Buchtipps von «Literaturclub»-Moderatorin Nicola Steiner
Fesselnde Bücher für den Sommer

Ein historischer Roman über Verstrickung und Schuld, ein Rückzugsbuch voller Poesie und ein feministischer Klassiker von Virginia Woolf: Nicola Steiner, Moderatorin des SRF-«Literaturclubs», verrät, welche Bücher es sich diesen Sommer zu lesen lohnt.
Publiziert: 18.07.2020 um 23:10 Uhr
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Aktualisiert: 23.04.2021 um 11:11 Uhr
Patricia Broder

Der Sommer ist da: die perfekte Jahreszeit, um am Seeufer, im Garten oder auf dem heimischen Balkon zu relaxen – mit einem guten Buch. Mit einem neuen Roman oder einem Klassiker, den man auch bei perfektem Badewetter nicht weglegen mag. Welche Werke das für sie sind, verrät uns die SRF-«Literaturclub»-Moderatorin Nicola Steiner (45).

1. Ulla Lenze: «Der Empfänger» (Klett Cotta)


Was sich wie ein Krimi liest, ist weit mehr als das: «Der Empfänger» von Ulla Lenze ist ein historischer Roman über Verstrickung und Schuld und über Heimat und Identität. Ulla Lenze erzählt von ihrem Grossonkel Josef Klein, der in den 1920er-Jahren nach New York emigrierte. Während der NS-Zeit liess der passionierte Amateur-Funker sich wider besseres Wissen auf einen deutschen Spionagering ein, der schon bald vom FBI aufgedeckt wurde. Nach Jahren im Gefängnis kehrt er zurück zu seiner Familie nach Deutschland, findet dort aber keine Heimat mehr. Ein politisches Buch über einen unpolitischen Menschen, das zeitlose Fragen stellt.

2. Anne Enright: «Die Schauspielerin» (Penguin)


In der Mitte ihres eigenen Lebens stellt sich die Tochter einer legendären irischen Schauspielerin grosse Fragen: Wer war meine Mutter eigentlich wirklich? Wer versteckte sich hinter der Fassade dieser schillernden Diva? Und warum schoss sie eines Tages aus heiterem Himmel einem Freund und bekannten Filmproduzenten in den Fuss? Die Suchbewegung führt die Tochter ins Hollywood der 50er-Jahre und ins Irland der 1970er. Ein Roman über eine komplexe Mutter-Tochter-Beziehung, über eine Vatersuche mit ernüchternden Erkenntnissen und über #MeToo lange vor Harvey Weinstein. Bewegend und unsentimental zugleich.

Nicola Steiner, Moderatorin des SRF-«Literaturclubs», verrät uns ihre wichtigsten Buchtipps für den Sommer.
Foto: SRF/Oscar Alessio
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3. Dave Eggers: «Die Parade» (Kiepenheuer & Witsch)


Spätestens seit «Der Circle» steht der US-amerikanische Bestsellerautor Dave Eggers für kluge Gesellschaftskritik mit Unterhaltungswert. In seinem aktuellen Roman verhandelt er das komplizierte Verhältnis zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Nach einem jahrzehntelangen Bürgerkrieg soll mit dem Bau einer Strasse, die den Norden mit dem Süden verbindet, der Beginn von Frieden und Wohlstand eingeläutet werden. Was einfach klingt, entwickelt sich zu einer Parabel auf unser Verständnis von Menschlichkeit und Moral, ganz nach dem Motto: Das Gegenteil von gut ist gut gemeint.

4. Anna Katharina Hahn: «Aus und davon» (Suhrkamp)


Eine Grossmutter kümmert sich um ihre beiden Enkel, nachdem die Tochter fluchtartig und ohne Gepäck für eine Auszeit in die USA aufgebrochen ist. Gerade gut läuft es erst mal nicht mit den beiden. Zudem hat die Grossmutter eigene Sorgen: Ihr Mann hat einen Schlaganfall erlitten, und nun ist nichts mehr, wie es war. Ein Generationenroman, der ganz viele Geschichten zur grossen Frage bündelt: «Wie soll man leben»? Klug, komisch, absurd und mit einem grossen Gespür für die Details des Alltags.

