Dumme Klischees, plumpe Anmache und kein Besuchsrecht
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Anna Rosenwasser:Queere Menschen werden immer noch diskriminiert

LGBTQ-Persönlichkeiten über Diskriminierung
Dumme Klischees, plumpe Anmache und kein Besuchsrecht

Noch immer erleben Menschen aufgrund ihrer Sexualität oder Geschlechtsidentität Ausgrenzung und Diskriminierung im Alltag, wie die Beispiele 27 prominenter Vertreter aus der Schweizer LGBTQ-Szene zeigen.
Publiziert: 20.02.2021 um 01:39 Uhr
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Aktualisiert: 21.02.2021 um 20:04 Uhr
Patricia Broder und Michel Imhof

Beschimpfungen, Vorurteile und blöde Sprüche am Arbeitsplatz: Auch im Jahr 2021 werden Schwule, Lesben und weitere Mitglieder der LGBTQ-Community aufgrund ihrer Sexualität oder Identität diskriminiert und müssen um ihre Rechte kämpfen. Dies zeigt auch eine aktuelle Aktion von 185 lesbischen, schwulen, bisexuellen, queeren, nicht-binären und trans* Schauspielerinnen und Schauspielern, die im Magazin der «Süddeutschen Zeitung» mehr Anerkennung, Sichtbarkeit und Gleichstellung in Theater, Film und Fernsehen fordern. Auch bei uns leiden viele Mitglieder der LGBTQ-Gemeinde nach wie vor unter Vorurteilen und Benachteiligungen, wie eine Umfrage von BLICK zeigt. 25 prominente Stimmen, erklären, was sie sich für die Zukunft wünschen.

Tamy Glauser (36), Model

«Als lesbisches Model wurde ich bei Castings oft von Männern fetischisiert, die es besonders reizvoll fanden, die Lesbe verführen zu wollen. Was ich stets als sehr respektlos empfand. In den letzten Jahren hat sich viel geändert: Wir zeigen uns endlich! Sollen Kulturschaffende, Regisseurinnen und Castingdirektoren doch bitte dasselbe tun! Und damit meine ich nicht den einen Alibi-Schwulen, sondern gerne wie im richtigen Leben.»

Tamy Glauser wird als lesbisches Model bei Castings oft von Männern fetischisiert: «Die finden es besonders reizvoll, die Lesbe verführen zu wollen. Was ich stets als sehr respektlos empfand.»
Foto: Thomas Meier
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DJ Madame Léa (41)

«Als weibliche DJ erlebe ich immer wieder Diskriminierung. Das dümmste, was mir je widerfahren ist: An einer Party kommt ein Mann zu mir ans DJ-Pult und fragt: ‹Sind das nicht etwas viele Knöpfe für eine Frau?› Ich hab ihn dann gefragt: ‹Nicht dein Ernst, oder?› Wohl hat er mich im Laufe des Abends gegoogelt oder so. Auf alle Fälle kam er später nochmals zu mir und meinte: «Ah, jetzt ists klar, als Lesbe kannst du's ja sicher gut mit Technik.» Ich war so schockiert, dass mir die Sprache wegblieb. Dachte er ernsthaft, das sei so, weil ich keinen Mann habe, der das für mich erledigt mit dieser Technik?! Ich wünsche mir, dass wir endlich nicht mehr nach Geschlecht und Sexualität beurteilt werden und dass Menschen es schaffen, sich von ewiggestrigen Klischees loszulösen.»

Patrick Rohr (52), Fotojournalist und Moderator

«Mein Mann arbeitet seit etwas mehr als zwei Jahren in Tokio. Seit einem Jahr kann ich nicht mehr zu ihm gehen, weil Japan wegen der Pandemie die Grenzen für Ausländer zugemacht hat. Als Familienmitglied dürfte ich nach Tokio gehen, aber die eingetragene Partnerschaft wird nicht als Ehe anerkannt. Darum hoffe ich sehr, dass das sinnlose Referendum gegen die Ehe für alle nicht durchkommt und wir möglichst bald gleichberechtigt heiraten dürfen.»

