Abrüstungsvertrag mit Russland endgültig am Ende
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USA treten aus:Abrüstungsvertrag mit Russland endgültig am Ende

Russland - USA
USA beenden endgültig historisches Abrüstungsabkommen INF

Die Auflösung eines wichtigen Abrüstungsabkommen zwischen den USA und Russland schürt Sorgen vor einem neuen globalen Rüstungswettlauf. Die USA kündigten umgehend an, ein neues Mittelstreckensystem zu entwickeln.
Publiziert: 02.08.2019 um 20:24 Uhr
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Aktualisiert: 07.08.2019 um 09:12 Uhr
Im Visier der neuen Raketen des Pentagon: Der russische Marschflugkörper 9M729.
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Die USA bestätigten nach einer sechsmonatigen Kündigungsfrist das endgültige Aus für die Vereinbarung mit Russland. Sie war 1987 im Kalten Krieg geschlossen worden und sah vor, dass beide Seiten auf landgestützte atomare Mittelstreckenraketen verzichten. Nun wird ein neues Wettrüsten zwischen den beiden Ländern befürchtet.

USA kündigt Entwicklung neuer Waffensysteme an

Russland sei den Aufforderungen nach einer Zerstörung seines vertragswidrigen Marschflugkörpersystems SSC-8 nicht nachgekommen, erklärte US-Aussenminister Mike Pompeo. Die Vereinigten Staaten könnten deswegen nicht an dem Abkommen festhalten. Russland trage die alleinige Verantwortung für das Aus.

US-Verteidigungsminister Mark Esper kündigte umgehend an, dass die USA nun mit der Entwicklung eines Mittelstreckenraketensystems voranschreiten würden. Das Pentagon hatte bereits 2017 die Grundlage dafür gelegt.

Washington argumentierte damals, dass Forschungspläne für das mobile landgestütztes System als Botschaft an Russland gedacht seien, sich wieder an den Vertrag zu halten. Esper erklärte am Freitag, da die USA sich nun aus dem Abkommen zurückgezogen hätten, werde das Verteidigungsministerium die Entwicklung «uneingeschränkt» vorantreiben. Er handele sich um eine «besonnene Antwort auf Russlands Handlungen».

Nato steht hinter US-Entscheidung

Das Aussenministerium in Moskau erklärte, das Abkommen sei auf Initiative der USA beendet worden. «Washington hat einen schwerwiegenden Fehler begangen», hiess es einer Mitteilung der Agentur Tass zufolge.

Die Nato-Partner stellten sich mit einer gemeinsamen Erklärung geschlossen hinter die Entscheidung der USA. Für das Ende des Vertrags trage Russland die Verantwortung, sagte der deutsche Aussenminister Heiko Maas.

Erneutes Wettrüsten verhindern

Nun gehe es darum, nicht in einen Rüstungswettlauf einzusteigen und defensiv darauf zu antworten. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sagte: «Wir wollen keinen neuen Rüstungswettlauf.» Dafür müsse Russland aber sein Verhalten ändern.

Der russische Vize-Aussenminister Sergej Rjabkow hatte kurz vor dem Auslaufen des INF-Vertrages noch einmal ein Moratorium auf die Stationierung von Raketensystemen mittlerer und kürzerer Reichweite in Europa vorgeschlagen.

Dies lehnte Stoltenberg allerdings als «Angebot ohne jede Glaubwürdigkeit» ab. Es gebe in Europa keine neuen Marschflugkörper der USA oder der Nato, dafür aber mehr und mehr russische, sagte er.

Wenn Russland wirklich keine Mittelstreckenwaffen in Europa wolle, sollte es erst einmal damit aufhören, selbst welche zu stationieren, ergänzte Stoltenberg. Zudem könnte Russland die bereits vorhandenen Systeme zerstören.

Welche Vorwürfe erhebt die USA gegen Russland?

Die Amerikaner und die Nato werfen den Russen konkret vor, mit ihren Waffen vom Typ 9M729 (Nato-Code: SSC-8) gegen den Vertrag verstossen zu haben, weil sie weiter fliegen als erlaubt. Moskau bestreitet dies und beteuert, vertragstreu gewesen zu sein.

Das russische Waffensystem soll in der Lage sein, Marschflugkörper abzufeuern, die sich mit Atomsprengköpfen bestücken lassen und mehr als 2000 Kilometer weit fliegen können. Russland gibt die maximale Reichweite der SSC-8 hingegen mit 480 Kilometern an.

