Neuer Spielfilm erzählt eine wahre Geschichte
Die erste schwarze Miss World

Der Film «Die Misswahl» handelt von einem Schönheitswettbewerb im Jahr 1970. Und von Problemen, die durch #BlackLivesMatter und #MeToo so aktuell sind wie vor 50 Jahren.
Publiziert: 10.10.2020 um 14:12 Uhr
Am 15. Oktober läuft der Film «Die Misswahl» in den Kinos. Er erzählt die Geschichte von Jennifer Hosten (72, links), die als erste schwarze Frau zur Miss World gekürt wurde. Gespielt wird sie von Gugu Mbatha-Raw (37).
Foto: Getty Images
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Lea Ernst

In London brodelt es. In der Royal Albert Hall gewinnt an diesem Novemberabend im Jahr 1970 mit Jennifer Hosten die erste schwarze Frau den Schönheitswettbewerb Miss World. In dieser Wahlnacht prallen mit der Apartheid Südafrikas, der antirassistischen Bürgerrechtsbewegung und der Frauenbewegung die ganz grossen Themen der Zeit aufeinander.

«Die Misswahl – Beginn einer Revolution» erzählt einerseits die Kandidatur von Jennifer Hosten (gespielt von Gugu Mbatha-Raw). Hosten wurden als schwarze Newcomerin aus dem karibischen Grenada kaum Chancen auf einen Sieg eingeräumt. Denn der Gründer des Schönheitswettbewerbs hatte bisher ein klares Bild davon, welche Frau er als Miss World sehen wollte: unverheiratet, jungfräulich, 90/60/90 – und weiss.

Andererseits thematisiert «Die Misswahl» die Geschichte der Frauenrechtsaktivistin Sally Alexander (Keira Knightley), die eine Protestaktion für die Wahlnacht plant und aus dem Publikum Mehlbomben werfen will. Denn die Frauenrechtsbewegung sieht hinter Schönheitswettbewerben das Patriarchat, das Frauen sexistisch ausbeutet: «Warum sollte eine Frau sich ihren Platz in dieser Welt verdienen müssen, indem sie besonders gut aussieht?», fragt Alexander im Film.

Die Wahl als Chance

Doch für Hosten bedeutet die Wahl genau das: endlich die Chance auf einen Platz in der Welt zu erhalten. Obwohl beim Fernsehsender BBC zahlreiche Proteste gegen das Wahlergebnis eingehen, wird sie in Grenada als Nationalheldin gefeiert. Ihr Sieg ist ihre Eintrittskarte in eine Karriere, die gleich für drei Personen reichen würde. So ist Hosten von 1978 bis 1981 Botschafterin ihres Heimatlands Grenada in Kanada. Danach geht sie zurück an die Universität und macht den Masterabschluss in Politikwissenschaften, bevor sie weiter als Diplomatin arbeitet. 2005 wird sie Unternehmerin und eröffnet ein Strandhotel in Grenada. Parallel dazu studiert sie Psychologie. Inzwischen ist sie als Psychotherapeutin in Ontario, Kanada, tätig. Sie hat zwei Kinder.

Wie nahe an die Wahrheit reisen wir mit dem Film «Die Misswahl»? «Es ist erstaunlich akkurat», sagt Hosten im Interview mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung». Es gebe ja immer die künstlerische Freiheit, mit der man rechnen müsse, sagt sie. «Aber ich war positiv überrascht.» Natürlich habe es aber auch Dinge gegeben, die etwas zu kurz gekommen seien, sagt Hosten. Zum Beispiel die Nacht vor dem eigentlichen Wettbewerb, als wieder einmal spürbar wurde, dass die Medien und Veranstalter ihre Vorauswahl bereits getroffen hatten. «Es wurden nur 15 Mädchen ausgesucht, um den Ablauf auf der Bühne zu üben», sagt Hosten. «Der Rest von uns sass auf den Stühlen und musste das Publikum spielen.» Doch Hosten wusste sich zu helfen: «Ich bin dann am Morgen sehr früh in die Royal Albert Hall gegangen und habe fast drei Stunden geübt. Als dann die grosse Nacht kam, war die Bühne meine beste Freundin.»

Eine Wahl, die für Antirassismus und Antifeminismus zugleich stand

Jennifer Hosten (72) sei bewusst gewesen, gegen was die Frauenbewegung in der Wahlnacht demonstrierte. «Natürlich waren mir diese Themen nicht fremd», sagt Hosten zur «Berliner Zeitung». Es sei nicht an ihr vorübergegangen, dass die Miss-World-Wahlen und die Gesellschaft damals eher frauenfeindlich gewesen seien. «Dagegen anzukämpfen, war auf jeden Fall richtig», sagt Hosten. Und die Aktivistinnen hätten auch unmittelbar etwas bewegt: So habe sie nach ihrem Sieg auf den Bühnen zum Beispiel mehr Sprechzeit erhalten. Sie sei mehr einbezogen worden, und das sei ein echter Fortschritt gewesen.

«An einem Wettbewerb wie Miss World war nicht alles schlecht», sagt Hosten. Kleine Länder wie Grenada hätten die Möglichkeit erhalten, sich der Welt vorzustellen. «Und gerade für schwarze Frauen wie mich oder die Zweitplatzierte aus Südafrika war das eine bemerkenswerte Gelegenheit», sagt Hosten. «Schwarze Frauen haben generell immer noch sehr viel weniger Chancen als weisse», sagt Hosten. Deshalb sei es auch heute noch bedeutsam, eine schwarze Frau als Miss World zu sehen.

Das Ende der Revolution ist noch lange nicht in Sicht

In den letzten Jahren haben sich Schönheitswettbewerbe verändert. Der Badeanzug ist in den Hintergrund und Talent in den Vordergrund gerückt. Die Schwerpunkte liegen auf den Interviews mit den Kandidatinnen und ihrem sozialen Engagement. Das eigentliche Ziel sei es nie gewesen, den Schönheitswettbewerb zu gewinnen, sagt Hosten. Es sei ein Weg gewesen, sich eine Karriere aufzubauen. «So wie bei mir: Ich kam als Radiojournalistin zur Misswahl und war später Botschafterin.» Heute müssten Frauen für eine erfolgreiche Karriere nicht mehr allein auf solche Events setzen, sagt Hosten.

Dieses Jahr ist keine Miss World gekrönt worden. Zum ersten Mal in der Geschichte der Veranstaltung, die seit 1951 jährlich stattfindet. Weder Feminismus noch die MeToo-Bewegung konnten dem Schönheitswettbewerb etwas anhaben, bis die Corona-Pandemie die Welt lahmlegte. Im Weissen Haus sitzt ein Präsident, dem die Wahl «Miss USA» 13 Jahre lang gehörte und dem Kandidatinnen wie Cassandra Seals (Miss Washington 2013) vorwerfen, er habe sie «wie Vieh und wie sein Eigentum behandelt» und sei ohne Vorankündigung in der Garderobe aufgetaucht. Auch die Wahl «Miss Universe» kaufte Trump 2015 komplett auf – aus Protest, weil seine dortigen Geschäftspartner seine rassistischen Äusserungen nicht billigen wollten.

«Die Misswahl – Beginn einer Revolution» kommt zum richtigen Zeitpunkt in die Kinos. Denn das Ende der Revolution ist noch lange nicht in Sicht.

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