Ein Drittel mehr Anzeigen
Der neue Volkssport: Polizisten verklagen

Ein Blick in die Kriminalitätsstatistik fördert Erschreckendes zutage: Immer mehr Beamte werden wegen Amtsmissbrauch angezeigt.
Publiziert: 03.10.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 16:10 Uhr
Polizisten müssen immer öfter mit einer Anzeige wegen Amtsmissbrauchs rechnen.
Foto: Pascal Mora
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Simon Huwiler

Die beiden Polizisten rückten 2011 in Schlieren ZH aus, um im Streit zwischen einem angetrunkenen IV-Rentner und seinem Schrebergarten-Nachbarn zu vermitteln. Zurück kamen die Beamten mit einer Anzeige wegen Amtsmissbrauchs. Sie hätten den IV-Rentner tätlich angegangen, so der Vorwurf.

Keine Seltenheit, wie ein Blick in die Kriminalstatistik verrät. In den letzten Jahren ist die Anzahl Anzeigen wegen Amts­missbrauchs förmlich in die Höhe geschossen. Wurden 2013 noch 88 solche Begehren eingereicht, mussten sich die Gerichte im letzten Jahr mit 124 Verfahren beschäftigen.

Eine sehr grosse Anzahl fällt dabei auf den Kanton Zürich: 47 Meldungen allein im letzten Jahr verzeichnet die Kriminalstatistik. Das sind fast 40 Prozent aller in der Schweiz angezeigten Amtsmissbräuche. Auf Platz zwei liegt Basel-Stadt mit 35 Anzeigen. Die beiden Kan­tone sind zwar gross, doch nur daran kann es nicht liegen. Zum Vergleich: Der Kanton Bern behandelt fast achtmal weniger.

Gewalttätige Zürcher und Basler Polizisten?

Woher kommen die vielen Anzeigen? Sind Polizisten gewalttätiger geworden? Ralph Hirt, Sprecher der Zürcher Kantonspolizei, relativiert. Unter Amtsmissbrauch fallen Missbräuche etwa durch Polizisten, Bahn­polizisten, Kontrolleure, Betreibungsbeamte und Personen in weiteren Funktionen. Eine Statistik, wie oft gegen welche Berufsgruppe wegen Amtsmissbrauchs rapportiert werden muss, führt die Polizei nicht.

Der Grund für Zürichs Führung in dieser unrühmlichen Statistik sieht Hirt in den vielen Aktivitäten, welche in Zürich stattfinden: «Zürich ist der bevölkerungsreichste Kanton mit vielen Demonstrationen und Sportveranstaltungen. Da ist die Stimmung oft aufgeheizt, und es kommt eher zu Gewalt gegen Polizeibeamte.»

Reicht ein Beamter eine Anzeige ein, reagieren die Täter prompt: «Wir haben die Erfahrung gemacht, dass angezeigte Personen oft zum Gegenangriff übergehen und die Polizisten ihrerseits anzeigen.»

Auch Basel ist bekannt für emotionsgeladene Sportveranstaltungen. Auch hier stellt man fest, «dass von polizeilichen Mass­nahmen betroffene Personen vermehrt Anzeige erstatten», sagt Pascal Eisner, Präsident des Polizeibeamten-Verbands Basel-Stadt. Aber auch die Gewalt gegen Beamte habe sich vervielfacht.

Viele Anzeigen, kaum Verurteilungen

Ist Polizisten-Anzeigerlis zum neuen Volkssport geworden? Aus dem Verband Schweizer Polizeibeamter klingt es ernüchternd. «Es ist leider keine Sel­tenheit, dass Beamte verzeigt werden», sagt der Generalsekretär und ehemalige Polizist Max Hofmann. Das genannte Beispiel sei an der Tagesordnung.

Er selbst habe auch schon Anzeigen erhalten. «Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs sind zu einer Waffe geworden. Als Polizist wird man früher oder später damit konfrontiert», sagt Hofmann. Nützen tue es nichts, «es belastet alle nur».

Die beiden Polizisten im Schrebergartenfall wurden zwar verurteilt, doch die beiden Stadtpolizisten stehen Morgen erneut vor Gericht. Das Bundesgericht will den Schuldspruch korrigieren und verlangte eine neue Verhandlung.

Auch ein Blick in die Strafurteilsstatistik bestätigt: Selten bewahrheiten sich Anzeigen wegen Amtsmissbrauchs. Die Schweizer Gerichte haben im letzten Jahr gerade mal 20 Verurteilungen vorgenommen. In Zürich waren es drei, in Basel eine.

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