Rupperswil-Killer suchte Buben im Internet
Was Schulen ungeschützt online stellen

Jugendschutz hat Priorität, erst recht seit Rupperswil. Doch vor allem Aargauer Schulen stellen grosszügig Daten ins Netz. Ein Vater reichte Klage ein.
Publiziert: 17.03.2018 um 23:17 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 21:45 Uhr
Klassenfotos sind an vielen Aargauer Schulen einsichtbar.
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Reza Rafi

Der Täter von Rupperswil führte eine Liste mit elf weiteren potenziellen Opfern. Identifizieren konnte er die Buben dank Online-Recherchen. Der schreckliche Fall richtet den Fokus damit auf ein gesellschaftliches Problem, das mit dem digitalen Fortschritt immer wichtiger wird: Wie schützt man die Jungen im Internet?

Von allen Seiten werden Teenager zur Vorsicht in den sozialen Medien angehalten. Fachleute warnen davor, zu viel von sich preiszugeben. Wer sich ungeschützt mit Bild und Namen präsentiert, macht sich zum möglichen Ziel von Pädophilen, Betrügern und Erpressern. Viele Eltern verzichten auf Bilder ihres Nachwuchses auf Facebook & Co. Das Zürcher Kompetenzzentrum Cybercrime erarbeitet derzeit mit Partnerbehörden eine Strategie, um die Bürger im Umgang mit den neuen Medien zu schulen.

Nun müsste man erwarten, dass gerade die Schulen hier eine Vorreiterrolle einnehmen. Doch weit gefehlt.

Es steht im krassen Widerspruch zur Aufklärungsarbeit von Experten und der Empfehlung von Datenschützern, was manche Bildungseinrichtungen ohne Passwortschutz ins World Wide Web stellen: Per Mausklick lässt sich von Klassenfoto zu Klassenfoto wandern; man stösst auf Stundenpläne – weiss also, wann die Zöglinge Schulschluss haben –, Klassenarbeiten, Lehrernamen, Zimmernummern, Ferienpläne.

Am freizügigsten sind die Schulen im Aargau. Anders als in anderen Kantonen existieren dort keinerlei Datenschutzrichtlinien für das Bildungswesen.

Gläserne Schulen

Innert kürzester Zeit lassen sich im Autokanton Dutzende Beispiele von gläsernen Schulen finden, wie eine Stichprobe des SonntagsBlicks zeigt.

Wenig zimperlich im Umgang mit Daten ist man auch bei der Schule Widen. Dort werden die Primarklassen stolz der Öffentlichkeit präsentiert.

Einem Vater wurde dies zu viel. Boris Etter, von Beruf Rechtsanwalt und Verleger, hat 2016 Beschwerde gegen die «rechtswidrige Bildpublikation auf der Website der Schule Widen» eingereicht. Er wollte verhindern, dass die Einrichtung das Klassenbild seines Sohnes, der damals in die fünfte Klasse ging, ins Internet stellt – ohne Passwortschutz, mit Angaben der Klasse, des vollen Namens der Lehrerin und des Klassenzimmers. «Im Interesse aller Kinder fordere ich Sie hiermit auf, die rechtswidrige und gefährliche Internetveröffentlichung von Klassenfotos, Lehrern, Zimmern und Stundenplänen zu unterlassen», heisst es im Schreiben.

Boris Etter, Vater eines Schülers, hat Anzeige erstattet.

Es folgte eine Anzeige wegen Verstosses gegen das Aargauer Datenschutzgesetz. Pikanterweise verwies Etter bereits in seiner Anzeige im Mai 2016 auf den Fall Rupperswil: Er erinnerte die Behörden an die «Ereignisse und derzeitigen klaren Erkenntnisse im Fall Rupperswil, dass der Täter sein Opfer genau ausgewählt hatte». Für Etter ist klar: Die Schule «tritt das Datenschutzrecht mit Füssen».

