Hans «Hausi» Leutenegger im grossen Interview
«Bei Übermut strafte mich Gott immer sofort»

Kein anderer schafft das Kunststück, seit fünfzig Jahren in Presse, Radio und TV dauerpräsent zu sein. Das ist sein Kalkül – und geht auf.
Publiziert: 11.08.2024 um 12:11 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2024 um 12:50 Uhr
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Carmen Schirm
Handelszeitung

Er ist gerade auf der Durchreise, macht in seiner Wohnung in Freienbach SZ halt, bevor er weiter nach Genf fährt, wo seine Firma und einer seiner zahlreichen Wohnsitze lokalisiert sind. Freienbach sei überschaubar attraktiv, meint er, «ich kann hier nicht mal etwas trinken gehen, weil es keine Beiz hat», dafür sei es steuergünstig. Hausi Leutenegger empfängt, wie es von ihm erwartet wird: knusprig braun gebrannt («Früher, im Militär, nahm ich Gewehrfett, um immer schön braun zu sein, später dann Melkfett, kennen Sie das?») und überschäumend gut gelaunt. «Es gibt Cüpli, wenn Sie kommen.» Den Einwand, dass elf Uhr etwas früh dafür sei, ignoriert er. So stehen drei sprudelnde Gläser Champagner auf dem Esstisch, die Flasche praktischerweise in Griffweite. Ganz Menschenfreund, kredenzt er noch ein paar belegte Brötchen, damit der Sprudel nicht gänzlich auf nüchternen Magen andockt. 

«Hausi National». Er gehört zum Schweizer Volksgut, ist ein sprechendes Fotoalbum, ein Selfmademillionär zum Anfassen. «Ich bin der Hans, und wie heisst du?», hebt er an und schenkt Schampus nach. «Es ist immer ein Zirkus um mich, jeder kennt mich, will ein Foto mit mir.» An der Olma brauche er einen Bodyguard, weil ihn alle anfassen wollten. Er ist omnipräsent in Presse, Radio und TV – seit einem halben Jahrhundert. Das macht ihm kein anderer nach. Egal, wie man seine Auftritte findet. Er ist ein Unterhaltungskünstler, ein Selbstdarsteller – mit Kalkül. Seiner Bekanntheit verdankt er unzählige Aufträge für seine Firma, wie er später zugeben wird. Und gibt gleich eine höchstpersönliche Vorstellung seiner selbst. Er mache jeden Tag fünfzig Liegestütze, sagt er. Die Journalistin ist skeptisch. Glaubt ihm nicht so recht. So etwas kann ein Olympiasieger nicht auf sich sitzen lassen. Er krempelt die Ärmel zurück, geht auf die Knie, und ab gehts …

Artikel aus der «Handelszeitung»

Dieser Artikel wurde erstmals im kostenpflichtigen Angebot von handelszeitung.ch veröffentlicht. Blick+-Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du unter www.handelszeitung.ch.

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Fünfzig Liegestütze später ist Hausi aus der Puste. War da noch was? Ach ja, ein Interview? Peanuts. 

Im grossen Interview mit der «Handelszeitung» gibt Hausi Leutenegger Einblick in seinen ungewöhnlichen Lebensweg.
Foto: Keystone
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Handelszeitung: Herr Leutenegger, Sie werden nächstes Jahr 85. Was bedeutet diese Zahl für Sie?
Hausi Leutenegger: Ich werde mich völlig aus meinem Unternehmen zurückziehen. Ich bin auch jetzt nur noch Ehrenverwaltungsrat. Ab nächstem Jahr ist ganz Schluss damit, fertig, basta. Alle denken, ich habe ein geiles Leben, Geld wie Heu. Es ist jedoch kein Tag vergangen, an dem ich nicht an die Firma gedacht habe. Es lief immer irgendetwas, worüber ich studieren musste. 

Zum Beispiel?
Man hatte mir Ende der 1980er-Jahre einen Kunden im Irak vermittelt, der fünfzig bis sechzig Arbeiter benötigte. Am Anfang haperte es mit der Bezahlung, später dann überwies er die Rechnungen regelmässig, aber nach München. Ich musste dann manchmal mit 1 Million Franken im Koffer in St. Margrethen den Zoll überqueren. 

Was, wenn man Sie an der Grenze geschnappt hätte?
Alle Zöllner kannten mich. Sie riefen mir immer «Hausi, Hausi» zu und winkten. Ich war allerdings überrascht, als ich erfuhr, wer der Auftraggeber war. 

