Uhren, Cabrios, Trockenhauben
Stars und ihre Spezialwünsche am Montreux Jazz Festival

Am Montreux Jazz Festival wird jedes Jahr Musikgeschichtegeschrieben – ab heute zum 53. Mal. Längst ist der Event zum einem Mythos geworden: Ab dem Start 1967 fuhren Stars hier zu Höchstleistungen auf, leisteten sich Extravaganzenoder sorgten sonstwie für Aufsehen.
Publiziert: 28.06.2019 um 15:49 Uhr
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Aktualisiert: 31.03.2021 um 16:21 Uhr
Christoph Soltmannowski

Es begann 1967 – mit Festival-Begründer Claude Nobs (1936–2013), der in Montreux heute wie ein Heiliger verehrt wird: Eigentlich war der gelernte Koch beim Verkehrsverein von Montreux nur als Buchhalter angestellt. Der Musikbegeisterte hatte sich mit vielen Reisen nach Frankreich und auch in die USA ein Beziehungsnetz aufgebaut. Schon 1964 hatte er die Rolling Stones für ihr erstes Konzert in die Schweiz geholt. Drei Jahre später gründete er mit zwei Gefährten das Montreux Jazz Festival. Eigentlich war dies ein Wettbewerb für europäische Jazzbands – und musste damals mit 10’000 Franken Budget und ohne bezahlte Mitarbeiter auskommen.

Dennoch war der Auftakt spektakulär: Im Casino Montreux trat schon dann der gefeierte Saxofonist Charles Lloyd (81) auf, begleitet von jungen Talenten und dem blutjungen Keith Jarrett (74) am Piano. In den folgenden Jahren standen Soul-Diva Nina Simone (1933–2003) und Jazzpianist Bill Evans (1929–1980) auf dem Programm, der später den Mitschnitt seines Montreux-Auftrittes veröffentlichte. Die Platte mit dem Schloss Chillon auf dem Cover erhielt 1969 einen Grammy.

Dank Deep Purple ist Festival-Gründer Nobs «Funky Claude»

Auch in den Folgejahren gelang es Nobs, grosse Stars nach Montreux zu locken – und er öffnet das Jazz-Festival auch für Rock und Pop: So schafft er es 1970, Carlos Santana (71) zu engagieren, der im Jahr zuvor am legendären
Woodstock Festival vor einer halben Million Leute gespielt hatte.

Musiklegende Prince, hier 2013, wurde in Montreux gefeiert wie ein König – bei seinem letzten Besuch in Montreux reiste er mit einer 50-köpfigen Entourage an, und die Festivalmacher mussten ihm «zwei grosse Spiegel, zwei Tischchen im exakten Umfang von 20 Zentimetern» und Kräutertee bereitstellen.
Foto: Marc Ducrest
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Offenbar genügte es, wenn er hinter die Bühne ging und sagte: «Hallo, ich bin Claude Nobs aus der Schweiz.» So öffnete er das Festival für die Rockmusik, neben Jazzfans füllten neu viele Hippies, die der visionäre Nobs als
«unser Publikum der Zukunft» bezeichnete.

Der Band Deep Purple verdankt Festival-Gründer Nobs seinen Übernamen «Funky Claude». Die Hardrocker wurden 1971 Zeugen des verheerenden Brandes im Casino in Montreux. In ihrem Mega-Hit «Smoke on the Water» beschreiben wie die Rauchschwaden über den See ziehen. Claude Nobs stand mitten im Geschehen und half, wo er konnte. So heisst es im Songtext: «Funky Claude rennt rein und raus, zerrt Kinder auf den Rasen».

Eigenwillige und launische Stars

Nobs verstand es, auch die zickigsten und eigenwilligsten Stars umgänglich und spielwillig zu stimmen. Überhaupt nicht zufrieden mit dem Flügel, dem ihm das Festival zur Verfügung gestellt hatte, war Jazz-Pianist Keith Jarrett (74). Kritisch habe er ein paar Tasten gedrückt und dann den Kopf geschüttelt. Der Jazzpianist, der auch als Choleriker bekannt ist, verlangte stur nach einem Grand Concert Steinway – den man dann eilends kurz vor Konzertbeginn aus dem Konservatorium Lausanne herbeibrachte. «Der tönt aber nicht so gut», habe Jarrett dann gesagt, «dann spiele ich doch lieber auf dem ersten».

Auch den oft launischen Chuck Berry (1926–2017) konnte man 1972 milde stimmen. Nobs wusste, dass der Rock’n’Roll-Pionier eine Vorliebe fürs Fischen hatte und stellte deshalb ein Fischerboot parat – sicherheitshalber mit ein paar Fischen, die Berry als Fang präsentieren konnte. Es funktionierte, der Musiker war während des Konzerts in Hochstimmung.

