Darf Sexualstraftäter Peter Vogt mit Exit sterben?
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Sterbehilfe im Knast:Darf Sexualstraftäter Peter Vogt mit Exit sterben?

Sexualstraftäter Peter Vogt (69) will seinem Leben im Knast ein Ende setzen
«Zum 70. Geburtstag wünsche ich mir den Tod»

Noch nie ist ein Häftling in der Schweiz mit Exit gestorben. Der Sexualstraftäter Peter Vogt will der Erste sein. BLICK hat ihn im Gefängnis besucht und mit ihm über seinen Todeswunsch gesprochen.
Publiziert: 02.12.2019 um 00:53 Uhr
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Aktualisiert: 02.12.2019 um 07:32 Uhr
Der Verwahrte Peter Vogt möchte im Knast sterben.
Foto: Screenshot SRF
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Helena Schmid

Seit 25 Jahren, einem Monat und 25 Tagen ist er eingesperrt. Bis zum letzten Schlag seines Herzens wird der Verwahrte Peter Vogt (69) hinter Gittern bleiben. Ohne Zukunft. Ohne Perspektiven. Ohne Ziel. Doch es war erst dieser eine Satz des Arztes seiner Mutter, der ihm den letzten Lebensmut raubte: «Ihre Mama wird Sie nicht mehr besuchen können. Die Reise ins Gefängnis könnte sie töten.»

Das war im Mai 2017. Der Moment, in dem Peter Vogt sich für den Tod entschied. Fürs Sterben mit Exit. Als erster Häftling landesweit. Eine Debatte entbrannte um die Frage: Darf er das? Hat ein Straftäter das Recht, über seinen Tod zu bestimmen? Das Schweizerische Kompetenzzentrum für den Justizvollzug (SKJV) entschied nun: im Prinzip ja.

BLICK trifft den Häftling in der Strafvollzugsanstalt Bostadel im Zuger Hinterland.

Er vergewaltigte Frauen und Mädchen

Vogt gilt als hochgefährlich. Jahrzehntelang vergewaltigte er Frauen und Mädchen. Würgte, quälte, schlug sie. Ein Opfer kam beinahe ums Leben. Das Gericht verurteilte ihn zu zehn Jahren Zuchthaus. Bis 2004 hatte er seine Strafe abgesessen. Seitdem ist er verwahrt – und wird es sein Leben lang bleiben. Laut Gutachtern ist er nicht therapierbar.

An Krücken schleppt sich der korpulente Mann mit weissen Haaren und Bart in den Besucherraum. Er atmet schwer. Vogt ist müde, jeden Tag. Müde vom Leben. «Was ist das für eine Existenz? Ohne Nähe, ohne Zärtlichkeit? Ich kann einfach nicht mehr», sagt er.

Jeder Mensch hat das Recht, über Zeitpunkt und Art seines Todes selbst zu entscheiden. Das gilt in Freiheit – und im Strafvollzug. In seinem Grundlagenpapier schlussfolgert das SKJV: «Der Sterbewunsch urteilsfähiger Insassen muss berücksichtigt werden.»

«Ich möchte doch in Würde sterben»

Peter Vogt hat seinen Suizid im Kopf durchgespielt. Immer und immer wieder. Der 13. August 2020, um genau 17.15 Uhr – dann will Vogt aus dem Leben treten. An seinem Geburtstag, zur Geburtszeit. «Zum Siebzigsten wünsche ich mir den Tod», sagt er.

Doch den Schritt, allein zu gehen, ohne Sterbehilfe, das könne er nicht. Im Frühling dieses Jahres sprang ein verwahrter Türke (†41) vom Gefängnisdach Bostadel. Vogt kannte ihn. «Manchmal dachte ich mir: Tu es einfach. Aber ich möchte doch in Würde sterben.»

So einfach ist das nicht. Das Grundlagenpapier des SKJV spricht sich zwar klar für Sterbehilfe aus. Noch immer fehlt es aber an entsprechenden Regelungen, an der nötigen Einrichtung im Knast. Ob die Kantone die Empfehlungen umsetzen, wird Anfang nächstes Jahr entschieden. Bis die Voraussetzungen geschaffen sind, wird Zeit verstreichen.

