Der stille Abschied der Lys Assia (†94)
Vom Rampenlicht in die Einsamkeit

Lys Assia trat vor Königin Elizabeth II., Eva Perón und dem ägyptischen König Faruk auf, stand mit Marlene Dietrich auf der Bühne und tanzte mit Josephine Baker um die Wette. Doch ihr Abschied war einsam. Gesundheitliche Probleme und Zwist haben sie gezeichnet.
Publiziert: 01.04.2018 um 22:01 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2019 um 14:35 Uhr
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Peter Padrutt, Jean-Claude Galli

Lys Assia war die unbestrit­tene Grande Dame de la Chanson. Sie hatte 1956 den allerersten Eurovisionswettbewerb gewonnen und war zu ihren Glanzzeiten weltweit bekannt, erfolgreich, beliebt und umschwärmt. Doch ihren letzten Weg trat sie einsam und alleine an und starb am Samstag vor einer Woche 94-jährig im Spital in Zollikerberg ZH. Ob ihr in den letzten Stunden jemand die Hand gehalten hat, ist nicht bekannt. Inzwischen ist eine Woche vergangen, und noch immer ist keine Todesanzeige erschienen, auch ein Beerdigungstermin wurde nicht publiziert.

Offenbar hatte Assia aber eine klare Vorstellung von ihrer finalen Ruhestätte. «Wenn ich tot bin, möchte ich bei Oscar begraben werden», sagte Assia einst gegenüber ihrem deutschen Manager Peter Mehlberg. Er war es, der den Umzug von Assia von Cannes nach Zürich organisierte. Die Sängerin war 2004 an der Côte d’Azur brutal überfallen und ihr Hund Lucky dabei getötet worden. «Es war das Beste für sie, in die Schweiz zurückzukehren, hier fühlte sie sich sicher und geborgen», sagte Mehlberg zu SonntagsBlick. «Zürich war auch als Basis für ihre nach wie vor rege künstlerische Tätigkeit ­ideal.»

Ihr letzter grosser Auftritt war gleichzeitig ihre grösste Demütigung: 2011 stand Lys Assia bei der ESC-Ausscheidung nochmals im Rampenlicht und liess in einer von Ralph Siegel üppig orchestrierten Ballade ihr Leben Revue passieren. «Das war mein Leben – das war mein Schicksal», sang Assia. Das Lied vom 17-jährigen Mädchen, das den Traum der Weltkarriere lebte («Man lacht, man weint für nichts»), sollte ein kräftiges Ausrufezeichen sein.

Klassisch schön: Lys Assia auf einem ­undatierten Foto aus den Fünfzigern.
Foto: Harry Croner/ULLSTEIN BILD
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Doch Assia ging unter, schied aus. «Dieser unmögliche Mensch hat überhaupt keine Kinderstube!», wetterte die damals 87-Jährige über Juror Stämpf, welcher ihr respektlos ins Gesicht geworfen hatte: «Ich weiss nicht, ob das zum Eurovision passt oder mehr zu einer Kreuzfahrt-Kaffeefahrt.» Assia war zutiefst verletzt. «Diese Beleidigung habe ich nicht verdient.»

Die zwei Ehemänner

Assia war zweimal verheiratet gewesen. Mit Johann Heinrich Kunz bloss neun Monate lang, er starb 1957 nach einer schweren Krankheit. Mit dem zweiten Ehemann, dem Multimillionär Oscar Pedersen, zog sie in dessen dänische Heimat, legte ihre Karriere auf Eis und führte mit ihm zusammen mehrere Hotels. Er verunfallte 1995 jedoch tödlich. Nach einer Fehlgeburt im Alter von 34 Jahren konnte Assia nie eigene Kinder bekommen. «Das blieb bis zuletzt schmerzvoll für mich.» Durch ihre beiden Ehen übernahm sie vier Kinder. Und sie war stolze Grossmutter von drei Enkelkindern.

Camilla, Tochter ihrer Stieftochter Jane, kümmerte sich nach ihrer Rückkehr in die Schweiz jahrelang liebevoll um sie.