Miles Davis (1926–1991) wollte unbedingt ein Cabriolet. Er bekam es in Rot – doch er wollte ein schwarzes – entsprechend seiner Hautfarbe. Für Alice Cooper lies man Tennisplätze reservieren. Und um die füllige Mähne von Funk-Ikone James Brown (1922-2006) aufzupäppeln, musste die Montreux-Künstlerzuständige Michaela Maiterth in Windeseile eine Trockenhaube organisieren.

Nina Simone wollte Diamant-Uhr

Die vor einem Jahr verstorbene Aretha Franklin (1942–2018) liess sich mit Schweizer Schokolade zum Auftritt in Montreux überzeugen. Und Nina Simone ergänzte Ihren Vertrags handschriftlich mit: «Ich möchte gerne eine Armbanduhr von Piaget mit Diamanten.» Nobs rannte ins Uhrengeschäft und kaufte eine solche – die mit den kleinsten Diamanten.

Jazz-Legende Miles Davis trat 1991 mit Quincy Jones auf – der Musiker und Star-Produzent ist erstmals auch Co-Produzent des Festivals. Mit dem Prototypen eines digitalen Videorekorders entstehen so die einzigen digitalen
Aufnahmen von Miles Davis, denn er starb nur wenige Monate später. Fast seit Anbeginn in Montreux jedes Konzert in Montreux mitgeschnitten – teilweise sogar in 3-D. Die Aufnahmen gelten seit 2013 als Unesco-Weltkulturerbe und werden sicherheitshalber in doppelter Ausführung in einem Bunker in Claude Nobs’ Chalet und in der Hochschule EPFL in Lausanne gehortet: 15'000 Stunden an Konzerten auf 14’000 Ton- und Videobändern.

Kräutertee für Prince

Musiklegende Prince (1958–2016) wurde in Montreux gefeiert wie ein König – bei seinem letzten Besuch in Montreux reiste er mit einer 50-köpfigen Entourage an, und die Festivalmacher mussten ihm «zwei grosse Spiegel, zwei Tischchen im exakten Umfang von 20 Zentimetern» und «Kräutertee mit Honig und Zitrone, serviert in Porzellantassen mit einem Silberlöffelchen» bereitstellen. Dafür gab er gleich drei Konzerte und setzte
obendrein nach dem ersten kurzfristig spätabends eine Aftershow an, die erst um 2 Uhr nachts begann.

Zickenkrieg der Bossa-Nova-Legenden

1985 lud Claude Nobs die beiden Bossa Nova Grössen João Gilberto (88) und Antonio Carlos Jobim (1927–1994) ans Festival ein – zwei, die sich darum stritten, wer denn nun den Bossa Nova erfunden habe. Deshalb wollte keiner als Erster, also als «Anheizer» für den anderen – die Bühne betreten. Der weniger bekannte José Barrense-Dias (86), der in der Westschweiz lebt, sprang dann als Konzerteröffner ein.

Mercury und Bowie schufen in Montreux ihren Welthit

Queen-Legende Freddie Mercury (1946–1991) hat einen festen Platz in Montreux – in der Erinnerung und mit einer eigener Statue am See. Er lebte Montreux, aber er ist nie am Festival aufgetreten. In Claude Nobs Chalet «Le
Picotin» in Caux ob Montreux war er jedoch oft zu Gast. Einmal auch mit David Bowie (1947–2016), der ebenfalls in der Nähe wohnte.

Da habe Nobs zu den beiden gesagt: «Geht doch mal ins Studio runter und spielt was zusammen.› Nach zwei Stunden seien die beiden zurückgekehrt, um zu verkünden: «So, jetzt haben wir ein neues Stück komponiert, es heisst ‹Under Pressure›». In zwei Stunden hatten Mercury und Bowie einen Welthit geschaffen – auf Initiative von Festival-Gründer Nobs. David Bowie trat ein einziges Mal, 2002, am Festival auf.

Iggy Pop verliert seinen Schneidezahn

Ur-Punk und Rocklegende Iggy Pop (72) bewies 2018, dass er kein Weichei ist: An seinem Konzert im grossen Saal und liess sich schon beim ersten Song ins Publikum fallen – nach einer Stunde aber fiel er ungewollt von der Bühne, wurde weggetragen – und kehrte aber schnell wieder zurück, um zu verkünden: «Ich habe meinen Zahn verloren» – und sang mit abgebrochenem Schneidezahn unermüdlich weiter, als ob nichts gewesen wäre.

Die Montreux-Legende setzt sich fort – auch dieses Jahr. Schon bekannt ist: Mit Elton John (72), Anita Baker (61) und Joan Baez (78) verabschieden sich grosse Künstler von der Konzertbühne. Stars wie Sting (67), Lauryn Hill (44), Janet Jackson (53), Tom Jones (1957–2016), Rita Ora (28), Bon Iver (38) und Slash (53) sind mit von der Partie.
Montreux-Freund und Mitstreiter Quincy Jones sorgt spezielle Musikleckerbissen. Das reichhaltige Programm von Festival-Direktor Mathieu Jaton garantiert weitere Momente, die als Musik-Meilensteine oder mindestens als Anekdoten in die Montreux-Geschichte eingehen werden.

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