Beschwerde gegen neue Doppelstockzüge
SBB schenkten Behinderten kein Gehör

Vertrauliche Sitzungsprotokolle beweisen: Beim Bau der neuen Bombardier-Züge wurden die Behindertenverbände nicht wie gewünscht miteinbezogen.
Publiziert: 04.02.2018 um 17:12 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 13:35 Uhr
Die neuen SBB-Doppelstockzüge von Bombardier sollten eigentlich bereits seit 2013 den Dichtestress verringern. Doch sie kurven erst im Testbetrieb durch die Schweiz. Nun droht sich die Wartezeit von über vier Jahren abermals zu verlängern.
Foto: ZVG
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Thomas Schlittler

Wäre alles nach Plan gelaufen, würden die neuen SBB-Doppelstockzüge von Bombardier bereits seit 2013 den Dichtestress verringern. Doch bei den Zügen, die auf Hauptverkehrsachsen wie Zürich-Bern mehr Sitzplätze bringen sollen, läuft absolut gar nichts nach Plan. Die Wartezeit von über vier Jahren droht sich abermals zu verlängern.

Diese Woche hat «10vor10» publik gemacht, dass der Behindertendachverband Inclusion Handicap beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde eingereicht hatet: gegen die SBB, die Herstellerfirma Bombardier sowie das Bundesamt für Verkehr. Grund: Die Züge verstiessen gegen das Behindertengleichstellungsgesetz.

Rampe zu steil

Der wichtigste Kritikpunkt von Inclusion Handicap ist, dass es bei den neuen Zügen nicht möglich sei, mit dem Rollstuhl selbständig auszusteigen. Die Rampe sei zu steil. Der Verband verlangt deshalb, dass die bereits gebauten sechs Doppelstockzüge behindertengerecht umgebaut werden und bei den 56 sich im Bau befindenden Zügen die Konstruktion angepasst wird.

Bei den neuen Zügen sei es nicht möglich, mit dem Rollstuhl selbstständig auszusteigen. Die Rampe sei zu steil.

Die SBB lehnen einen Umbau ab und bedauern, dass es zu einem Gerichtsverfahren kommt. Sprecher Christian Ginsig: «Falls der Einsprache stattgegeben wird, hätte dies beträchtliche Auswirkungen auf die bereits gebauten und noch zu bauenden Fahrzeuge.»

Die SBB betonen, dass man das Thema Behindertengleichstellung sehr ernst nehme und sich auch über die Standards aller umgebenden Länder hinaus engagiere. Seit Beginn des Projekts habe immer eine aktive Abstimmung mit den Behindertenverbänden stattgefunden. Ginsig: «Die Behindertenorganisationen wurden bereits im ersten Halbjahr 2011 eingeladen, das 1:1-Holzmodell, eine Maquette des Zuges, zu besichtigen.» Bei diesem Modell sei die Rampensituation korrekt gemäss heutigem Stand und geltenden Normen nachgebaut worden.

Schlagabtausch zwischen SBB und Behindertenorganisation

Die Behindertenorganisationen sehen das anders: «In der Maquette handelte es sich beim Eingangsbereich lediglich um ein Provisorium aus Holz, das die endgültige Situation im Fahrzeug, wie wir sie heute haben, keineswegs abbildete», sagt Caroline Hess-Klein, die bei Inclusion Handicap die Abteilung Gleichstellung leitet.

Die SBB halten dagegen. Ginsig: «Maquetten aus Holz werden genau zu diesem Zweck wie ein Originalwagen gebaut, damit am realen Modell Verbesserungen mit verschiedenen Partnern besprochen und wo notwendig Anpassungen vorgenommen werden können.»

Inclusion Handicap hält trotzdem daran fest, dass man auf dieser Grundlage keine abschliessende Beurteilung habe vornehmen können. Juristin Hess-Klein: «Im Wissen darum, dass zahlreiche Probleme erst an einem echten Wagen überprüft werden können, haben die Behindertenorganisationen frühzeitig und immer wieder die Besichtigung eines solchen Wagens gefordert. Zum Beispiel auch schon des ersten Wagens im Rohbau.»

Mit dieser Forderung habe man bei SBB und Bombardier aber kein Gehör gefunden. Erst am 22. Dezember 2017, als die befristete Betriebsbewilligung durch das Bundesamt für Verkehr bereits vorlag, sei eine Begehung eines echten Fahrzeuges ermöglicht worden. «Dies ist viel zu spät. Vor allem angesichts der Tatsache, dass wir seit 2014 eine solche Begehung konsequent beantragt hatten», so Hess-Klein.

Die neuen SBB-Doppelstockzüge von Bombardier sollten eigentlich bereits seit 2013 den Dichtestress verringern. Doch sie kurven erst im Testbetrieb durch die Schweiz. Nun droht sich die Wartezeit von über vier Jahren abermals zu verlängern.
Foto: JEAN-CHRISTOPHE BOTT

Behindertenverbände wiesen früh auf eine Besichtigung hin

SonntagsBlick konnte vertrauliche Sitzungsprotokolle einsehen. Diese belegen: Die Behindertenverbände wiesen die SBB seit 2015 mehrfach darauf hin, dass die Besichtigung der Züge unbedingt so früh als möglich und vor der provisorischen Betriebsbewilligung zu erfolgen habe.

Die SBB wollen sich zu den Dokumenten nicht äussern. Sie halten aber fest, dass eine Besichtigung zu einem früheren Zeitpunkt nicht auf einem Fahrzeug hätte stattfinden können, das alle Sonderzonen wie Familienwagen und Speisewagen umfasst.

Diesen Monat werden die SBB beim Bundesverwaltungsgericht die Abweisung der Beschwerde beantragen.

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