In der Schweiz trauerte die depressive Queen Victoria um ihren Ehemann
Hier heilte ihr gebrochenes Herz

Königin Victoria (1819–1901) trauerte um ihren geliebten Ehemann. In der Schweiz fand die depressive Regentin wieder Kraft – und kurbelte den Tourismus an.
Publiziert: 07.08.2019 um 20:09 Uhr
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Aktualisiert: 08.08.2019 um 15:41 Uhr
Michael van Orsouw

63 Jahre war Queen Victoria im Amt, ihr Reich umfasste 1 Milliarde Menschen, sie hatte 9 Kinder, war in 229 Kriege und Aufstände verwickelt, überlebte 7 Attentate und 21 Kabinette, eine ganze Epoche wurde nach ihr benannt: das Viktorianische Zeitalter. Sie war die mächtigste Frau der Welt.

Und dennoch berichtet unsere Episode von einer gebrochenen Frau, einer verletzten, verunsicherten, menschenscheuen Königin. Es geht um ihre Reise in die Schweiz im Jahr 1868, die eine Art Flucht war vor der grossen Verantwortung und den unzähligen Pflichten, die eine Herrscherin über das British Empire zu erfüllen hat.

Trauer führte sie in die Schweiz

Queen Victoria befindet sich nach dem Tod ihrer Mutter und vor allem nach dem Tod ihres Gatten Prinz Albert in einem depressionsähnlichen Zustand, sie leidet – so würde man es heute wohl diagnostizieren – an einem akuten Burn-out. Sie kleidet sich ausschliesslich in Schwarz, lässt für ihren verstorbenen Albert jeden Abend das Bett machen, jeden Morgen frische Kleider bereitlegen. Zudem meidet sie jede Öffentlichkeit. Das schadet dem Ansehen der englischen Krone massiv.

Während der Regierungszeit von Königin Victoria, die von 1837 bos 1901 dauerte, wurde Grossbritannien zur Weltmacht. Sie selber verbrachte 1868 einige Zeit in der Schweiz.
Foto: Popperfoto via Getty Images
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Victoria vergötterte alles, was mit Albert zu tun hatte, was einen fast grotesken Kult annahm. Albert hatte von seiner früheren Reise in die Schweiz geschwärmt, also war auch für die Queen die Schweiz seit langem ein Sehnsuchtsort. Eine getrocknete, gepresste Alpenrose, die er ihr einst aus der Schweiz geschickt hatte, bewahrte Victoria mehr als 30 Jahre wie eine edle Kostbarkeit auf. Jetzt, da sie sich schwach fühlte, sollte eine vierwöchige Reise in die Schweiz Gesundung bringen.

Offizieller Reisegrund: Angeschlagene Gesundheit

Im August 1868 ist es endlich so weit. Die angeschlagene Gesundheit der Monarchin gilt als offizieller Grund für die Reise in die Schweiz – gemessen an der sonstigen Heimlichtuerei über royale Krankheiten ist das englische Königshaus hier bemerkenswert offen.

Alle sind mit ihr verwandt

Königin Victoria hat nicht nur mit Geschick regiert, sondern auch ihre neun Kinder geschickt verheiratet. Ihr Ziel war dabei nicht, die grosse Liebe für ihre Töchter und Söhne zu finden, sondern einen Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten. Ihre erstgeborene Tochter beispielsweise wurde deshalb Königin von Preussen und kurzzeitig sogar deutsche Kaiserin. Noch heute regieren die Nachkommen von Königin Victoria: Elisabeth II. von England und ihr Mann sind beide Ururenkel Victorias, ebenso Sophia und Juan Carlos von Spanien. Auch Harald V. von Norwegen, Carl XVI. Gustaf von Schweden und Margrethe II. von Dänemark sind verwandt mit der Queen. Und auch unter den nicht mehr regierenden Königinnen und Königen Europas finden sich Nachfahren Victorias: Konstantin II. von Griechenland und Michael I. von Rumänien zum Beispiel. Nachkommen der Queen sind zudem die Oberhäupter der ehemaligen Herrscherhäuser von Serbien, Russland und Frankreich. Queen Victoria ist also nicht nur die zweitlängste Herrscherin Grossbritanniens, sondern auch Begründerin eines erfolgreichen Familienunternehmens.

Königin Victoria hat nicht nur mit Geschick regiert, sondern auch ihre neun Kinder geschickt verheiratet. Ihr Ziel war dabei nicht, die grosse Liebe für ihre Töchter und Söhne zu finden, sondern einen Beitrag zum Frieden in Europa zu leisten. Ihre erstgeborene Tochter beispielsweise wurde deshalb Königin von Preussen und kurzzeitig sogar deutsche Kaiserin. Noch heute regieren die Nachkommen von Königin Victoria: Elisabeth II. von England und ihr Mann sind beide Ururenkel Victorias, ebenso Sophia und Juan Carlos von Spanien. Auch Harald V. von Norwegen, Carl XVI. Gustaf von Schweden und Margrethe II. von Dänemark sind verwandt mit der Queen. Und auch unter den nicht mehr regierenden Königinnen und Königen Europas finden sich Nachfahren Victorias: Konstantin II. von Griechenland und Michael I. von Rumänien zum Beispiel. Nachkommen der Queen sind zudem die Oberhäupter der ehemaligen Herrscherhäuser von Serbien, Russland und Frankreich. Queen Victoria ist also nicht nur die zweitlängste Herrscherin Grossbritanniens, sondern auch Begründerin eines erfolgreichen Familienunternehmens.

