Johnny Depp verlor Jobs nach Schläger-Vorwürfen
«Unglaublich, wie man plötzlich von allen Seiten attackiert wird»

Nachdem Gewaltvorwürfe gegen Johnny Depp erhoben wurden, verlor der Erfolgsschauspieler einen Job nach dem Anderen. Im Blick-Interview erzählt er nun, was er von dieser Cancel Culture hält.
Publiziert: 23.09.2021 um 19:04 Uhr
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Aktualisiert: 24.09.2021 um 09:48 Uhr
Interview: Dierk Sindermann

Nach seiner Niederlage vor dem Gericht in London, wo ihm seine Ex-Frau Amber Heard (35) im Zeugenstand körperliche Gewalt vorwarf, ging es mit seiner Karriere abwärts. Johnny Depp wurde sogar als Gellart Grindelwald für den dritten Teil von «Fantastische Tierwesen» gefeuert und soll für grossen Rollenangebote nicht mehr infrage gekommen sein. Bei seinem ersten grossen öffentlichen Auftritt beim Filmfestival in San Sebastian nahm der 58-Jährige (er wurde für sein filmisches Lebenswerk ausgezeichnet) kein Blatt vor den Mund und wettert im Blick-Interview am Event gegen die sogenannte Cancel Culture, als deren Opfer er sich sieht.

Was macht für Sie die Cancel Culture aus?
Johnny Depp: Es findet eine gnadenlose Vorverurteilung statt. Basierend auf angeblichen Fakten, die nichts weiter als verpestete Luft sind, die man einatmet. Ich musste mich in meinem Leben noch niemals mit so etwas unfassbar Unlogischen und Verwirrenden auseinandersetzen. Unglaublich, wie man plötzlich von allen Seiten und aus jedem Winkel attackiert wird.

Sie meinen von den verschiedenen Bewegungen wie #metoo oder #timesup…
…die alle mit den besten Intensionen gestartet wurden. Doch inzwischen sind sie völlig aus dem Ruder gelaufen. Ich kann ihnen versprechen, dass niemand mehr sicher ist. Sie auch nicht! Ein einziger falscher Satz genügt, und dir wird der Teppich unter den Füssen weggerissen. Plötzlich bricht der gesamte Boden unter dir weg und du fällst in einen Abgrund.

Johnny Depp wettert gegen Cancel Culture.
Foto: DUKAS
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So wie es Ihnen nach Ihrem Gerichtsurteil ergangen ist?
Es geht nicht nur um mich. Von der Cancel Culture sind so viele Menschen betroffen. Frauen, Männer und selbst Kinder mussten schon darunter leiden. Und traurigerweise denken mittlerweile viele, dass das so einfach Normalität ist. Viele denken am Ende, dass sie doch etwas zuschulden kommen lassen haben, obwohl es nicht so ist.

Das bedeutet Cancle Culture

Bei Cancel Culture wird eine Person für vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten öffentlich geächtet. Die Person wird dabei ausnahmslos boykottiert und etwa von öffentlichen Auftritten ausgeladen. Entstanden ist diese Form der Bestrafung in den vergangenen Jahren auf den sozialen Netzwerken. So gab es etwa Boykottaufrufe gegen «Harry Potter»-Autorin J.K. Rowling (56), nachdem ihr im vergangenen Jahr Transphobie vorgeworfen wurde.

Bei Cancel Culture wird eine Person für vermeintliches oder tatsächliches Fehlverhalten öffentlich geächtet. Die Person wird dabei ausnahmslos boykottiert und etwa von öffentlichen Auftritten ausgeladen. Entstanden ist diese Form der Bestrafung in den vergangenen Jahren auf den sozialen Netzwerken. So gab es etwa Boykottaufrufe gegen «Harry Potter»-Autorin J.K. Rowling (56), nachdem ihr im vergangenen Jahr Transphobie vorgeworfen wurde.

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Haben Sie Hoffnung, dass sich das wieder ändert?
Ich glaube, dass niemand mehr sicher ist. Aber auch, dass man sich noch immer mit der Wahrheit bewaffnen kann, und das alles ist, was man am Ende braucht. Ich kann nur an alle appellieren: Wenn du oder jemand, den du liebst oder an den du glaubst, ungerecht behandelt wird, erhebe deine Stimme! Steh auf und bleibt nicht sitzen. Wir brauchen dich!

