. Mich berührt die spirituelle Ebene seiner Kunst. Er denkt in grösseren Zusammenhängen, steht im Dialog mit seinen Vorfahren, deutet die Welt ganzheitlich.

Was bedeutet Ihnen Spiritualität?
Die Welt ist so viel grösser als das, was wir kognitiv erahnen können.

Steht Spiritualität im Widerspruch zur ehemaligen Biologiestudentin Maja Hoffmann?
Nein, ganz im Gegenteil: Wissenschaft und Kunst liegen nah beieinander. Beide Disziplinen liefern Erklärungen. Beide Disziplinen bereichern sich.

Haben Sie die Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris verfolgt?
Eigentlich hätte ich in Paris sein sollen, aber die Reiserei wurde mir zu kompliziert. Ich habe die Eröffnung mit Freunden vor dem Fernsehen verfolgt.

Hat Ihnen die Eröffnungsfeier gefallen?
Sie hat mich an die Sicherheitshinweise von Air France erinnert: Alle Sitzen im Flieger und schauen, was die Flight-Attendants im Film machen. Diese wiederum nehmen das Ganze mit französischem Humor …

Es gab eine Debatte: Zeigte das Spektakel ein dionysisches Fest – oder Blasphemie, weil eine Dragqueen Teil des christlichen Abendmahls war …
Für mich war es eindeutig ein griechisches Trinkgelage. Die Inszenierung war nicht antireligiös, sondern sehr inklusiv. Alle waren eingeladen – unabhängig vom Alter, der Hautfarbe, dem Geschlecht oder der sexuellen Orientierung. Ein starkes Symbol, passend zum Motto der Olympischen Spiele 2024: «Games Wide Open!» Very French!

Gefällt Ihnen das Motto?
Ja. Es ist so traurig, dass wir uns immer mehr verschliessen, weniger offen werden.

Was erwarten Sie von der Schweizer Kulturpolitik?
Kulturpolitik ist ein Begriff aus dem 20. Jahrhundert. Kunst und Kultur sind für mich zunächst keine Sache der Politik, sondern einfach da. Kultur bedeutet soziales Engagement. Kultur soll ihren Platz einnehmen und kann ebenbürtig an Debatten teilnehmen, wie es die Wirtschaftswelt auch macht. Die Schweizer Politik muss alles dafür tun, um die Kunstfreiheit und die Sicherheit zu garantieren. Kultur ist ein Schlüssel zum Aufbau unserer Zukunft.

Braucht Kultur in der Schweiz mehr Wertschätzung?
Es geht mir um mehr. Während der Corona-Pandemie haben alle gemerkt: Wir wollen mehr als einfach nur Business. Kunst bereichert unser Leben und muss einbezogen werden, um unsere Zukunft zu gestalten.

Sie arbeiten in New York mit Pro Helvetia zusammen. Aktuell geben Sparmassnahmen zu reden, die Kulturstiftung Pro Helvetia will sich aus dem Palazzo Trevisan in Venedig zurückziehen.
Pro Helvetia ist in einer Phase des Umbruchs. Ein Rückzug aus Venedig fände ich problematisch. Die Biennale ist der Ort, wo die Weltkunst zusammenkommt. Das Nachbarland Schweiz ist seit vielen Jahren in Venedig stark präsent und sollte es meiner Meinung nach bleiben.

Welche Vision haben Sie für das Filmfestival Locarno?
Es gibt zwei Wege, die wir einschlagen können. Dort bleiben, wo wir sind – unser Programm ist hervorragend. Oder wir gehen vorwärts.

Was heisst für Sie «vorwärtsgehen»?
Wir machen im Herbst einen Workshop, wo wir das Festival evaluieren. Nichts ist in Stein gemeisselt, wir werden über alles sprechen. Ich kann mir sogar vorstellen, das Datum zu ändern. Der August ist ein ungünstiger Zeitpunkt. Im August möchten sich die Profis erholen und nicht nach Locarno reisen. Und wir müssen Locarno als Ort attraktiver machen sowie das Interesse der Studios und der Agenturen wecken.

Sie wollen Locarno wachküssen.
Locarno ist ein verträumter Ort am Lago Maggiore, am Fusse von romantischen Bergen mit vielfältigen Möglichkeiten – aber der Ort ist nicht einfach zu erreichen.

Wie wollen Sie das ändern?
Das Filmfestival braucht bessere Verbindungen nach Mailand, in die Deutschschweiz und in die Romandie. Innerhalb des Kantons ist der öffentliche Verkehr dank der SBB bereits inbegriffen und kostenlos. Wäre es nicht toll, wenn wir die SBB für Sonderzüge gewinnen könnten?

Könnten Sie es sich vorstellen, eine Filmreihe auch mal von Künstlerinnen wie Annie Leibovitz oder Judy Chicago kuratieren zu lassen?
Ja, das kann ich mir sehr gut vorstellen – auch mit jüngeren Künstlerinnen und Künstlern. Andere Protagonisten bringen andere Perspektiven mit. Die Vielfalt machts!

Halten Sie an Giona Nazzaro als künstlerischem Leiter fest?
Ja! Giona und das Team leisten exzellente Arbeit.

Wie wäre es mit einer Party auf der Piazza Grande mit dem Star-DJ David Guetta oder der Sängerin Lady Gaga?
Auch das kann ich mir gut vorstellen. Mir wird oft gesagt, dass alles kompliziert sei. Ich finde, wir sollten alles versuchen.

Ihre Partys gelten als legendär: Im Vorfeld der Art Basel laden Sie in Ihre Villa nach Zürich-Feldmeilen ein. Was macht eine gute Party aus?
Wir organisieren am Abend vor der Art Basel ein Abendessen. Eine gute Party braucht Performance. Eine gute Party geht lange, aber ich gebe jedes Jahr auf, weil meine Nachbarn nicht zu viel Lärm wollen.

«Think big!» Wovon träumen Sie?
I always think big! (Lacht.) In Locarno soll die Zukunft zum Leben kommen! Locarno soll eine Utopie sein. Ein Ort mit ausreichend Treibstoff für die Kunst. Eine Utopie, die Realität werden kann. Wir tun alles, damit Locarno eine erstklassige Kulturveranstaltung auf der Welt bleibt und Locarno über die Grenzen des Tessins und der Schweiz hinausstrahlt.

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