Feminismus mit Faible für 50 Cent
Das Recht auf Rap

Frauen vorzuschreiben, was sie zu hören, wie sie zu tanzen oder ihre Sexualität zu leben haben, um Frauenrechte zu propagieren, ist das pure Gegenteil davon, meint SonntagsBlick-Redaktorin Camille Kündig.
Publiziert: 28.06.2022 um 17:57 Uhr
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Aktualisiert: 29.06.2022 um 01:25 Uhr
Camille Kündig

Am Sonntagabend haben im Zürcher Hallenstadion Tausende zu den Beats von Rap-Ikone 50 Cent getanzt. Ich wusste schon zuvor, dass jemand eine Rechtfertigung von mir verlangen würde: «Du bist doch Feministin, wie kannst du da seine Songs mögen?»

Die böse, böse Rapmusik. Frau muss diese beinahe versteckt anhören wie eine okkulte Komplizin des Patriarchats. Teenies auf Tiktok wolllen Eminem «canceln», eine Kanye-West-Passion kann zu hitzigen Debatten führen. Spricht man über Hip-Hop-Kultur, kommt rasch der Verdacht auf, Frauen würden Stereotype aus Ignoranz hinnehmen oder verkörpern. Doch diese Kritik hat mit Klassenverachtung zu tun. Und ist erniedrigender als jeder Lyric.

Beim Sex geht es um geteilten Spass, nicht um Lohnverhandlungen

Am Sonntagabend hatte Rap-Ikone 50 Cent einen Auftritt im Zürcher Hallenstadion.
Foto: Redferns via Getty Images
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Rap wurde in den Neunzigern mit Dr. Dre und Tupac Shakur gross. Für viele kam damit eine Art Befreiungsschlag. Vielleicht liegt es an der rabiaten Energie. An der anarchistischen Kompromisslosigkeit. Hip Hop und Rapmusik fungieren für mich als Therapie gegen den Frauen auferlegten Druck, nicht zu stören, sich ja sanftmütig anzupassen. Brav zu sein.
Die Szene ist bewusst exzessiv. Wer im Battle am krassesten wirkt, gewinnt. Rap ist ein Ventil für Wut. Er prangert strukturelle Dysbalancen und Rassismus an – und begleitet gesellschaftlichen Wandel. In den letzten Jahren sägten Rapper in Lyrikform am Stigma um psychische Krankheiten. Und wenn Cardi B oder Shirin David rappen, drehen sie die Codes um, geben Direktiven aus zum Befeuchten ihrer Geschlechtsorgane und sie sprechen über Gewalt gegen Frauen.

Nicht erst seit dem desaströsen Entscheid des obersten US-Gerichts letzte Woche wissen wir, dass Frauen weltweit weniger Rechte haben als Männer – es scheint, ein Harvard-Diplom kann brisanter sein für Frauenrechte als ein Herr mit Goldkette. Misogynie im Rap gibt es. Texte wie diejenigen von Finch Asozial zeugen davon. Allerdings trällerte auch ein John Lennon: «Well, I’d rather see you dead, little girl, than to be with another man.» Gewaltfantasien, antisemitische oder homophobe Lyrics sind aufs Schärfste zu verurteilen.

Feminismus ist Freiheit

Doch wer sagt, dass freizügige Frauen in Videoclips nicht Spass haben? Dass in expliziten Szenen frau sich nicht holt, was sie will, und den Musiker objektiviert? Dass nur Männer von gewissen Praktiken oder direktivem Dirty Talk fantasieren? Und warum um alles in der Welt sollte dies das Frauenbild degradieren? Wie man eine sexuelle Dynamik interpretiert, zeugt viel mehr von eigenen Wertvorstellungen. Ausserdem geht es beim Sex um geteilten Spass, nicht um Lohnverhandlungen.

Es gibt keine «richtige» Art, Feminismus zu leben, er lässt sich in keine Konvention zwängen. Die ultrafeminine Sängerin Anitta etwa tanz lasziv zu Favela Funk, im TV kritisiert sie Jair Bolsonaro aufs Schärfste. Selbstbestimmung kann sich streikend wie twerkend ausdrücken.

Frauen vorzuschreiben, was sie zu hören, wie sie zu tanzen, sich zu kleiden oder ihre Sexualität zu leben haben, um Frauenrechte zu propagieren, ist das pure Gegenteil davon. Feminismus ist Freiheit. Als Gangsta-Rapper 50 Cent am Sonntag wieder mal sein bestes Stück feierte, haben meine Freundinnen und ich seine Egotrips voller Ironie mitgeträllert. Ich verspreche Ihnen: Man amüsiert sich dabei bestens.

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