SRF-Moderator Reto Scherrer im grossen Interview
«Der Jasstisch von Kurt Felix steht bei mir»

SRF-1-Moderator Reto Scherrer (43) 
über missglückte Verkehrsnachrichten, 
die besinnliche Wirkung von Alkohol und eine 
Fast-Heirat mit einer 100-Jährigen.
Publiziert: 20.07.2019 um 13:39 Uhr
Seit 2017 führt Reto Scherrer durch die SRF1-TV-Sendung «Samschtig-Jass».
Foto: Oscar Alessio
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Daniel Arnet

Reto Scherrer, sind Sie leichtsinnig oder ­leiden Sie gerne?
In meinem Leben war ich ­häufig leichtsinnig. Aber je älter ich werde, umso mehr nehme ich das Leiden auf mich.

Was heisst das konkret?
Früher war ich einer, der keine Grenze kannte und nicht ein- sehen konnte, dass etwas gefähr- lich war. Heute ist das völlig ­anders: Ich bin ein Angsthase und habe ­Höhenangst.

Ich fragte nach Leichtsinn und Leidensfähigkeit, weil Sie mit dem schweizweit unbeliebtesten Dialekt beim Schweizer Radio und Fernsehen moderieren.
Wieso unbeliebtester Dialekt?

Fidel durch Funk und Fernsehen

1975 kommt Reto Scherrer als zweiter Sohn eines Wirtepaars in Weinfelden TG zur Welt. Nach der KV-Lehre im örtlichen Hotel Thurgauerhof ­beginnt Scherrer 1996 – zusammen mit Mona Vetsch – als ­Redaktor bei ­Radio Thurgau. Später wechselt er als Morgen­moderator zu Radio Top in Winterthur ZH. 2005 übernimmt er zusammen mit Roman Kilchsperger die TV-Sendung «Donnschtig-Jass» auf SRF 1. Seit 2007 ist ­Scherrer zudem eine der markanten Stimmen auf Radio SRF 1. 2017 übernimmt er die ­Moderation des «Samschtig-Jass». Reto Scherrer lebt mit seiner Frau und drei gemein­samen Kindern in Weinfelden.

1975 kommt Reto Scherrer als zweiter Sohn eines Wirtepaars in Weinfelden TG zur Welt. Nach der KV-Lehre im örtlichen Hotel Thurgauerhof ­beginnt Scherrer 1996 – zusammen mit Mona Vetsch – als ­Redaktor bei ­Radio Thurgau. Später wechselt er als Morgen­moderator zu Radio Top in Winterthur ZH. 2005 übernimmt er zusammen mit Roman Kilchsperger die TV-Sendung «Donnschtig-Jass» auf SRF 1. Seit 2007 ist ­Scherrer zudem eine der markanten Stimmen auf Radio SRF 1. 2017 übernimmt er die ­Moderation des «Samschtig-Jass». Reto Scherrer lebt mit seiner Frau und drei gemein­samen Kindern in Weinfelden.

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In Umfragen landet die Thur­gauer Mundart regelmässig auf den hintersten Rängen.
Tatsächlich? Das glaube ich nicht. Wahrscheinlich sind diese Umfragen nicht richtig gemacht worden. Online-Umfragen per Klick kann ich eh nicht ernst nehmen. Wenn man alle Schweizer fragen würde, denke ich, wäre der Thurgauer ­Dialekt im vorderen Feld.

Das ist nicht Ihr Ernst!
Doch, ich glaube, der Thurgauer Dialekt gehört zu den beliebtesten in der Schweiz, und zusammen mit dem St. Galler auch zu den ­erfolgreichsten – viele nationale Radio- und Fernsehstars sind aus der Ostschweiz.

Zum Beispiel?
Legenden wie Kurt Felix oder Beni Thurnheer, dessen Bürgerort hier in Weinfelden ist. Matthias Hüppi aus St. Gallen und aktuell Mona Vetsch oder Nicolas Senn. Meines Erachtens bringt einen dieser ­Dialekt sehr weit.

Auch für Ihre Karriere war er zumindest kein Hindernis. ­Bekommen Sie denn tatsächlich Lob für Ihre Mundart?
Ja, ältere Menschen, die nicht mehr so gut hören, schreiben mir immer wieder, dass sie Verkehrsnachrichten bei mir sehr gut verstehen. ­Moderatoren mit einem anderen ­Dialekt seien nicht immer so klar in der Aussprache. Das hat viel mit dem R zu tun, das bei uns speziell ist.

Haben Sie bei solchen Verkehrsnachrichten eigentlich inhaltliche Freiheiten?
Wenn ich sage: «Heimatland! Jetzt hat es schon wieder so viel Stau auf der A1», dann liegt das drin. Das mache ich manchmal, weil ich nicht nur mit Hirn, sondern auch mit Herz funktioniere.

Dürfen Sie auch sagen: «Auf der Gegenfahrbahn hats Stau durch Gaffer»?
Wenn die Meldung von Polizei und Viasuisse so formuliert ist, dann müssen wir das sogar so lesen. Aber sonst heisst der erste Leitsatz bei SRF: «Wir machen uns mit ­keiner Sache gemein, auch nicht mit einer guten.»