Das wäre vertragskonform, da das Abkommen lediglich den Besitz landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen mit Reichweiten zwischen 500 und 5500 Kilometern untersagte.

Wie geht es weiter?

Die Nato will nun in den kommenden Monaten entscheiden, wie sie auf das Aus für den Abrüstungsvertrag und die russischen SSC-8 reagiert. Eine Option ist, dass die Bündnisstaaten ihre Präsenz im östlichen Bündnisgebiet und in der Ostsee verstärken und den Schutz kritischer Infrastruktur durch Raketen- und Luftabwehrsysteme ausbauen. Zudem könnten neue konventionelle Waffensysteme und Raketenabwehrsysteme stationiert werden, um Russland abzuschrecken.

Die Stationierung neuer landgestützter atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa gehört nach Angaben von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg derzeit nicht zu den Optionen. Man müsse das russische Verhalten nicht spiegeln, um weiter eine glaubwürdige Abschreckung und Verteidigung zu gewährleisten, heisst es zur Begründung.

Andere Mächte rüsten ebenfalls auf

Hoffnungen auf neue wirksame Absprachen zur Rüstungskontrolle gibt es derzeit kaum. Als Grund für die Kündigung des Vertrages durch die USA gilt nämlich auch die Tatsache, dass der INF-Vertrag nur Amerikaner und Russen bindet, nicht aber aufstrebende Militärmächte wie China.

China soll mittlerweile über knapp 2000 ballistische Raketen und Marschflugkörper verfügen, die unter das Abkommen fallen würden. US-Präsident Donald Trump hat sich dafür ausgesprochen, bei neuen Verhandlungen auch China mit einzubeziehen. Peking hat aber bereits klar gemacht, dass es kein Interesse daran hat.

US-Aussenminister Pompeo forderte China und Russland am Freitag dennoch noch einmal auf, die Gelegenheit für Gespräche zu nutzen. Trump wolle bei der Rüstungskontrolle ein neues Kapitel aufschlagen, sagte er. (SDA)

INF-Vertrag – darum geht es

Was ist der INF-Vertrag?

Ein wichtiger Atom-Abrüstungsvertrag zwischen der USA und Russland. Er wurde am 8. Dezember 1987 anlässlich des Gipfeltreffens von Washington vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow unterzeichnet. 

Was regelt der Vertrag?

Die Vernichtung aller Flugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer). Den USA und Russland ist es seither nicht mehr erlaubt, landgestützte Nuklearraketen mit den obengenannten Reichweiten zu produzieren, zu besitzen oder zu testen. 

Warum will Trump aussteigen?

Weil Russland nach Ansicht der USA und der Nato den Vertrag verletzt haben soll. Die US-Regierung bezieht ihre Anschuldigungen auf neue russische Marschflugkörper mit dem Nato-Code SS-C-8, die es auf eine Reichweite von bis zu 2600 Kilometern bringen sollen. 

Was sagt Russland zu den Anschuldigungen? 

Putin und Co. haben die Anschuldungen stets als Humbug abgetan. Die USA verfüge über keine Beweise, so der offizielle Standpunkt der russischen Regierung. Putin behauptet ausserdem, von den Abschussrampen des Nato-Raketenschutzschirms in Rumänien könnten jederzeit auch atomar bestückte US-Marschflugkörper gestartet werden. 

Was bedeutet der Rückzug der USA?

«Nichts Gutes», sagt Howard Stoffer, ehemaliger US-Diplomat und heute Professor an der «University of New Haven», zu BLICK. Stoffer hat von 1984 bis 1987 am INF-Vertrag mitgearbeitet, ein Jahr davon in Genf. «Ich war im Raum, als Reagan und Gorbatschow den Vertrag unterschrieben haben», erinnert er sich. Dass Donald Trump nun den Rückzug der USA ankündigte, sei ein «schlechter Tag für den Weltfrieden», so Stoffer. 

Er sieht ein Rüstungswettlauf auf die Welt zukommen, wie damals im Kalten Krieg. «Das setzt uns zurück in die späten 70er und frühen 80er Jahre.» Anstatt das Geld für Wettrüsten auszugeben, würde die Weltgemeinschaft besser in soziale Probleme wie die Armut oder die Umwelt investieren, so der langjährige US-Diplomat. 

Welche Rolle spielt China?