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Um die gesuchte Musse zu erreichen, reist Victoria unter falschem Namen. Sie nennt sich Gräfin von Kent und gibt damit zu verstehen, dass sie von fremden Regierungen keine Sonderbehandlung erwartet. Verschifft werden nebst Königin und Hofstaat drei Kutschen, ihr Bett, zwei Ponys, Küchengerätschaften und so weiter.

In Luzern versammelt sich beim Bahnhof eine grosse Menge Schaulustiger, welche die englische Königin begrüsst. Die Schweizer jubeln der fremdländischen Monarchin zu. Die Luzerner Stadtpolizei muss die Zuschauer im Zaum halten, damit sie der Queen nicht zu nahe kommen.

Alles, was sich Victoria erträumt hatte

Victoria hat für sich und ihre Begleitung eine ganze Pension in Luzern gemietet. Obwohl die Einrichtung neu ist, wendet Victorias erster Obersthofmeister eine erkleckliche Summe auf für zusätzliche Möbel, Teppiche, Bilder, Porzellan, Putzmittel und einen telegrafischen Apparat. Man will der erschöpften Queen den Aufenthalt möglichst angenehm machen.

Die Aussicht auf den Vierwaldstättersee und die Berge begeistert die Königin, die in ihr Tagebuch schreibt: «Es war wirklich das, was ich erträumt hatte, von dem ich aber kaum glauben konnte, es jetzt in Wirklichkeit zu sehen!»

In den folgenden Wochen bereist sie, für eine angeschlagene Monarchin erstaunlich unternehmungslustig, die Innerschweiz: Sie sieht sich die Tellskapelle an, steigt in Brunnen und Küssnacht an Land, reist auf die Rigi, zu den Mythen, nach Goldau, an den Zugersee, auf den Pilatus, auf den Brünig und nach Engelberg. Egal, wo sich die Reisenden befinden: Ihren typisch englischen Gewohnheiten entsprechend wird Punkt 17 Uhr der Afternoon Tea serviert, auch unter grössten Strapazen für das Personal, das den Tee schon mal auf eine abgelegene Alpwiese tragen muss. Die Queen spaziert, reitet auf ihren Ponys, schreibt, ruht und isst. Sie nimmt sich immer wieder Zeit, um die Landschaft zu zeichnen und zu aquarellieren.

Königliche Lärmklagen wegen Kegelbahn

Nur etwas stört die Königin: Sie ärgert sich über den Lärm der Kegelbahn neben der Pension. Mit der damals horrend hohen Summe von 2000 Franken will sie die Luzerner Kegler zum Verstummen bringen, was misslingt. Die Schweizer sind eben noch starrköpfiger als die Königin.

Die zunehmende Hitze in der Innerschweiz führt zur Ermüdung der übergewichtigen Monarchin. In der Tat ist es der heisseste Sommer seit Menschengedenken. Deshalb reist die Gesellschaft auf den Furkapass. Weil die Queen das ganze Furkahospiz gleich für drei Tage gemietet hat, werden andere Gäste schroff abgewiesen. Victoria selbst erlebt auf dem Furkapass mehr Kühle, als sie sich gewünscht hat. Es graupelt und schneit sogar ein bisschen. Plötzlich bricht wieder die Sonne hervor und bietet den Engländern ein gewaltiges Naturschauspiel.

Die Schweiz tat gut, aber die schwarzen Kleider blieben

Am 9. September reist die königliche Gesellschaft wieder aus der Schweiz ab. Die Schweizer Reise hat der englischen Königin gutgetan. Ihre schlimmste Trauerzeit hat sie dank der Reise in die Innerschweiz überstanden. Bereits wenige Tage nach der Rückkehr nach London reist die englische Königin weiter nach Balmoral in Schottland, das sie an die Schweiz erinnert.

 Aber ihre schwarzen Kleider, die wird sie ihr Leben lang anbehalten.

BLICK-Serie Royale Schweiz

Hat die Schweiz einen besonderen Bezug zu Königinnen und Kaisern, weil sie nie welche hatte? Dieser Frage geht Autor, BLICK-Kolumnist («Leuthen Vonz Heuthen») und Historiker Michael van Orsouw in einer sechsteiligen History-Serie nach. Bei den royalen Geschichten aus der Schweiz handelt es sich um vom Autor bearbeitete Vorabdrucke aus dem Buch «Blaues Blut», das Mitte August im Verlag Hier und Jetzt erscheint.

BLICK-Leser erhalten das Buch (312 Seiten, gebunden) zum exklusiven Vorzugspreis von 30 statt 39 Franken (inkl. Versandkosten). Bestellung mit Rabattcode «Blick-Royals» an admin@hierundjetzt.ch oder Telefon 056 470 03 00. 

Hat die Schweiz einen besonderen Bezug zu Königinnen und Kaisern, weil sie nie welche hatte? Dieser Frage geht Autor, BLICK-Kolumnist («Leuthen Vonz Heuthen») und Historiker Michael van Orsouw in einer sechsteiligen History-Serie nach. Bei den royalen Geschichten aus der Schweiz handelt es sich um vom Autor bearbeitete Vorabdrucke aus dem Buch «Blaues Blut», das Mitte August im Verlag Hier und Jetzt erscheint.

BLICK-Leser erhalten das Buch (312 Seiten, gebunden) zum exklusiven Vorzugspreis von 30 statt 39 Franken (inkl. Versandkosten). Bestellung mit Rabattcode «Blick-Royals» an admin@hierundjetzt.ch oder Telefon 056 470 03 00. 

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