Was kommt jetzt?
Es war Saddam Hussein. Die Zusammenarbeit ging so lange gut, bis die USA den Irak 1991 angriffen. Aus diesem Grund flog ich dorthin, um meine Leute zurückzuholen. Sie arbeiteten im Untergrund, dreissig Meter tief, um für Saddam Hussein und seine Familie ein ganzes Dorf zu bauen. Von meinen fünfzig Mitarbeitern sind nur zehn mit mir nach Hause geflogen. Sie sagten, es gefalle ihnen dort. Sie hatten auch ein wunderbares Leben mit Champagner und vielen Frauen. Interessanterweise kam das Geld für die zehn Mitarbeiter auch während des Krieges immer pünktlich. 

Wie kamen Sie dazu, sich mit 25 selbstständig zu machen?
Ich habe Bauschlosser gelernt. Danach war ich ein Jahr lang in Holland. Dort hatte ich Bekanntschaft mit Personalvermittlern gemacht. Als ich in die Schweiz zurückkam, kopierte ich dieses Konzept. Es war von der ersten Sekunde an ein Erfolg. 

War es damals einfacher, sich selbstständig zu machen?
Es war zwanzig Jahre nach dem Krieg, es war einfach, und ich hatte eine gute Idee. 

Könnten Sie diesen Erfolg heute wiederholen?
Nein. Ich wurde in eine gute Zeit hineingeboren. Die 70er-, 80er- und 90er-Jahre waren glorreiche Zeiten. Man machte Verträge mit Handschlag, heute unvorstellbar. 

Was war Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe alle meine Jugend- und Sportfreunde zu mir in die Firma geholt; sie sind bis zur Pensionierung bei mir geblieben. Alleine hat man keinen Erfolg. Nur wenn man nette Leute hat, die einen begleiten. So konnte ich nebenbei Filme machen und Bob fahren. Und sie waren stolz auf Hans. 

War es nie problematisch, mit Freunden zusammenzuarbeiten?
Meine Angestellten und ich waren ein Team. Ich habe sie verwöhnt. Wenn jemand Probleme hatte, habe ich zugehört, wenn jemand Geld benötigte, habe ich es ihm gegeben. Für viele Mitarbeitenden war ich wie ein Bruder, wie ein Familienmitglied. Man hat mir oft schwer erziehbare Jungs geschickt, die ich angestellt habe. Ich habe sie dann unter meine Fittiche genommen und auf den geraden Weg gebracht. Am Jahresende durften meine engsten Freunde, die meine Firma führten, vorschlagen, wie viel Bonus sie gerne hätten. Ich habe dann immer gesagt, sie sollen noch 5000 Franken draufgeben. 

Sie waren also der Aussenminister, und den täglichen Verwaltungskram haben Sie anderen überlassen?
Ich selbst war auf den Baustellen und habe Mitarbeiter engagiert. Damals waren Leute im Bau sehr gesucht. Ich habe immer sehr gut bezahlt, deshalb habe ich immer Mitarbeiter gefunden. Früher hat ein gelernter Monteur 5 Franken pro Stunde verdient. Ich habe ihm 6 Franken bezahlt, plus 20 Franken Spesen pro Tag, steuerfrei. Da kam jeder zu mir. Ich hatte viele Ideen. Ich hatte den Serviertöchtern in Basel, Biel oder Solothurn immer gesagt: Wenn ihr jemanden seht, der Arbeit sucht, gebt ihm meine Karte, dann gebe ich dir 100 Franken. Das hat sehr gut geklappt. So war ich an jedem Bahnhofbuffett der Schweiz zu Hause.

Wie viel Umsatz haben Sie im ersten Jahr gemacht?
Wir haben im ersten Jahr 15 bis 20 Millionen Franken Umsatz gemacht. 

Und später?
Ein paar Jahre später waren es 40 bis 50 Millionen. Der grösste Umsatz, den wir je gemacht hatten, waren 100 Millionen. Das haben wir danach nie mehr erreicht. 

Wird man übermütig, wenn man so schnell reich wird?
Wenn man in jungen Jahren sehr reich wird, meint man schon manchmal, man sei der König. Aber Gott strafte mich immer sofort. 

Wie hat Gott das gemacht?
Ein achtfacher Kieferbruch, eine schwere Lungenentzündung, Meniskus, diverse Bänderrisse … 

Haben sich auch Menschen an Sie gehängt wegen Ihres Vermögens?
Ich war immer schlauer, als die Leute dachten. Ich habe die beste Menschenkenntnis, die man haben kann. Ich schaue die Leute an und weiss, mit wem ich es zu tun habe. Das ist meine Stärke. 