Ihr Auftritt beim Filmfestival von San Sebastian ist Ihre erste öffentliche Veranstaltung seit längerer Zeit.
Ich war ehrlicherweise schon besorgt, dass meine reine Anwesenheit von Leuten als Beleidigung angesehen wird. Und ich will wirklich niemand beleidigen. Ich kann mich aber nur beim Bürgermeister von San Sebastian und den Organisatoren für ihre unglaubliche Unterstützung bedanken. Danke, dass ihr es nicht abkauft, wie ich schon seit viel zu langer Zeit dargestellt werde. Eine Version von mir, die nicht existiert! Das ist alles, was ich dazu sagen will.

Lassen Sie uns über ihre Filme sprechen. Sie spielen oft sehr schräge Figuren. Wonach wählen Sie Ihre Rollen aus?
Ich habe schon immer meinem Bauchgefühl vertraut. Ich muss etwas fühlen, der Funke muss überspringen, wenn ich ein paar Seiten vom Drehbuch gelesen habe. Grundsätzlich ist es für einen Schauspieler wichtig, dass man eine Angst vor Entscheidungen hat. Man muss bereit sein, sich quasi nackt zu machen und zu riskieren, auf die Nase zu fallen. Ich sage immer, nicht ich wähle meine Rolle, sie wählt mich.

Sie sind dafür bekannt, sich mit Haut und Haar in ihre Filmfiguren zu verwandelt.
Ja, es hilft mir, mein Ich hinter Prothesen und dickem Make-up zu verstecken. Damit ich möglichst weit weg bin von Johnny Depp und mich voll auf meine Figur einlassen kann. Ich fühle mich grundsätzlich eh immer wohler in meiner Haut, wenn ich nicht als ich selbst auftreten muss.

Können Sie denn dann einfach so nach Drehschluss Ihre Filmfiguren wieder abstreifen?
Nein, sie dürfen bleiben! Ich stecke sie in Schubladen in mir drin. Sie sind dann zwar weggeschlossen, aber nicht wirklich verschwunden! Und manchmal fliesst ein Teil von ihnen dann mit in andere Rollen hinein.

Wenn Sie zurückschauen: Auf welche Rollen sind Sie besonders stolz?
Das ist schwer zu sagen. Alle hatten eine Bedeutung für mich. Was nicht heisst, dass ich in allen Filmen gut war. Manchmal sehe ich durch Zufall Ausschnitte von mir aus einem Film und denke «Oh mein Gott, ich hätte mich selbst gefeuert dafür»! (lacht).

Jack Sparrow gilt als Ihre Paraderolle. Würden Sie den «Pirat der Karibik» gerne noch einmal spielen?
Captain Jack habe ich immer mit dabei, auch wenn ich auf Reisen geh (lacht). Und ich hole ihn immer bei Gelegenheiten wieder heraus. Zum Beispiel, wenn ich als Jack Sparrow Kinder in Krankenhäusern oder auf Geburtstagen belustigen kann. Er kommt immer sehr gut an mit seiner nett-dummen Art. Allerdings glaube ich nicht, dass es noch mal einen weiteren Film mit ihm geben wird. Die Filmreihe wurde ja sehr abrupt gecancelt. Was merkwürdig war. Aber was ist heutzutage nicht mehr merkwürdig…

Sie sind jetzt bereits über 30 Jahren in Hollywood. Wie sehr hat sich die Filmbranche verändert?
Hollywood ist auf jeden Fall nicht mehr das, was es mal war. Die Streaminganbieter haben viel verändert. Und jeder versucht gerade für sich das beste herauszuholen – egal mit welchen Konsequenzen für die Branche. Weil jeder realisiert, dass er inzwischen einfach ersetzbar geworden ist.

Wenn Sie mit dem jungen Johnny Depp sprechen und ihm einen Karrieretyp geben könnten, was wäre der?
Laufe rückwärts! (lacht)

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