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Er ist die Nachwuchshoffnung:Renato Kaiser über Kritik und die Sendung «Late Update»

Satiriker Renato Kaiser verteidigt seinen Chef
«Michael muss die ganze Sendung tragen»

Er gilt als Nachwuchshoffnung der Schweizer Satire. 
In «Late Update» trifft Renato Kaiser (33) 
auf das grosse ­Publikum. Der St. Galler über hohle 
Kritik, fehlende Eier und die Schweizer Mentalität in Sachen Humor.
Publiziert: 09.03.2019 um 14:58 Uhr
|
Aktualisiert: 11.03.2019 um 08:09 Uhr
Renato Kaiser (33) ist ein Satiriker aus der Ostschweiz. Seit Anfang Jahr ist er Teil der Sendung «Late Update» von Michael Elsener.
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Benno Tuchschmid
Benno TuchschmidCo-Ressortleiter Gesellschaft

Haben Sie kein schlechtes Gewissen?
Renato Kaiser: Gegenüber wem?

Michael Elsener ist mit «Late Update» seit ein paar Wochen auf Sendung. Gelobt wird in der Sendung nur einer: Sie.
Ich habe in dieser Sendung die komfortabelste Position. Ich schreibe meine dreiminütige Nummer, feile eine Woche daran, und wenn sie gut ist, klopfen mir alle auf die Schultern. Wenn sie schlecht ist, interessiert es niemanden. Michael muss die ganze Sendung tragen.

Sie finden die Kritik unfair?
Unfair ist zu viel gesagt. Ich wünsche mir einfach bessere Kritiken.

Wie meinen Sie das?
Wenn die «NZZ am Sonntag» schreibt «Late Update» zeige, dass Schweizer keine Satire können, dann hat sich der Kritiker zu wenig Mühe gegeben. Als ob es in den letzten 30 Jahren keine Satire in diesem Land gegeben hätte. Das ist diese Selbstkasteiung, die vor allem ältere Schweizer immer noch gerne praktizieren.

Die Schweiz ist vielleicht das einzige Land, in dem Leute Satire schauen, mit dem Ziel, nicht zu lachen.
Ja. Es ist diese Mentalität, sich so klein wie möglich zu machen. Und wenn es dann trotzdem mal einer auf Weltniveau schafft, dann können wir uns freuen wie verrückt. Wie bei Roger Federer, der so gut ist, obwohl er aus der kleinen Schweiz kommt.

Woher kommt diese Mentalität?
Wer nicht gerne Risiken eingeht, schaut überkritisch auf Leute wie Michael Elsener, die Risiken eingehen, und wenn sie dann nicht perfekt sind, dann bestätigen sie unser Wissen, dass sie es eben gar nicht hätten probieren sollen. Aber die Mentalität weicht langsam auf.

Was ist denn gute Satire?
Satire ist erst einmal eine Nische. Sie ist nicht für alle. Für mich gilt: Je heikler ein Thema ist, desto mehr Mühe muss man sich geben. Ein schlechter Witz über Äpfel ist ein schlechter Witz über Äpfel. Ein schlechter Witz über Sozialhilfe­bezüger ist schwierig.

Über Sozialhilfebezüger darf man keine Witze machen?
Doch. Aber ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich bin halb Italiener, was mir, um das klarzustellen, keine grossen Benachteiligungen ein-
gebracht hat, ausser ein paar Witze. Aber nach dem hundertsten Tschinggli-Witz, der sich darum dreht, dass Italiener klein sind und nicht gerne arbeiten, finde ich einfach: Gebt euch etwas mehr Mühe.

Sie sind in Goldach aufgewachsen. Wie wird man da witzig?
Meine satirische Erziehung erhielt ich durch meinen Vater. Loriot, Otto und «Viktors Spätprogramm». Die fand ich richtig geil.

Dieses Wochenende ist im sankt-gallischen Goldach Fasnacht. Die spielte keine Rolle?
Höchstens im Negativen. Ich respektiere Fasnacht mit Tradition, nicht weil ich traditionsverbunden bin, sondern weil man dort merkt, dass etwas dahinter steckt. Je grösser die Tradition, desto weniger platt ist sie. In der Ostschweiz ist es einfach ein weiterer Termin, wo sich alle die Lampe füllen und prügeln können.

