Philosoph Alain de Botton (48) über Freundschaft, Sex und offene Beziehungen
«In der Liebe sind wir wie verwöhnte Kinder»

Er macht Philosophie lebensnah: Alain de Botton (48) gibt Tipps für Liebe, Freundschaft, Arbeit und Alltag – erstmals auch in Zürich bei einem Seminar mit seiner School of Life.
Publiziert: 13.10.2018 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 13.10.2018 um 03:59 Uhr
Interview: Katja Richard

Wann und wie verliebt man sich? Schlägt einfach der Blitz ein oder ist die Liebe langsam gewachsen? Laut dem Philosophen Alain de Botton (49) ist das Verlieben nicht die Schwierigkeit, sondern wie die Liebe den Alltag besteht. Die Bücher des Schweizers sind in vielen Sprachen Bestseller, seine Videoclips zu philosophischen Alltagsfragen werden Millionen Male angeklickt. Lebensnah und verständlich erklärt er darin all das, was wir in der Schule nicht gelernt haben. Also wie man seine Emotionen ausdrückt oder warum Romantik der grösste Feind der Liebe ist. Alain de Botton ist weltweit ein gefragter Redner. Für das Interview hatte er genau 15 Minuten Zeit – dafür sprudeln seine Sätze in druckreifem Tempo.

BLICK: Was macht die Liebe so schwierig, Herr de Botton?
Alain de Botton: Wir leben in einer romantischen Kultur, aber die Realität ist unromantisch. Wenn man bei einem Date über Geld reden würde oder darüber, wie man die Küchenschränke einräumt, würde das als unromantisch wahrgenommen. Aber eigentlich ist es das nicht, denn es ist ein Teil des späteren Zusammenlebens. Nicht denken, sondern bloss fühlen, das mag anfangs okay sein. Aber auf Dauer sind Denken und Planen wichtig, das tut man in anderen Lebensbereichen ja auch.

Wachsen die Scheidungsraten deshalb so stark?
Nie zuvor in der Geschichte waren die Erwartungen an die Liebe so hoch. Der Partner muss in allem perfekt sein, in der Erotik, als Elternteil, im Beruf, die Anforderungen sind enorm. Dabei vergessen wir, dass man Liebe lernen muss. Liebe ist etwas Aktives. Wir müssen uns verständlich machen, vergeben und verstehen. Darauf werden wir nicht vorbereitet. Wir denken, das Schwierige sei, den perfekten Partner zu finden. Aber den gibt es nicht. Wir müssen lernen, das Nichtperfekte zu lieben. In der Liebe sind wir wie verwöhnte Kinder und werfen alles zu schnell weg.

Woran scheitern wir bei der Sexualität?
Es ist die gleiche giftige Kombination von zu grossen Erwartungen und dem Unvermögen, über sein Innerstes zu kommunizieren. Für die meisten ist es schwierig, über Sex zu reden, die meisten Paare meiden das Thema, weil es oft mit Scham verbunden ist. Manche leben über Jahre in Gefühlskälte und unterdrückter Wut nebeneinander her, das ist traurig. Es ist richtig, sich ein schönes Sexualleben zu wünschen, aber man muss daran arbeiten.

Was halten Sie vom Modell «offene Beziehung»?
Ich halte es für wichtiger, in einer Beziehung offen miteinander zu sein, als eine offene Beziehung ausserhalb zu führen. Also wirklich mit dem anderen zu teilen, wer man ist, was man sich wünscht, auch auf der erotischen Ebene. Je weniger man sich verstecken muss, je ehrlicher man ist, desto grösser die Nähe zueinander. Die Natur des Menschen ist nicht monogam, zugleich sind wir eifersüchtige Wesen.

Ist Untreue immer ein Grund für eine Trennung?
Ich halte es für keine gute Idee, sofort die Koffer zu packen. Viel wichtiger ist es herauszufinden, was der Grund für die Untreue ist. Oft entsteht eine Affäre aus Enttäuschung oder Unsicherheiten. Erst wenn man der Sache auf den Grund geht, sollte man entscheiden, ob die Beziehung nochmals eine Chance verdient.

Sie haben die School of Life gegründet. Was hat Sie dazu motiviert und was lernt man da?
All das, was die normale Schule auslässt, aber dennoch wichtig ist fürs Leben. Damit meine ich unsere Emotionen und alle Beziehungen im Alltag, sei das bei der Arbeit, mit Freunden, dem Partner oder auch mit sich allein. Ich bin mir selber mein erster Patient. Aus eigener Erfahrung weiss ich, wie komplex emotionale Angelegenheiten sind. Ganz egal, wie gebildet man ist: Auf dieser Ebene gibt es so viel Irritierendes. Darum wollte ich eine Art Zuhause schaffen für all die Dinge, mit denen wir alleine sind und uns komisch fühlen. Früher gingen die Leute in die Kirche.

Also eine Art Ersatzreligion?
Nein, eine Religion ist das nicht, sondern ein Mix aus Psychologie, Literatur und Philosophie. Wir bieten aber nicht die typisch amerikanische Selbsthilfe, wo es für alles eine Lösung gibt. Wir sind da pessimistischer, es geht darum, das Problem zu verstehen. Das kann tröstlicher und hilfreicher sein.

Was macht man konkret in Ihrer Schule?
Wir fragen zum Beispiel, was man bereut oder was einen traurig macht. Das schreibt jeder Teilnehmer auf einen Zettel und legt ihn in eine grosse Schüssel. Dann zieht jeder einen Zettel und liest laut vor, was jemand anderes geschrieben hat. Es ist eine tröstliche Erfahrung zu merken, dass es den meisten ganz ähnlich geht. Wir schaffen einen sicheren Ort, wo man auch mal zugeben darf, dass es einem nicht gut geht. Das ist unterstützend.

Ist es auch ein Ort, um jemanden kennenzulernen?
Das ist nicht das Ziel, kann aber passieren. In der Regel kommen etwa 300 Leute aller Altersklassen, und es hat nicht wie erwartet viel mehr Frauen. Interessant ist, dass wir das Kennenlernen meist mit Romantik verbinden. Aber einen guten Freund kennenzulernen, kann genau so schwierig sein, wie einen Geliebten zu finden. Und zu einem Freund sind wir in der Regel viel netter.

Warum ist das so?
Weil wir von Freunden weniger erwarten. Wenn ein Freund beschäftigt oder schlecht gelaunt ist, reagieren wir entspannter darauf. Er muss nicht alles für uns sein. Wir haben diese Fantasie, dass unser Partner das perfekte Gegenstück zu uns ist und uns ohne Worte verstehen kann. Anfangs mag das stimmen. Das ist schön, aber auch gefährlich, weil man hofft, dass der andere von selber rausfindet, wie es einem geht. Die meisten von uns haben nicht gelernt, über Gefühle zu reden.

Alain de Botton hilft mit Philosophie durch den Alltag der Liebe.
Foto: Vincent Starr
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Die Autorin wird am 6. und 7. April 2019 die Quelle in Zürich mit einem weiteren Seminar beehren. Mehr Informationen finden Sie auf stefaniestahl.de! Ausserdem wird Stahl hierzulande durch Psychologin Katja Herz Bühler unterstützt.

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