Anders als Marlene Dietrich, die sich in ihrer Pariser Wohnung komplett einsperrte und das perfekte Bild von sich zelebrierte, suchte Assia stets die Öffentlichkeit. Bis fast zuletzt liess sie sich an Promi-Anlässe chauffieren, sprach gerne mit Journalisten über ihre Karriere. Aber nicht über ihre Einsamkeit. Wenn man sie anrief, zeigte sie sich stets beschäftigt. «Ich habe wenig Zeit, ich schreibe gerade ganz viele Autogramme», sagte sie oft schroff.

Über ihre gesundheitlichen Probleme – sie hatte zuletzt ein schwaches Herz – sprach sie ungern. Alle Ratschläge, von ihrer Terrassenwohnung in Erlenbach ZH in eine Altersresidenz zu ziehen, schlug sie entnervt aus. «Eines dieser Heime habe ich besucht», erzählte sie BLICK vor drei Jahren. «Es war schrecklich. Alles teilnahmslos dahinvegetierende Alte», schimpfte sie.

Oft giftete sie über andere Künstler. Von Nella Martinetti «erbte» sie den Chauffeur, aber dann kam es zum Streit zwischen den beiden. Auch zu Hause überwarf sich Assia mit wechselnden Bediensteten, Nachbarn und zuletzt sogar mit ihrer Enkelin Camilla. Die Zwistigkeiten häuften sich zunehmend. Und erschwerten offenbar auch ihre Absicht, im Pedersen-Grab in Dänemark ihre letzte Ruhe zu finden.

Die Crux mit den Millionen

Assia beschuldigte offenbar eine ehemalige Mitarbeiterin, sie bestohlen zu haben. Die Staatsanwaltschaft nahm das Verfahren gemäss «Glückspost» gar nicht erst auf. «Es liegen keine schlüssigen Tatsachen vor, die auf eine Täterschaft von Frau X. auch nur entfernt hindeuten», hielten die Behörden in einer Verfügung fest.
Die Rede war auch von offenen Lohnzahlungen und Steuerproblemen. 2013 habe sie deshalb eine Million Franken nachzahlen müssen. Wie viel von Assias einstigem Vermögen noch übrig ist, bleibt ebenfalls offen.

Die Schatten wurden länger, bis das Licht definitiv erlosch. Der Weg vom Rampenlicht in die Einsamkeit muss bitter gewesen sein für eine Frau, die den ägyptischen König Faruk verzückte, mit Josephine Baker tanzte und Elvis Presley in Ekstase ver­setzte.

Von der Welt gefeiert, von der Welt vergessen

Kommentar von People-Redaktor Peter Padrutt

Als ob sie es tief im Inneren gespürt hätte. 62 Jahre vor ihrem stillen Abgang letzte Woche sang die grosse Lys Assia in ihrem Concours-Siegerlied «Refrain» von einem traurigen Gefühl, das uns alle durchs Leben trägt: der Einsamkeit, der «mélancolie de n’être plus enfant».

Wir spüren schon früh im Leben, dass der Mensch das ist, was er für andere bedeutet. Und ohne sie zugrunde geht. Da mag man von der Welt noch so sehr umarmt werden, aber wenn im Privatleben niemand mehr da ist für einen, fühlt man sich von der Welt vergessen. Es ist traurig: Wer das Glück hat, 94 Jahre alt werden zu dürfen, überlebt alle, ist am Ende allein.

Ich habe den Rückzug der Lys Assia in die Stille gespürt. Gegen aussen wirkte sie agil, präsentierte sich bei Anlässen schön frisiert. «Ich bin gerade sehr beschäftigt mit dem Erledigen von Fanpost, lautete ihr Standardspruch am Telefon. Bei meinem letzten Besuch bei ihr bedankte sie sich für die schönen Rosen – mit dem neckischen Hinweis, der letzte Strauss sei noch üppiger gewesen. Trotzdem hatte ich einen Draht zu ihr gefunden, weil ich ihr stundenlang zuhörte, wenn sie über ihre Auftritte mit Gilbert Bécaud, Frank Sinatra oder Sammy Davis Jr. referierte. Auch Marlon Brando habe sie verehrt, erzählte sie. Am nächsten Tag der Anruf: «Es war Elvis Presley. Ändern Sie das bitte.»

In ihre Erzählungen mischte sich immer öfter ein Wehklagen – über böse Nachbarn, Verwandte, die sich zu wenig um sie kümmerten. Sie schimpfte über das Personal, die ganze Welt. Für mich war es weniger ein Zeichen von Hass, eher von Isolation. Die existenzbedrohende Einsamkeit machte auch vor dieser prominenten Frau nicht halt.