In der Schweiz gibt es einen kulturellen Stadt-Land-Graben. Die einen mögen Trauffer, die anderen Musik von Bands, die niemand kennt. Gibt es den Graben im Humor auch?
Was mich anbelangt, ist der Graben nicht gross genug, als dass er relevant wäre. Der Stadt-Land-Graben ist ja meist despektierlich gegenüber dem Land gemeint. Bei Künstlern existiert der durchaus.

Wie äussert sich das?
Es gibt Comedians, die schreiben ihre Texte um, wenn sie im Publikum graue Haare entdecken. Darauf habe ich keine Lust. Ich finds auch unökonomisch. Ich hatte mal einen Auftritt bei einer Pro-Senectute-Veranstaltung. Damals hatte ich eine Nummer, in der ich erzählte, wie mir ein Kollege aus dem nichts eröffnete, er habe nur einen Hoden.

Sie brachten die Nummer?
Ich erklärte dem Publikum, dass ich diese Nummer nicht weglassen kann, weil wenn jemand über den Zustand des Nur-einen-Hoden-Habens lachen kann, dann Menschen über 60. Warum soll man Schnäbi-Witze mit über 70 nicht mehr witzig finden? Man sollte sein Publikum nie unterschätzen.

Sie haben in einem Interview 
gesagt, dass Ihre Kunst ohne 
Unterstützung funktioniert.
Ich habe mich noch nie für ein Stipendium oder eine Förderung beworben, weil das etwas für Lyriker oder Maler ist, für die es in der Schweiz keinen Markt gibt. Ich kann an jedem Geburtstagsfest auftreten. Das tue ich auch. Ich spielte als Satiriker sogar an Hochzeiten. Für Lyriker ist es schwerer. Nicht jede Hochzeit erträgt einen Lyriker.

Sind Sie gegen Subventionen?
Im Gegenteil. Ich würde niemals so weit gehen wie Andreas Thiel, der behauptet, subventionsfrei zu leben. Ich trete in vielen Theatern auf, die subventioniert und von Freiwilligen betrieben werden. Kultur funktioniert nicht ohne finan-zielle Unterstützung.

Wie viel verdienen Sie?
Ich lebe seit 2009 von dem, was ich mache. Als ich vor drei Jahren für 11 000 Franken einen Mietwagen-Schaden bezahlen musste, schaute ich zum ersten Mal wieder richtig aufs Konto. Heute verdiene ich so zwischen 60 000 und 100 000 Franken im Jahr.

Wieso sagen Sie mir das?
Man spricht ja seit längerem über Lohn-Transparenz. Ich habe dabei gemerkt, dass ich mein Einkommen nicht kenne, und wenn man das ­öffentlich sagt, dann denken alle: Aha, in dem Fall verdient er viel.

Apropos Markt: Sie machen politische Satire. Da schränken Sie Ihren Markt schon mal künstlich ein, alle, die nicht Ihrer Meinung sind, werden nicht kommen.
Ich mache zwar politische Satire, aber ich bin ein sehr positiver politischer Satiriker. Ich gehe liebevoll mit Personen um, die ich kritisiere. Ausser mit Gölä, als er vom Penner vor dem Denner sang und Leuten mit Burn-out riet, mehr zu arbeiten, fand ich nichts, wo ich hätte sagen können: Mol, da hat er recht.

Klingt wahnsinnig ausgeglichen.
Ich habe eine Freundin und drei Haustiere.

Drei Haustiere?
Ja, einen Hund und zwei Katzen. Meine Freundin ist total unabhängig von mir. Wenn ich zwei Buchungen an einem Abend habe und mir die eine Spass macht, aber nur 300 Franken einbringt, die andere keinen Spass macht, aber 3000 Franken einbringt, habe ich die Freiheit, die erste anzunehmen.

