Abstruse Story mit Risiken und Nebenwirkungen
So ist der neue Schweizer «Tatort»

Der neue Schweizer «Tatort» ist eine bittere Pille für die Pharmaindustrie. Drohungen, Nötigungen und Morde sind an der Tagesordnung. Blick stellt die Diagnose: Vieles ist frei erfunden.
Publiziert: 10.09.2022 um 19:40 Uhr
Jean-Claude Galli und Peter Padrutt

Düster und unwirtlich ist es wieder in Zürich, so finster, dass einem glatt die Lust auf einen spannenden Krimiabend vergehen könnte. Auch die vierte «Tatort»-Ausgabe mit den Kommissarinnen Isabelle Grandjean und Tessa Ott ist erneut sperrig: In «Risiken mit Nebenwirkungen» (Sonntag, SRF 1, 20.05 Uhr) geht es um ein Milliardengeschäft des fiktiven Pharma-Unternehmens Argon. Dessen überteuertes Medikament Volmelia steht kurz vor der Zulassung, löst aber schwere Schäden bei einem Mädchen aus.

Beim Leiden handelt es sich um Neuromyelitis-optica, eine Autoimmunerkrankung des zentralen Nervensystems. In den letzten Jahren hat Roche ein wirksames Medikament dagegen entwickelt. Im «Tatort» sind mehrmals Drohnenbilder eines Hochhauses zu sehen.

Auffallend ist die negative Grundhaltung des Krimis: Anwälte und Forscher sind fast durchwegs Bösewichte. Der Krimi spiele im «Schurkenmilieu», befindet die SDA. Auch die Ermittlerinnen sind zornig auf die Pharma-Lobby. Untermalt wird das mit einer derben Wortwahl – «verdammte, kapitalistische Scheisswichser» zum Beispiel.

Drehstart zu den «Tatort»-Folgen 3 und 4 aus Zürich: Regisseurin Christine Repond mit den beiden Hauptdarstellerinnen Carol Schuler und Anna Pieri Zuercher (v.l.n.r.).
Foto: SRF/Sava Hlavacek
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«Prozesse und Abläufe entsprechen nicht der Realität»

«Die im ‹Tatort› dargestellten Prozesse und Abläufe der pharmazeutischen Forschung, Medikamentenzulassung und der Markteinführung in der Schweiz entsprechen nicht der Realität», ärgert sich Samuel Lanz, Mitglied der Geschäftsleitung von Interpharma, dem Interessenverband der forschenden Pharma Schweiz. Klinische Studien – im «Tatort» vereinfachend als «Testprogramm» bezeichnet – unterlägen strengen wissenschaftlichen und ethischen Kriterien. Die Rahmenbedingungen dazu werden im Humanforschungsgesetz und den dazugehörenden Verordnungen festgelegt.

Im «Tatort» üben die Pharma-Anwälte zudem massiven Druck auf das Mädchen aus, damit es die Nebenwirkungen verleugnet. Doch Lanz erklärt: «Klinische Studien werden nicht durch die Pharmafirmen direkt durchgeführt, sondern durch Forscherteams – Ärzte und Spitäler. Heisst: Die Pharmafirma hätte in Wirklichkeit gar keinen Zugang zum kranken Teenager gehabt.

Wichtig auch: Klinische Studien müssen durch Swissmedic und eine oder mehrere Ethikkommissionen bewilligt werden. Alle unerwünschten Wirkungen, die im Rahmen der Studie beobachtet werden, müssen laufend an Swissmedic gemeldet werden.

«Reine Fiktion»

«Die geschilderten Abläufe sind reine Fiktion», stellt auch Lukas Jaggi, Mediensprecher von Swissmedic, klar. «Für die Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln gibt es strenge, international abgestimmte Richtlinien und Vorschriften. Die Genehmigung einer klinischen Studie erfordert die Zustimmung durch eine unabhängige Ethikkommission sowie die zuständige Arzneimittelüberwachungsbehörde, um Studienteilnehmende bestmöglich zu schützen.»

Es gibt nur sehr seltene Fälle, dass Swissmedic seine Zustimmung nicht geben muss: Ein Medikament kann für bestimmte Patienten und für Notfälle verabreicht werden, wenn das Medikament im Ausland bereits zugelassen wurde. Um so einen Spezialfall scheint es sich im «Tatort» nicht zu handeln, dafür geht es dem Mädchen zu gut.

Baptiste Planche, Leiter Fiktion bei SRF, bestreitet mögliche Fehler im «Tatort»: «Die wesentlichen Schritte, die beim Testen und der Zulassung von neuen Medikamenten durchlaufen werden müssen, entsprechen der Realität – dennoch zeichnen wir mit dem 'Tatort' eine rein fiktive Geschichte», meint er. Dabei seien gezwungenermassen Vereinfachungen, Dramatisierungen und Überhöhungen nötig. «Wir sind uns sehr wohl der publizistischen Verantwortung bewusst und haben uns auf die sorgfältige Recherchearbeit der Autorinnen gestützt, die unter anderem zahlreiche Gespräche mit Expertinnen, Pharmavertretern und Anwältinnen beinhaltete.»

Trotzdem birgt der neue Schweizer «Tatort» Risiken und Nebenwirkungen. Vieles wirkt überzeichnet und konstruiert. Er geht nur als bittere Pille runter.

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