Mit dem Nachkriegs-Epos «Frieden» ist SRF ein Wurf gelungen
Packende Geschichte und grosse Gefühle

Wer noch im Krieg mit dem letzten Schweizer «Tatort» ist, kann jetzt mit SRF Frieden schliessen. Gestern liefen die ersten zwei Teile des Nachkriegsepos «Frieden». Schon jetzt ist klar: Die Serie lässt einen nicht mehr los.
Publiziert: 09.11.2020 um 10:07 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2021 um 19:53 Uhr
Peter Padrutt

Es waren aufwühlende Szenen gestern Abend auf SRF. Jüdische Buben, die das KZ überlebt haben, stimmen im Sommer 1945 bei ihrem Aufenthalt in der Schweiz das so schrecklich anrührende Buchenwaldlied an, das zwei Häftlinge 1938 im Lager geschrieben hatten. «Wenn der Tag erwacht, eh' die Sonne lacht, die Kolonnen ziehn zu des Tages Mühn», singen sie im Chor. Und lassen durchblicken: Sie haben den Holocaust zwar überlebt, aber sie werden nie im Leben ankommen. Spätestens jetzt wissen wir, dass die Serie «Frieden» zu den herausragenden TV-Ereignissen der letzten Jahre gehört. Sie ist sensibel inszeniert und vorzüglich besetzt – Fernsehen der grossen Gefühle.

Keine nüchterne Geschichtslektion, sondern grosse Leidenschaft

Wer grosse Nachkriegsserien wie «Tannbach» im ZDF oder «Unsere wunderbaren Jahre» (ARD) gesehen hatte, musste sich im Vorfeld fragen: Würde die vom Krieg verschonte Schweiz genügend Themen für einen Sechsteiler hergeben? Kann eine Reihe über unser Land, das nach 1945 nicht in Trümmern lag, von der Schuldfrage nicht derart geplagt war wie Deutschland, die gleiche Unmittelbarkeit erreichen?

Ja, sie kann. Autorin Petra Volpe bedient sich dort, wo der Geschichtsstoff fehlt, am Melodrama, und das ist durchaus geglückt. Sie erzählt die Geschichte einer Fabrikantenfamilie, die sich nach dem Krieg neu orientieren muss, mit grosser Leidenschaft. «Frieden» ist keine nüchterne Geschichtslektion. Das weibliche Schlaglicht auf die Serie und die unprätentiöse Regie (Michael Schaerer) machen die Serie zum Genuss. Es hätte auch ein geschichtsklitterndes Machwerk werden können.

Miron Sharshunov als Jenkele, Annina Walt als Klara Leutenegger in der SRF-Historienserie «Frieden»: Der Junge soll in eine Pflegefamilie kommen.
Foto: SRF/Sava Hlavacek
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Die Darsteller der Serie wachsen ans Herz

Man kann «Frieden» höchstens vorwerfen, dass das ganze Panoptikum des Nachkriegs in eine einzige Familie geworfen wird. Die Tochter als rebellische Flüchtlingshelferin, die Mutter eine unverbesserliche Anhängerin des NS-Regimes, der Onkel ein schmieriger Anwalt, der mit Nazis Geld macht – das wirkt oft gar dicht, hatte wohl aber ökonomische Gründe, weil an Figuren gespart werden musste.

Aber wir lieben die Figuren dieser Serie – allen voran wirkt Annina Walt als aufmüpfige Klara hinreissend lieblich. Max Hubacher erinnert als Jungpatron an den gradlinigen Hannes Schmidhauser (1926–2000) in «Uli der Knecht». Und schliesslich sticht Dimitri Stapfer unter den Darstellern heraus. Mit müden Augen faucht er als Nazijäger seine Sätze. Grosse Klasse, wie er das spielt.

Weitere Folgen würden nicht wundern

Man darf gespannt sein auf vier weitere Folgen «Frieden» – heute und am Mittwoch. Und es würde nicht wundern, wenn SRF noch ein paar Folgen nachdreht – die Familiengeschichte liesse sich auch noch in die 50er-Jahre weiterspinnen.

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