5. Hansjörg Schertenleib: «Palast der Stille» (Kampa)


Ein Schriftsteller zieht sich in eine Hütte in Maine an der Ostküste der USA zurück. Dort beobachtet er die Natur, die Tiere des Waldes, den fallenden Schnee. Und erinnert sich an seine Kindheit und Jugend in Zürich, immer auf der Suche nach dem Moment, der ihn zum Schriftsteller machte. Hansjörg Schertenleib erzählt von einer Flucht in die Einsamkeit, ohne Computer und Internetzugang, vom Zurückgeworfen-Sein auf sich selbst. Ein Rückzugsbuch voller Poesie, eine Meditation über die Stille.

6. James Baldwin: «Nach der Flut das Feuer» (dtv und Taschen Verlag)


Leider immer noch brandaktuell: diese drei Essays von James Baldwin von 1963. Baldwin war zehn Jahre alt, als er erstmals Opfer weisser Polizeigewalt wurde. Ausgehend von seinen persönlichen Erfahrungen analysiert er die rassistischen Strukturen und die Doppelmoral der US-amerikanischen Gesellschaft. Das Problem des 20. Jahrhunderts sei das Problem der Rassentrennung. Eine Lösung bestünde nur in der Überwindung von «Hautfarbe, Nation und Alter». Unbedingt empfehlenswert auch: der Bildband mit dem Originaltext und Fotos seines Freundes Steve Schapiro.

7. Fabio Andina: «Tage mit Felice» (Rotpunktverlag)


Felice ist ein neunzigjähriger Tessiner aus dem Bleniotal, der jeden Tag mit einem Bad in einem Wasserbecken auf dem Berg beginnt, Wetter vollkommen egal. Er lebt sein Leben in gewohnten Bahnen: Er fährt mit dem Auto herum, geht in Beizen, kocht sich morgens, mittags, abends ein Süppchen mit Kräutern aus dem Garten. Felice ist der Inbegriff der Genügsamkeit. Wir verbringen unsere Tage mit Felice und lernen sein Dorf kennen. Der Roman lässt uns darüber nachdenken, was das Leben ausmacht. Ein magisches Buch, das einen gleichermassen nachdenklich wie heiter stimmt.

8. Virginia Woolf: «Ein Zimmer für sich allein» (Kampa)


Ein Klassiker des Feminismus: Virginia Woolfs Langessay von 1929 gehört bis heute zu den meistgelesenen Texten der Frauenbewegung. Darin spricht Woolf eine eherne Wahrheit an: dass man als Frau, um schreiben zu können, Geld braucht – und ein eigenes Zimmer. In neuer Übersetzung von der Schriftstellerin Antje Rávik Strubel, die den Witz des Textes elegant unterstreicht, und mit einem Nachwort versehen, in dem Strubel die Dringlichkeit von Woolfs Thesen und den Wert ihres literarischen Erbes herausarbeitet.

Nicola Steiner

Nach ihrem Studium der Sprachen sowie Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau (D), arbeitete die gebürtige Berlinerin bei verschiedenen deutschen Literaturverlagen und 2003 bei der Zeitschrift «Du» in Zürich. Seit 2008 ist Nicola Steiner Mitglied der Literaturredaktion von SRF. 2014 wurde sie Moderatorin des «Literaturclubs». Nicola Steiner lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern (11 und 14) in Zürich.

Nach ihrem Studium der Sprachen sowie Wirtschafts- und Kulturraumstudien in Passau (D), arbeitete die gebürtige Berlinerin bei verschiedenen deutschen Literaturverlagen und 2003 bei der Zeitschrift «Du» in Zürich. Seit 2008 ist Nicola Steiner Mitglied der Literaturredaktion von SRF. 2014 wurde sie Moderatorin des «Literaturclubs». Nicola Steiner lebt mit ihrem Mann und den beiden Kindern (11 und 14) in Zürich.

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