Deshalb fehlt der Nationalheld
Tellspiele zum ersten Mal seit 112 Jahren ohne Tell

Die Tellspiele Interlaken BE reagieren auf den dramatischen Zuschauerschwund. Mit Robin Hood wollen sie in der aktuellen Saison neues Publikum gewinnen. Eine Rückkehr des Schweizer Nationalhelden ist allerdings nicht ausgeschlossen.
Publiziert: 21.06.2024 um 18:29 Uhr
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Jean-Claude GalliRedaktor People

Es ist eine kleine Sensation: Zum ersten Mal in der 112-jährigen Geschichte der Tellspiele steht ab Samstag nicht der Schweizer Nationalheld, sondern Robin Hood auf der Naturbühne in Matten bei Interlaken BE. Damit gehen die Macher neue Wege und reagieren auf den fortschreitenden Publikumsverlust. In den letzten zehn Jahren ist die Zahl von 40'000 auf 12'000 Besuchende gesunken. Zwischenzeitlich sprang sogar alt Bundesrat Christoph Blocher (83) mit einem namhaften Betrag ein, um das Budget zu stützen.

«Der Wechsel von Tell zu Hood bedeutet aber nicht, dass der Nationalheld nun für immer verschwindet. Er wird wieder zurückkehren, doch der genaue Zeitpunkt steht noch nicht fest. Wir verzichten kurzfristig auf ihn, damit wir ihn langfristig erhalten können», sagt Vereinspräsident Pascal Minder (50) gegenüber Blick.

«Das hier ist ein intensives Hobby»

Minder stellt eine gewisse Ermüdung gegenüber dem Originalstoff von Friedrich Schiller (1759–1805) fest. Und er spürt wie andere Veranstalter, dass sich viele Leute seit Corona eher kurzfristig für einen Kulturevent entschliessen. «Das Wetter ist ebenfalls eine Komponente. Die Theater-Freilichtsaison ist noch nicht richtig lanciert.»

Geht es dem englischen Freiheitskämpfer Robin Hood nun an den Kragen? Zum ersten Mal in der Geschichte der Tellspiele steht ab Samstag nicht der Schweizer Nationalheld, sondern Robin Hood auf der Bühne.
Foto: Erich Haesler CH-Interlaken
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Gerüchten, man könnte die stets epische Spielsaison, die heuer bis zum 7. September dauert, vorzeitig abbrechen, tritt er entschieden entgegen. «Die Spielenden brennen darauf, endlich ihr Können zu zeigen. Die beiden Vorpremieren waren gut und wir hatten zweimal Standing Ovations.»

Die Tellspiele sind als Verein organisiert. Keiner der 200 Mitglieder bezieht Lohn. «Das hier ist ein intensives Hobby», sagt Minder. Er begann 2015. «Gleich in meinem ersten Jahr hatte ich mit dem ‹Stauffacher› eine grosse Sprechrolle. Und ich war 2019 der letzte Vor-Corona-Tell.» Dieses Jahr verkörpert er einen Minnesänger.

Nach der Pandemie und zwei weiteren Tell-Ausgaben wollte sich der Verein «Mein Name ist Eugen» vornehmen. Doch das erwies sich punkto Bühnenbild als zu aufwendig. So fiel die Wahl auf Robin Hood. «Der Kern ist derselbe wie bei Tell. Freiheit ist nicht selbstverständlich und man muss immer wieder kämpfen dafür. Heute mehr denn je.»

Robin Hood bringt mehr Bewegung und Action

Hood lebte zu einer ähnlichen Zeit wie Tell. Und vom Sherwood Forest in den Rugenwald sei es gedanklich kein grosser Sprung. «Hood ist weniger dramatisch als Tell, dafür um einiges lustvoller, mit einer zünftigen Prise britischen Humors. Es gibt mehr Bewegung und Action. Und wir setzen sogar Pyro-Effekte ein.»

Minder und seine Mitstreiter bleiben optimistisch. Und ähnlich entschlossen wie ihre Urahnen, allen Widerständen zu trotzen und ihr Herzensprojekt am Leben zu erhalten.

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