Eine grosse! Der INF-Vertrag habe die USA gegenüber Peking in eine «übertrieben schwache Position» gebracht, zitiert die «Washington Post» einen anonymen Diplomaten. Denn während den USA in der Pazifikregion aufgrund des Vertrages die Mittelstreckenwaffen fehlen, die vom Land aus eingesetzt werden können, sind die Chinesen in Besitz von Hunderten solcher Raketen. 

Wie realistisch ist ein neues Abkommen in naher Zukunft unter den drei Supermächten?

«Ich schätze diese Vorstellung als Illusion ein», sagt der ehemalige US-Diplomat Howard Stoffer. Die Verhandlungen könnten Jahre dauern, während nebenbei ein gefährliches Wettrüsten stattfindet.

Stoffer schlägt vor: «Die drei Supermächte sollten in Genf zusammensitzen und eine rasche Kompromisslösung finden. Zum Beispiel soll jedes Land Inspektionsteams in die anderen Länder schicken können, um die Einhaltung des neuen Vertrages zu überwachen.» Dass China und Russland da mitspielen würden, glaube er jedoch nicht.

Was ist der INF-Vertrag?

Ein wichtiger Atom-Abrüstungsvertrag zwischen der USA und Russland. Er wurde am 8. Dezember 1987 anlässlich des Gipfeltreffens von Washington vom damaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und dem sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow unterzeichnet. 

Was regelt der Vertrag?

Die Vernichtung aller Flugkörper mit kürzerer und mittlerer Reichweite (500 bis 5500 Kilometer). Den USA und Russland ist es seither nicht mehr erlaubt, landgestützte Nuklearraketen mit den obengenannten Reichweiten zu produzieren, zu besitzen oder zu testen. 

Warum will Trump aussteigen?

Weil Russland nach Ansicht der USA und der Nato den Vertrag verletzt haben soll. Die US-Regierung bezieht ihre Anschuldigungen auf neue russische Marschflugkörper mit dem Nato-Code SS-C-8, die es auf eine Reichweite von bis zu 2600 Kilometern bringen sollen. 

Was sagt Russland zu den Anschuldigungen? 

Putin und Co. haben die Anschuldungen stets als Humbug abgetan. Die USA verfüge über keine Beweise, so der offizielle Standpunkt der russischen Regierung. Putin behauptet ausserdem, von den Abschussrampen des Nato-Raketenschutzschirms in Rumänien könnten jederzeit auch atomar bestückte US-Marschflugkörper gestartet werden. 

Was bedeutet der Rückzug der USA?

«Nichts Gutes», sagt Howard Stoffer, ehemaliger US-Diplomat und heute Professor an der «University of New Haven», zu BLICK. Stoffer hat von 1984 bis 1987 am INF-Vertrag mitgearbeitet, ein Jahr davon in Genf. «Ich war im Raum, als Reagan und Gorbatschow den Vertrag unterschrieben haben», erinnert er sich. Dass Donald Trump nun den Rückzug der USA ankündigte, sei ein «schlechter Tag für den Weltfrieden», so Stoffer. 

Er sieht ein Rüstungswettlauf auf die Welt zukommen, wie damals im Kalten Krieg. «Das setzt uns zurück in die späten 70er und frühen 80er Jahre.» Anstatt das Geld für Wettrüsten auszugeben, würde die Weltgemeinschaft besser in soziale Probleme wie die Armut oder die Umwelt investieren, so der langjährige US-Diplomat. 

Welche Rolle spielt China?

Eine grosse! Der INF-Vertrag habe die USA gegenüber Peking in eine «übertrieben schwache Position» gebracht, zitiert die «Washington Post» einen anonymen Diplomaten. Denn während den USA in der Pazifikregion aufgrund des Vertrages die Mittelstreckenwaffen fehlen, die vom Land aus eingesetzt werden können, sind die Chinesen in Besitz von Hunderten solcher Raketen. 

Wie realistisch ist ein neues Abkommen in naher Zukunft unter den drei Supermächten?

«Ich schätze diese Vorstellung als Illusion ein», sagt der ehemalige US-Diplomat Howard Stoffer. Die Verhandlungen könnten Jahre dauern, während nebenbei ein gefährliches Wettrüsten stattfindet.

Stoffer schlägt vor: «Die drei Supermächte sollten in Genf zusammensitzen und eine rasche Kompromisslösung finden. Zum Beispiel soll jedes Land Inspektionsteams in die anderen Länder schicken können, um die Einhaltung des neuen Vertrages zu überwachen.» Dass China und Russland da mitspielen würden, glaube er jedoch nicht.

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