Hatten Sie diese Gabe schon immer oder ist sie antrainiert?
Ich habe mir das selbst beigebracht. Wenn ich zehn Menschen kennenlerne, mögen mich acht. Die anderen zwei sind neidisch. 

Was haben Sie mit dem neu erworbenen Vermögen gemacht?
Wenn genügend Liquidität in der Firma war, habe ich Wohnhäuser gekauft. 

Liquidität war speziell wichtig für Sie?
Je mehr Leute ich hatte, desto mehr Geld benötigte ich, um sie zu bezahlen. Es gab früher keine Bankkredite. Deshalb habe ich immer darauf geachtet, mindestens 500’000 Franken in bar zu haben. 

Haben Sie Ihre Immobilien auch bar bezahlt?
Ich habe immer bar bezahlt, ich wollte nie Kredite. Ich bin ein altmodischer Mensch. Ausserdem waren Häuser damals billig. 

Über wie viele Immobilien sprechen wir?
Ich habe viele Häuser, wie viele genau weiss ich nicht. Es werden etwa hundert Wohnungen sein in elf oder zwölf Kantonen – plus Bürogebäude. 

Weshalb Immobilien und nicht Aktien oder Kunst?
Ich wusste immer, Mauern bleiben. Börse ist nur Papier.

Kaufen Sie zum jetzigen Zeitpunkt auch noch Immobilien?
Momentan ist es ein bisschen zu teuer. 

Hat es Ihnen beruflich geholfen, dass Sie Olympiasieger waren und bis heute omnipräsent sind in der Presse?
Ich bekam viele Aufträge, da mich die Leute kannten, gerade auch in Deutschland. Ich wurde ans Oktoberfest eingeladen, wo man mich vor allen Anwesenden als den Olympiastar aus der Schweiz vorstellte. 

Gab es nur glorreiche Zeiten oder auch Krisen?
Wir hatten 1975 eine grosse Krise. Ich hatte sehr viele Verträge im Ausland. In Tunesien haben wir mit dreissig bis vierzig Mitarbeitern ein ganzes Dorf gebaut. Ich musste mit einem Juristen nach Tunesien fliegen, da neunzehn meiner Arbeiter am Feiertag Alkohol getrunken hatten und eingesperrt wurden. Ich musste 20’000 Franken bezahlen, um sie rauszuholen.

Denken Sie heute mit 84 Jahren anders als früher?
Ja. Man denkt anders. Und man befasst sich auch mit dem Tod. Die Freunde sterben. Vier meiner Brüder, alles tolle Typen, sind schon gestorben. Von den acht Kindern, die wir waren, leben nur noch zwei Schwestern und ich. Da denkt man anders. Ich habe noch immer ein turbulentes Leben, aber ruhiger als früher. 

Was passiert, wenn Sie mal sterben?
Ich bin katholisch erzogen worden und habe auch heute noch meinen Glauben. Ich gehe jeden Sonntag in die Kirche. Im Diesseits muss man sich verantworten. 

Für was werden Sie sich verantworten müssen?
Die grösste Sünde ist, wenn man geizig ist. Und das war ich nie. Wenn man viel gibt, kommt auch viel zurück. 

Sind Sie sicher, dass Sie in den Himmel kommen und nicht ein Stockwerk tiefer?
Ehrlich gesagt, ich weiss es nicht. Aber ich war immer nett zu den Menschen. Und sündigen tut ja jeder. 

Wird es irgendwann Hausi II. geben – dank einer fulminanten Wiedergeburt?
Nein. Man lebt nur einmal. Es gibt keine Wiedergeburt. 

Der Tod scheint bei Ihnen weit weg zu sein. Wie kommt es, dass Sie so gut in Form sind?
Wenn man das ganze Leben Sport getrieben hat wie ich, hat man ein anderes Level. Natürlich habe auch ich gesündigt. Aber bei mir gibt es keinen Tag ohne Sport.

Wenn Sie heute auf Ihr Leben zurückblicken, würden Sie etwas anders machen?  