Anna Rosenwasser (30), Co-Geschäftsführerin der Lesbenorganisation Schweiz (LOS)

«Wenn ich mit meiner Partnerin in Zürich spaziere, sind uns schon Dinge wie ‹Wow, Lesben! Wie habt ihr eigentlich Sex?› oder ‹Euch geb ich's so richtig, das mögt ihr doch, ihr Lesben!› hinterhergerufen worden. Einmal hat mich jemand angerufen und mich ‹Dreckslesbe› genannt. Und während ich im Ausgang problemlos mit einem Typen rummachen kann, ohne dass es wen interessiert, hab ich beim Rummachen mit einer Frau schnell mal eine Handvoll Lüstlinge um uns herum. Damit frauenliebende Frauen endlich nicht mehr fetischisiert werden, braucht es queere Aufklärung an Schulen. In jedem Kanton, und zwar schon früh – wer Lesbenpornos guckt, soll sich auch darüber informieren, wie man Lesben respektiert.»

Sven Epiney (49), SRF-Moderator

«Zum Glück habe ich bisher kaum negative Erfahrungen gemacht. Aber das folgende Erlebnis zeigt, dass man aufgrund seiner Sexualität immer noch diskriminiert werden kann: Vor einigen Jahren wollte ich eine kleine Wohnung kaufen. Beim Bieterverfahren habe ich am meisten geboten. Der Verkäufer hat sie mir aber trotzdem nicht verkauft: Begründung: Ich verkaufe nicht an einen Schwulen. Toleranz und Akzeptanz sind die wichtigsten Schlüssel für ein gutes und friedliches Miteinander! Ich freue mich, wenn es selbstverständlich ist, dass alle die gleichen Rechte und Pflichten haben. Unabhängig von der Genderidentität, Sexualität oder vom Geschlecht.»

Michael Graber (27), Social-Media-Manager

«In der Schulzeit wurde ich einmal bespuckt. Da habe ich mir geschworen, stolz auf mich und meine Sexualität zu sein und von diesem Tag an als selbstbewusster schwuler Mann durchs Leben zu gehen. Sexualität und Genderidentität müssen auch vor dem Gesetz gegen Diskriminierung geschützt sein. Und ich fordere die Ehe für alle. Es gibt doch nichts Schöneres, als wenn zwei mündige Menschen, egal mit welchem Geschlecht, sich lieben und dies durch eine Ehe besiegeln möchten! Ich würde mich freuen, als erstes schwules Paar offiziell heiraten zu dürfen!»

Tamara Funiciello (30), SP-Nationalrätin und Vorstand Lesbenorganisation LOS

«Ich erlebe oft, dass Leute ausserhalb der queeren Community Coming-outs für überflüssig halten. Dabei ist unsere Gemeinschaft noch immer unterrepräsentiert, auch in der Bundesversammlung. Auf Instagram werden überdurchschnittlich viele queere Inhalte gelöscht, weil Menschen sie als ‹anstössig› melden. Das darf nicht sein, wir dürfen uns nicht unsichtbar machen lassen.»

Jan Hutter (36), Schauspieler

«Meiner Ansicht nach ist das Problem weniger ein zwischenmenschliches, als vielmehr ein strukturelles. Im Vier-Augen-Gespräch sind die Menschen häufig aufrichtig offen und an Gleichberechtigung und der Repräsentation von Minderheiten interessiert. Wenn es aber beispielsweise darum geht, eine Geschichte über Transidentität auf die Leinwand zu bringen oder einen schwulen Fernsehkommissar zu besetzen, fehlt der Branche nach wie vor oft der Mut, was sehr schade ist. Mir haben als junger Mensch diese Geschichten und Identifikationsfiguren gefehlt.»

Milky Diamond (27), Dragqueen

«Als professionelle Dragqueen machte ich oft die Erfahrung, dass queere Kunst als Party abgestempelt und nicht als Kulturgut wahrgenommen wird. Ich wünsche mir, dass wir genauso ernst genommen werden wie andere Künstler und nicht immer unsere eigenen Räume für unsere Kunst schaffen müssen. Unsere Geschichten sind es wert, gehört zu werden.»

Reto Hanselmann (39), Eventmanager

«Ich fordere für die Zukunft, dass solche genderspezifischen Diskriminierungen aufhören. Es ist ein Armutszeugnis für eine Gesellschaft im Jahr 2021.»