«Mein Alltag ist psychische Folter»

Hinzu kommt die Frage, ob Vogt die SKJV-Bedingungen für Sterbehilfe überhaupt erfüllt. Nur eine anhaltende, «unerträgliche Krankheit» würde den Sterbewunsch rechtfertigen.

Seit Jahren leidet Vogt an einer Herz- und Niereninsuffizienz. Als todkrank gilt er aber nicht. Der Verwahrte argumentiert, er habe eine Persönlichkeitsstörung, die laut Gutachtern nicht therapierbar sei – also unheilbar. Sein Alltag im Knast sei «psychische Folter» und «unerträglich».

Zurzeit lebt Vogt in einer Zelle im Block A3. Ein Bett, ein Bücherregal, ein Schrank, ein Computer. Auf acht Quadratmetern. Das Internet darf der Häftling nicht nutzen. Am Computer schreibt er vor allem Briefe. An Familie und Freunde.

«Niemand kann so leben»

Seine engsten Angehörigen besuchen ihn regelmässig. Unter ständiger Beobachtung der Wärter. Persönliche Gespräche? Unmöglich. Berührungen? Strikt verboten. Vogt hält die ständige Distanz nicht mehr aus: «Ich werde nie wieder mit jemandem uneingeschränkt kommunizieren können, nie mehr Nähe erfahren. Niemand kann so leben.»

Ein Gutachten von 2015 attestiert Vogt eine hohe Rückfallgefahr. Er bagatellisiere seine Taten, zeige keinerlei Opferempathie. Als er über seine Delikte spricht, dämpft der Verwahrte seine Stimme. Eine Wiedergutmachung sei unmöglich, das wisse er. «Wie könnte ich jemals kompensieren, was meine Opfer fühlen mussten? Die Angst. Das Trauma.»

«Die Taten waren mein Ventil»

Er habe nicht aus Freude vergewaltigt, nicht aus Lust. «Ich war wütend, aggressiv. Die Straftaten waren mein Ventil», sagt er. In den vergangenen Jahren versuchte er, ein «Gegengewicht» zu der Last seiner Schuld zu schaffen. Er versuche, einen positiven Einfluss auf sein Umfeld zu haben, und habe Geld gespendet.

Seine Mutter, so Vogt, sei mittlerweile schwer krank. Demenz. Häufig vergesse sie die Telefongespräche. Manchmal, dass er überhaupt noch lebe. Trotzdem gebe sie ihm Halt. Er erinnert sich: «Es war 2016, als sie mir sagte, sie hätte es nie für möglich gehalten, dass ich in meiner persönlichen Entwicklung so weit komme. Das war das schönste Kompliment, das ich je erhalten habe.» Behörden und Öffentlichkeit von seiner Entwicklung zu überzeugen, hat er längst aufgegeben.

Nun kämpft Vogt um sein Recht, in Würde zu sterben. Angst hat er keine. «Ich glaube an die Wiedergeburt.» Seine Chancen stehen jedoch schlecht, dass er an seinem 70. Geburtstag seinen letzten Atemzug tun wird – die Hürden sind hoch. Vogt glaubt weiterhin daran: «Die Behörden sind doch froh, wenn sie mich los sind.»

Darf Sexualstraftäter Peter Vogt mit Exit sterben?
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Sterbehilfe im Gefängnis:Darf Sexualstraftäter Peter Vogt mit Exit sterben?
Das sind die Empfehlungen zur Sterbehilfe hinter Gittern

Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug (SKJV) hat erste Empfehlungen publiziert, wie die Behörden mit sterbewilligen Gefangenen umgehen sollen.