Und wenn Sie mal Kinder haben?
Ich habe nichts gegen Kinder, aber ich weiss nicht, ob ich welche­ ­haben werde

Sie mögen keine Kinder?
Ich find es okay, gibt es Kinder. 
Kinder sind auch Menschen, einfach kleine, und sie können viel weniger. Gewitzte, aufmerksame, mit denen kann ich eine Stunde verbringen.

Aber im Grundsatz eher nicht.
Seit ich eine Glatze habe, beginnen sie wenigstens nicht mehr zu weinen, wenn sie mich sehen.

Das ist wohl genetisch.
Ja, meine Glatze erinnert sie an ihre Geburt.

Was ist Ihr Lieblingsfluchwort?
Wichser.

Dachte ich mir. Dieses Fluchwort hat Ihnen eingebracht, was bei Humoristen schon fast zum ­guten Ton gehört: eine Beschwerde beim SRF-Ombudsmann.
Mit dem Wort Wichser kann man eigentlich nichts falsch machen – ausser beim SRF.

Wieso kann man damit nichts falsch machen?
Man diskriminiert mit dem Wort niemanden. Es ist höchstens vulgär. Ausserdem sagt es sich sehr schön. Vor dem Wort Wichser mochte ich das Wort Mongo. Auch das sagt sich gut. Aber sobald man checkt, was es heisst, wird es schwer, es zu benutzen. Es tat mir schon kurz leid, dass ich es nicht mehr verwenden darf. Ich habe nicht aktiv ein anderes ­gesucht, aber ich war froh, als ich Wichser fand.

Ist Ihr Ostschweizer Dialekt für Sie eher ein Vor- oder ein Nachteil?
Der St. Galler Dialekt ist als Kommunikationsmittel perfekt. Alle verstehen ihn, er eignet sich, um schnell zu sprechen. Ich sage immer: Berner sind nicht langsam, ihr Dialekt ist es. Sie brauchen mehr Muskelkraft im Gesicht. 

Es gibt auffällig viele Ost-Schweizer-Satiriker.
Im Humor ist der Dialekt sogar ein Vorteil, gerade weil in den letzten 20 Jahren jeder betonte, wie grässlich er ihn findet. Aber man findet ihn eben auch lustig und macht ihn gerne nach. «Hopp Sankt Gallä, fürä mit em Ballä.» Aber wissen Sie was?

Sagen Sie es mir.
Eigentlich sollte der Dialekt egal sein. Heute sind eh alle überall. Es ist wie bei Menschen, die keine Hautfarben mehr sehen: Ich höre keine Dialekte. 

Ostschweizer Wortkünstler

Aufgewachsen in Goldach SG, begann Renato Kaiser 2005 mit Poetry Slam. Innert kürzester Zeit wurde er erfolgreich und entwickelte sich zu einem der ­bekanntesten Exponenten der deutschsprachigen Poetry-Slam-Szene. Seit 2009 lebt Kaiser, der in Freiburg Germanistik und ­Geschichte studierte, von seiner Kunst. Seit 2010 tourt er mit abendfüllenden Programmen durchs Land. Berühmtheit ­erlangt Renato Kaiser unter ­anderem mit seinen satirischen ­Videos für das Newsportal ­Watson und mit seinen Beiträgen für das SRF-Satiremagazin «Zytlupe». Seit Anfang Jahr ist er Teil der Sendung «Late Update».

Aufgewachsen in Goldach SG, begann Renato Kaiser 2005 mit Poetry Slam. Innert kürzester Zeit wurde er erfolgreich und entwickelte sich zu einem der ­bekanntesten Exponenten der deutschsprachigen Poetry-Slam-Szene. Seit 2009 lebt Kaiser, der in Freiburg Germanistik und ­Geschichte studierte, von seiner Kunst. Seit 2010 tourt er mit abendfüllenden Programmen durchs Land. Berühmtheit ­erlangt Renato Kaiser unter ­anderem mit seinen satirischen ­Videos für das Newsportal ­Watson und mit seinen Beiträgen für das SRF-Satiremagazin «Zytlupe». Seit Anfang Jahr ist er Teil der Sendung «Late Update».

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