Rolf Sommer (44), Musical-Darsteller

«Unsere Gesellschaft ist im Schweizer Film und Theater noch viel zu wenig abgebildet. Eine dunkelhäutige Person spielt oft einen Rapper oder Dieb, Schwule werden, wenn sie überhaupt vorkommen, sehr überspitzt dargestellt. Ich wünsche mir, dass es auch mal einen schwulen ‹Tatort›-Kommissar gibt, ohne dass seine Sexualität zum grossen Thema wird.»

Alf Heller (45), Stylist

«Ich habe im Alltag schon oft Diskriminierung und Beschimpfungen erlebt. Weshalb ich nachts sogar Respekt davor habe, allein heimzugehen. Auch vor dem Gesetz sehe ich mich sehr benachteiligt. Ich zahle meine Steuern und unterstütze Staat, trotzdem kann ich mit meinem Mann keine Ehe schliessen. Ich fordere mehr Schutz und die gleichen Rechte für Menschen der LGBTQ-Community, wie sie jeder andere auch hat, der sich an die Spielregeln hält.»

Gossipa (35), Dragqueen

«Zu Beginn meiner Laufbahn wurde ich immer wieder zu Gala-Events und Premieren eingeladen. Einige Male bat man mich aber im gleichen Atemzug, mein ‹Kostüm› zu Hause zu lassen und ungeschminkt zu erscheinen. Ich verzichtete somit auf eine Teilnahme. Ich fordere mehr Toleranz und Diversität für unser Land.»

Christoph Stuehn (47), Mitglied der Geschäftsleitung Kunsthaus Zürich

«Diversity und Inklusion müssen in der Kultur, als Spiegel unserer Gesellschaft, eine noch wichtigere Rolle einnehmen. So erhalten z.B. Dirigentinnen oder queere Künstler zwar zunehmend ‹eine Bühne›, aber nach wie vor sind alle Entscheidungsebenen gefordert. Die sexuelle Ausrichtung und Geschlechtsidentität darf bei der Besetzung von Positionen in der Kulturbranche und beim Kulturschaffen generell keine Rolle mehr spielen!»

Jason Brügger (27), Zirkus-Artist und Gewinner «Die grössten Schweizer Talente»

«Homophobie habe ich im Job mehr nach den Vorstellungen erlebt. Beim anschliessenden Abendessen gab es eine Glacé-Platte, von der wir alle mit einem Löffel essen konnten. Ein Kollege wollte das allerdings nicht, weil er dachte, er könne sich dadurch wegen mir mit Homosexualität anstecken. Das hat mich schockiert.»

Florian Vock (30), Veranstalter Lila Queer Festival und Aktivist

«Unsere wichtigste Forderung in der Kultur: Es geht nicht nur darum, auf der Bühne mehr Queerness zu haben, sondern dort, wo Kultur finanziert wird. Auch Kulturkommissionen und Stiftungsräte müssen bunt und divers sein. Sonst bleiben die Mittel für queere Kultur stets begrenzt.»

Alexander Wenger (34), Journalist und Sprecher Zurich Pride

«Ich habe mal für ein Projekt einen schwulen Mann interviewt. Es hiess danach aus der Redaktion, es sei komisch, wenn ein Schwuler einen Schwulen interviewt. Ich bin mir sicher, bei zwei Heterosexuellen hätte das zu keiner Diskussion geführt. Grundsätzlich fühle ich mich wohl im Journalismus und in der Kultur. Ich hoffe, es bleibt bei diesem Einzelfall.»

Tim Hunziker (28), Musicaldarsteller

«Fiktive queere Charaktere in Film und Theater werden oft als Witzfigur, (körperlich) krank oder übersexualisiert dargestellt. Dieses Klischee soll endlich verschwinden. Stattdessen muss eine echte Queerness mit authentischen Geschichten ihren Weg in unsere Erzählungen finden.»

Dan Daniell (59), Zermatter Gastronom und Sänger

«Bis heute höre ich manchmal beim Betreten eines Lokals Getuschel wie ‹Schau, da kommt der vom anderen Ufer› oder ‹Die Schwuchtel ist da›. Ich wünsche mir, dass man die Menschen so nimmt, wie sie sind, ohne sie gleich zu schubladisieren und über sie zu urteilen.»