In seinem Grundlagenpapier vom September 2019 spricht sich das SKJV klar für Sterbehilfe hinter Gittern aus. BLICK fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

  • Wie in Freiheit hat auch jeder Häftling das Recht auf Selbstbestimmung. Dazu gehört, über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes zu entscheiden. Das gilt unabhängig von Delikt und Strafmass.
  • Der Insasse muss von Ärzten als urteilsfähig anerkannt werden, um Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.
    Die Strafvollzugsbehörden müssen einem Häftling ihr Einverständnis geben, bevor er eine Sterbehilfeorganisation kontaktieren darf. Dazu sind Abklärungen über den Grund des Sterbewunsches nötig.
  • Geben die Behörden ihr Einverständnis nicht, kann der Gefangene den Entscheid vor Gericht ziehen.
    Nur ein unabhängiger Arzt darf das tödliche Medikament verschreiben. Kein Gefängnisarzt. Diese Person muss der Häftling selbst organisieren.
  • Über den Ort des Suizids darf der Insasse selbst entscheiden. Es kann auch ein Raum ausserhalb des Gefängnisses sein. Beispielsweise bei der Sterbehilfeorganisation oder im Hospiz. Allenfalls wäre sogar ein Ort in der vertrauten Umgebung des Häftlings möglich. Jedoch nur, wenn die Sicherheitsinteressen das zulassen.
  • Für die Kosten der Sterbehilfe muss der Gefangene selbst aufkommen. Er kann dazu auf seine gesperrten Konten zurückgreifen. Reicht sein Geld nicht, müsste er sich selbst um finanzielle Unterstützung kümmern.

Bis Ende Jahr haben die Kantone Zeit, sich zu den Empfehlungen im Grundlagenpapier zu äussern. Danach entscheidet das SKJV über das weitere Vorgehen.

Das Schweizerische Kompetenzzentrum für Justizvollzug (SKJV) hat erste Empfehlungen publiziert, wie die Behörden mit sterbewilligen Gefangenen umgehen sollen.

In seinem Grundlagenpapier vom September 2019 spricht sich das SKJV klar für Sterbehilfe hinter Gittern aus. BLICK fasst die wichtigsten Punkte zusammen.

  • Wie in Freiheit hat auch jeder Häftling das Recht auf Selbstbestimmung. Dazu gehört, über Art und Zeitpunkt des eigenen Todes zu entscheiden. Das gilt unabhängig von Delikt und Strafmass.
  • Der Insasse muss von Ärzten als urteilsfähig anerkannt werden, um Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu dürfen.
    Die Strafvollzugsbehörden müssen einem Häftling ihr Einverständnis geben, bevor er eine Sterbehilfeorganisation kontaktieren darf. Dazu sind Abklärungen über den Grund des Sterbewunsches nötig.
  • Geben die Behörden ihr Einverständnis nicht, kann der Gefangene den Entscheid vor Gericht ziehen.
    Nur ein unabhängiger Arzt darf das tödliche Medikament verschreiben. Kein Gefängnisarzt. Diese Person muss der Häftling selbst organisieren.
  • Über den Ort des Suizids darf der Insasse selbst entscheiden. Es kann auch ein Raum ausserhalb des Gefängnisses sein. Beispielsweise bei der Sterbehilfeorganisation oder im Hospiz. Allenfalls wäre sogar ein Ort in der vertrauten Umgebung des Häftlings möglich. Jedoch nur, wenn die Sicherheitsinteressen das zulassen.
  • Für die Kosten der Sterbehilfe muss der Gefangene selbst aufkommen. Er kann dazu auf seine gesperrten Konten zurückgreifen. Reicht sein Geld nicht, müsste er sich selbst um finanzielle Unterstützung kümmern.

Bis Ende Jahr haben die Kantone Zeit, sich zu den Empfehlungen im Grundlagenpapier zu äussern. Danach entscheidet das SKJV über das weitere Vorgehen.

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Hier findest du Hilfe

• Die Dargebotene Hand, Telefon 143 und Onlineberatung, Schweigepflicht; anonym und kostenlos, www.143.ch
• Klartext (Anlaufstelle für Fragen rund um den Suizid): erstes Beratungsgespräch kostenlos; 079 450 91 68
• Hausarzt oder Psychiater

• Die Dargebotene Hand, Telefon 143 und Onlineberatung, Schweigepflicht; anonym und kostenlos, www.143.ch
• Klartext (Anlaufstelle für Fragen rund um den Suizid): erstes Beratungsgespräch kostenlos; 079 450 91 68
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