In seinem Buch «Einsamkeit, die unerkannte Krankheit» beschreibt der Psychiater Manfred Spitzer, welchen gravierenden Einfluss das Phänomen des Alleinseins auf den Menschen hat. Wer einsam ist, erkrankt häufiger an Krebs, einem Herzinfarkt, Schlaganfall, an Depressionen oder Demenz. Auch junge Menschen sind betroffen: Die soziale Vernetzung, das süchtig machende Posieren auf Instagram und Co. treiben sie in die Leere.

Ich hätte Lys Assia öfter anrufen sollen. Ihr krankes Herz erwärmen sollen, wenn sie von ihrer Affäre mit dem ägyptischen König Faruk er­zählte. Am Ende ist es eingefroren. Vielleicht sollten wir alle ein wenig nach unseren Mitmenschen schauen in diesen Ostertagen. «Je vais pleurant», sang Lys Assia in ihrem Chanson «Refrain». Die Einsamkeit ist keine schöne Melodie.

Kommentar von People-Redaktor Peter Padrutt

Als ob sie es tief im Inneren gespürt hätte. 62 Jahre vor ihrem stillen Abgang letzte Woche sang die grosse Lys Assia in ihrem Concours-Siegerlied «Refrain» von einem traurigen Gefühl, das uns alle durchs Leben trägt: der Einsamkeit, der «mélancolie de n’être plus enfant».

Wir spüren schon früh im Leben, dass der Mensch das ist, was er für andere bedeutet. Und ohne sie zugrunde geht. Da mag man von der Welt noch so sehr umarmt werden, aber wenn im Privatleben niemand mehr da ist für einen, fühlt man sich von der Welt vergessen. Es ist traurig: Wer das Glück hat, 94 Jahre alt werden zu dürfen, überlebt alle, ist am Ende allein.

Ich habe den Rückzug der Lys Assia in die Stille gespürt. Gegen aussen wirkte sie agil, präsentierte sich bei Anlässen schön frisiert. «Ich bin gerade sehr beschäftigt mit dem Erledigen von Fanpost, lautete ihr Standardspruch am Telefon. Bei meinem letzten Besuch bei ihr bedankte sie sich für die schönen Rosen – mit dem neckischen Hinweis, der letzte Strauss sei noch üppiger gewesen. Trotzdem hatte ich einen Draht zu ihr gefunden, weil ich ihr stundenlang zuhörte, wenn sie über ihre Auftritte mit Gilbert Bécaud, Frank Sinatra oder Sammy Davis Jr. referierte. Auch Marlon Brando habe sie verehrt, erzählte sie. Am nächsten Tag der Anruf: «Es war Elvis Presley. Ändern Sie das bitte.»

In ihre Erzählungen mischte sich immer öfter ein Wehklagen – über böse Nachbarn, Verwandte, die sich zu wenig um sie kümmerten. Sie schimpfte über das Personal, die ganze Welt. Für mich war es weniger ein Zeichen von Hass, eher von Isolation. Die existenzbedrohende Einsamkeit machte auch vor dieser prominenten Frau nicht halt.

In seinem Buch «Einsamkeit, die unerkannte Krankheit» beschreibt der Psychiater Manfred Spitzer, welchen gravierenden Einfluss das Phänomen des Alleinseins auf den Menschen hat. Wer einsam ist, erkrankt häufiger an Krebs, einem Herzinfarkt, Schlaganfall, an Depressionen oder Demenz. Auch junge Menschen sind betroffen: Die soziale Vernetzung, das süchtig machende Posieren auf Instagram und Co. treiben sie in die Leere.

Ich hätte Lys Assia öfter anrufen sollen. Ihr krankes Herz erwärmen sollen, wenn sie von ihrer Affäre mit dem ägyptischen König Faruk er­zählte. Am Ende ist es eingefroren. Vielleicht sollten wir alle ein wenig nach unseren Mitmenschen schauen in diesen Ostertagen. «Je vais pleurant», sang Lys Assia in ihrem Chanson «Refrain». Die Einsamkeit ist keine schöne Melodie.

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Fans auf der ganzen Welt hoffen jetzt darauf, dass sie sich wenigstens noch auf würdige Art und Weise von ihr verabschieden können.

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