Roman Heggli (30), Geschäftsführer Schwulenorganisation Pink Cross

«Ich merke jeweils, weshalb mich viele Theaterstücke, Filme und Ausstellungen kalt lassen: Mein Leben und das meiner Freunde und Freundinnen wird kaum abgebildet. Queere Kunst hingegen geht mir direkt ins Herz, doch leider gibt es sie noch viel zu wenig.»

Janna Kraus (29), Medienverantwortliche Transgender Network Schweiz TGNS

«Trans-Menschen sind überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Das ist im Kulturbereich leider nicht anders. Im Bereich Schauspiel ist es beispielsweise so, dass es wenig Trans-Rollen gibt, Trans-Menschen häufig nicht für Cis-Rollen in Erwägung gezogen werden und die wenigen Trans-Rollen häufig von Cis-Personen eines anderen Geschlechts dargestellt werden. Wichtig ist ein gesamtgesellschaftlicher Wandel mit Aufklärung über Geschlechtsidentität.»

Lucas Fischer (30), Ex-Kunstturner und Schauspieler

«Ich wünsche mir, dass dieses veraltete Denken, alle Vorurteile und jegliche Verurteilungen aufhören. Das gehört einfach nicht in unsere Gesellschaft. Jeder hat seine Stärken und jeder seine Schwächen. Aber die liegen bestimmt nicht in der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität, denn da ist jeder Mensch, so wie er fühlt.»

Olivier Borer (39), SRF-Moderator

«Homophobie und Diskriminierung aufgrund von Sexualität passieren allzu oft unterschwellig. Erst kürzlich sagte einer bei einer Auseinandersetzung zum Thema Feminismus zu mir: Ist ja klar, dass du die Frauen verstehst. Um mir das Gefühl zu geben, ich sei nur ein halber Mann. Das ist verletzend – und homophob. Schwulsein wird zudem oft sofort sexualisiert, skandalisiert. Wir müssen Klischees abbauen, wir brauchen Vorbilder, die öffentlich hinstehen, sich zeigen, zu sich stehen. Wir müssen aufhören damit, alles, was nicht der Vorstellung der Mehrheitsgesellschaft entspricht, zu tabuisieren. Wir sind so vielseitig, so divers. Und genau das macht uns als Gemeinschaft aus.»

Bruno Cathomas (55), Schauspieler

«‹Du bist schwul? Na, und?› Das ist heute oft auch ein Satz, der gesagt wird, um das LGBTQ-Thema nicht wirklich an sich heran zu lassen. Das Egal ist eben noch nicht wirklich egal. Inzwischen sind wir LGBTQ-Menschen sichtbar. Der nächste Schritt ist, das Erzählen mit uns zu gestalten. Die Gesellschaft ist viel bunter als die Drehbücher, die wir zu lesen bekommen. Gehen wir den nächsten Schritt und erzählen alles, für alle und mit allen.»

Jazzmin Dian Moore (40), Entertainerin, Moderatorin und Sprecherin Democrats Abroad Switzerland

«Erst kürzlich wurde ich von einem Medienhaus für Interviews angefragt. Nachdem sie realisiert haben, dass ich keine Cis-Frau bin, wurde meine Kompetenz sehr in Frage gestellt und sogar verglichen mit den Tätigkeiten eines Clowns. Dies führte zu einer fruchtvollen Diskussion, welche am Ende für alle positiv endete und sogar die Türen für andere Trans-Menschen geöffnet hat.»

Steve Devonas (31), Schauspieler

«Ich selber bin ja beim Projekt des ‹SZ-Magazins› dabei gewesen, denn wir alle haben einen Platz auf dieser Welt verdient. Egal, aus welchem Land wir kommen oder welche Sexualität wir haben. Es gibt noch so viele Geschichten zu erzählen, die uns bewegen und berühren. Und jeder sollte die genau gleiche Möglichkeit haben, diese erzählen zu dürfen. Und das ist das, was ich mir für die Zukunft wünsche. Dass wir endlich aufhören zu verurteilen und Angst zu haben.»

Michael von der Heide (49), Chansonnier

«Vielleicht hatte ich Glück, aber ich habe noch nie wegen meiner Homosexuailtät wissentlich ein Engagement nicht bekommen. Homophobie erlebe ich weniger auf, sondern neben der Bühne. Da kenne ich dafür das ganze Programm: Augenrollen, Beleidigungen, Drohungen und Schubladisierungen.»

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