Wenn man aus einfachen Verhältnissen kommt wie ich – aus einer Arbeiterfamilie mit sieben Geschwistern – und so viel Erfolg hat, muss man das Meiste richtig gemacht haben. Aber gut, es gibt schon ein paar Dinge … Ich habe viel Zeit für den Spitzensport geopfert und viel dafür bezahlt. Ich hatte mehrere Knieoperationen, Meniskus- und Bänderrisse. Zudem eine doppelte Lungenentzündung. Und wenn ich noch mal jung wäre, würde ich mir mehr Mühe mit Sprachen geben. Ich kann zwar mehrere Sprachen, aber leider keine perfekt. 

Woran erinnern Sie sich am liebsten?
Ich habe mehrere Weltreisen gemacht, mit und ohne meine Familie. Ich habe tausend Geschichten erlebt und viele tolle Leute kennengelernt, Klaus Kinski, Bruno Ganz, Ursula Andress, Claudia Schiffer, Franz Klammer, Hansi Hinterseer … Ich kenne sie alle. 

Freundinnen?
Ich kam nie zu kurz. Aber darüber schweige ich lieber. Wir sind ja sehr verklemmt aufgewachsen. Ich bin so erzogen worden, dass Sex vor der Ehe verboten ist. Das habe ich schon nachgeholt. Meine erste Frau ist mit 64 Jahren an einem Hirntumor gestorben. Danach war ich lange ledig und musste mir wieder eine Frau aussuchen. Meine jetzige Frau kenne ich seit 20 Jahren. 

Wie kamen Sie zum Film?
Zufällig. Das ging so: Eine grosse Zeitung titelte «Hausi gehört zum Film». Diese Schlagzeile las ein Schweizer Regisseur, der mich an einen Regisseur Anthony Benson vermittelte, der auf den Philippinen drehte. Eigentlich hätte ich nur eine kleine Rolle gehabt. Als ich im Filmcamp ankam, schaute mich der Regisseur an und lachte und lachte. Er holte zwei Kameraleute, die auch alle lachten. Der gleicht Burt Reynolds, sagten sie, der muss eine grössere Rolle neben Klaus Kinski kriegen. Als ich den Namen Kinski hörte, ist mir fast schlecht geworden. Ich wäre gerne geflüchtet, hätte ich gekonnt.

Wie war die Zusammenarbeit mit Klaus Kinski?
Er war schwierig, aber er mochte mich – nur mich. «Du bist der einzige Normale da, in diesem Sauhaufen von Sch…», sagte Kinski immer. Ich musste mich immer zu ihm zum Essen setzen, da er niemand anderen neben sich duldete. Ich sagte ihm: «Klaus, der Chef bin ich – ich bin Olympiasieger.» 

Was waren die schwierigen Dinge in Ihrem Leben?
Es gab mehrere Male Todesfälle bei meinen Mitarbeitern. Solche Erlebnisse haben mich sehr getroffen. Ich erinnere mich an drei Arbeiter, die auf 30 Meter Höhe Leitungen montierten. Sie waren nicht gesichert und sind in den Tod gestürzt. Die Schreie der Hinterbliebenen, als ich sie über die Todesfälle informierte, hallten noch ein halbes Jahr später in mir nach. 

Lief es auch privat mal nicht so rund?
Ich habe eine Tochter und einen Sohn, der in meiner Firma arbeitet. Enkelkinder habe ich leider keine. Unter anderem, weil meine Tochter mit 17 Jahren einen schweren Reitunfall hatte.

Wollen Sie darüber reden?
Ich war es, der meine Tochter zum Reiten animiert hatte. Sie war auch sehr gut, hat als Juniorinnen-Reiterin alles gewonnen. Dann habe ich ein neues Reitpferd für sie dressieren lassen, Flipper. Am 6. Juni 1981 passierte der Unfall. 

Das Datum hat sich Ihnen wohl eingebrannt …
So etwas bleibt in Erinnerung. Meine Tochter ritt mit dem neuen Pferd aus, eine Wespe stach das Tier, das ausbrach und auf die Strasse fiel. Da sie keinen Helm trug, wurde ihre Schädeldecke beim Aufprall eingedrückt. Wie bei Michael Schumacher, nur schlimmer. Nach einer Operation von elf Stunden wussten wir nicht, ob sie überleben würde. Jetzt kann nur der Herrgott helfen, sagten die Ärzte. Nach vier Wochen erwachte sie aus dem Koma. Daraufhin kam sie ohne Schädeldecke nach Hause, diese war im Kühlschrank, da das Gehirn abschwellen musste. Drei Monate später wurde die Schädeldecke wieder montiert. Sie ist heute eine tolle Frau, wurde aber nie mehr die Corinne, die sie früher war. Sie hat sehr viel Kopfweh. 

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