In seiner Antwort wies der kantonale Datenschützer die Anzeige ab. Die Präsidentin der Schulpflege Widen befand in ihrer Antwort: «Eine Schulwebseite lebt von Berichten und Bildern der Schule, weshalb wir unbedingt an diesen festhalten wollen.» Es würden schliesslich «keine Schülernamen neben das jeweilige Foto gesetzt. Eine Identifikation ist somit nicht möglich.»

Man habe als Reaktion auf Etters Anzeige jedoch entschieden, jegliche Fotos und alle auf unserer Schulwebsite veröffentlichten Berichte und Schülerarbeiten per sofort zu löschen».

Es gibt nur eine Empfehlung

Die Aargauer Bildungsdirektion sieht keinen Handlungsbedarf, stellt jedoch klar: «Wir empfehlen den Schulen, auf Bilder von Schülerinnen und Schülern und weitere Personendaten wie Schülerlisten auf Schulwebseiten zu verzichten.»

Klassenfotos könnten für die Aargauer «allenfalls auf einer geschützten internen Plattform zur Verfügung gestellt werden» – sofern freilich eine Einwilligung der Schüler und Eltern eingeholt wird. «Stundenpläne erachten wir als weniger problematisch, solange sie nicht direkt mit einzelnen Schülerinnen und Schülern in Verbindung gebracht werden können.»

So schützen sich Kinder im Netz

Die Beratungsstelle für digitale Medien im Unterricht, Imedias, hat für Eltern und Kinder eine Checkliste erstellt. Dazu gehören folgende Punkte:

  • Eltern sollen die Kinder über die Gefahren im Netz informieren.
  • Eltern sollen wissen, was ihr Kind im Internet macht.
  • Keine Bekanntgabe von persönlichen Daten in Chats (Angaben über Name, Vorname, Adresse, Telefonnummer, Schulort, Adresse von Freunden, Fotos etc.).
  • Das Kind darf alleine keine Chatpartner treffen.
  • Auf sozialen Medien die Sicherheitseinstellungen so einrichten, dass nur Freunde das Konto einsehen können.
  • Bei der Anmeldung in Chats nur Fantasienamen verwenden, ohne Angaben von persönlichen Daten.

Die Beratungsstelle für digitale Medien im Unterricht, Imedias, hat für Eltern und Kinder eine Checkliste erstellt. Dazu gehören folgende Punkte:

  • Eltern sollen die Kinder über die Gefahren im Netz informieren.
  • Eltern sollen wissen, was ihr Kind im Internet macht.
  • Keine Bekanntgabe von persönlichen Daten in Chats (Angaben über Name, Vorname, Adresse, Telefonnummer, Schulort, Adresse von Freunden, Fotos etc.).
  • Das Kind darf alleine keine Chatpartner treffen.
  • Auf sozialen Medien die Sicherheitseinstellungen so einrichten, dass nur Freunde das Konto einsehen können.
  • Bei der Anmeldung in Chats nur Fantasienamen verwenden, ohne Angaben von persönlichen Daten.
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Die Zurschaustellung von Schülerbildern ohne Passwortschutz bleibt indes vor allem eine Spezialität aus dem Rüeblikanton.

Sehr viel strikter verfährt beispielsweise die Stadt Zürich. Im Leitfaden des Schuldepartements («Umgang mit der Volksschule») steht zur Publikation von Klassenfotos: «Schützen Sie Ihre Daten organisatorisch und technisch gegen unbefugten Zugriff».

Ähnlich restriktiv sind etwa die Kantone Baselland und St. Gallen. Im Leitfaden des Kantons Bern heisst es zu «Bildern, auf denen Personen identifizierbar sind», diese würden auch «trotz Einwilligung problematisch bleiben».

Für Boris Etter ist die Sache vom Tisch, auch wenn er gegen die Aargauer Behörde unterlegen ist: Er ist mit seiner Familie mittlerweile umgezogen, sein Sohn geht heute in Zürich zur Schule. Ein schaler Nachgeschmack aber bleibt.

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