Haben Sie den Leitsatz schon mal missachtet?
Einmal hatte es bei der Ausreise aus Kreuzlingen Richtung Konstanz wegen Einkaufstouristen einen zweistündigen Stau. Das las ich ­genau so ab. Danach kommen­tierte ich: «Übrigens: Mer cha au i de Schwiiz go poschte!»

Wie reagierte die Hörerschaft?
Viele fanden das toll, andere sagten: «Herr Scherrer, Sie dürfen sich politisch nicht äussern.» Da war ich im wörtlichen Sinn an der Grenze dessen, was ich als Moderator darf. Ich bin ja kein Polit-Journalist, ­sondern Entertainer.

Ein emotionaler Entertainer der aufgestellten, um nicht zu sagen überdrehten Art.
Ja, bei Radio Top in Winterthur war ich bekannt für meine schrille Art der Moderation.

Sie waren dort berühmt für die Scherztelefonate, die Sie mit der Altersheim-Bewohnerin Anna Burkhardt führten.
Für die Sendung habe ich nur die lustigen Momente der Telefon­gespräche zusammengeschnitten, denn morgens um sieben Uhr macht es sich nicht gut, wenn man über den Tod spricht. Ich werde heute noch mehr auf Frau Burkhardt angesprochen als auf eine Sendung des «Samschtig-Jass».

Für «Burkhardt & Scherrer» ­bekamen Sie 2005 sogar einen Radio-Preis. 2013 ist Frau Burkhardt in den tiefen 90ern gestorben. Sind Sie froh, dass sie nicht 100 wurde?
Wegen der Heirat?

Ja, Sie hatten Frau Burkhardt versprochen, sie zu heiraten, wenn sie 100 wird.
Ich hätte sie geheiratet – meine Frau war in den Plan eingeweiht und hätte eingewilligt.

Aber mehrere Frauen zu heiraten, ist gesetzlich verboten. Hätten Sie sich scheiden lassen?
Nein, hätte ich nicht – das wäre eine BLICK-Schlagzeile geworden!

Toll: «Reto Scherrer lässt sich für eine 100-Jährige scheiden!»
Nein, wir hätten das symbolisch mit Blumen, Ansprache und Ringen gemacht. So, wie Kinder auch heiraten.

«Meister des Schabernacks» und «Spass-Macher» sind ­Zeitungsartikel über Sie betitelt. Eine Ehre für Sie?
Es ist eine Ehre, überhaupt wahr­genommen und in eine Schublade gepresst zu werden. Mittlerweile machen mich sogar gewisse Komiker nach …

… Ihr Kollege Stefan Büsser …
… das muss man sich verdienen!

Büsser frotzelt jeweils, dass Sie Kokain nehmen, um runterzufahren.
Das ist immer das Highlight in ­seinem Programm, wenn er mich nachmacht. Ich finde das sehr ­lustig. Meine Frau weniger.

Nehmen Sie Drogen?
Nein, ich muss keine Substanzen nehmen, um lustig zu sein.

Aber ab und zu eigenen Wein?
Ja, doch mit Alkohol werde ich eher nachdenklich – nicht schwermütig, sondern besinnlich: Ich höre dann gerne schöne Musik.

Wir sitzen hier im Rebhang Ihrer Eltern in Weinfelden.
Der ist seit 1762 in Familienbesitz. Ich bin die neunte Generation, mein Sohn die zehnte. Als ich meinem ­Vater bei der Geburt sagte, dass sein Enkel David heisse, hatte Papi Tränen in den Augen. Er sagte: «Der erste Scherrer von 1762 hiess David.»

Das ist eine Verpflichtung.
Ja, das sehe ich auch so. Wenn ­meine Eltern irgendwann nicht mehr leben werden, kann ich nicht einfach alles verkaufen. Neulich traf ich einen Werber aus Zürich, der sagte mir: «Auf die Wein-­ eti­kette musst du bloss 1762 schreiben.» Es fasziniere die Leute, dass es in der heutigen Zeit noch Fami­lien gebe, die über zehn Genera­tionen hinweg eine Tradi­tion bewahren können. Auf der ­Etikette des 2018er-Jahrgangs steht übrigens erstmals mein Name drauf.

Ihre Eltern pflegen nicht nur Reben, sie führten hier bis 2018 auch das Restaurant Rebe. Könnten Sie sich vorstellen, den elterlichen Betrieb zu übernehmen? Sie haben ja das Wirtepatent.
Ich würde das nicht ganz ausschliessen. Ich bin gerne unter Menschen, gerne Gastgeber. Aber ich bin ebenso gerne im Radio und mache gerne Fernsehen. Wenn die Kinder grösser sind, werde ich die Rebe vielleicht wieder eröffnen.

Bestimmt mit einem Jasstisch im Lokal.
Der ist schon dort. Als Monika ­Fasnacht aufhörte, bekamen wir für die Sendung «Samschtig- Jass» eine neue Jasstafel und einen neuen Jasstisch. Das alte ­Material war für den Müll bestimmt.

Und Sie haben es vor der ­Verschrottung gerettet?
So ist es. Mit einem Kollegen ­mietete ich einen Lieferwagen und habe nach Absprache mit dem Fernsehen die Tafel und den alten Tisch geholt. Daran sass ­damals übrigens der Erfinder der Sendung, Kurt Felix. Die historischen Möbel sind nun im ­Restaurant Rebe eingelagert.

Ob Wirt oder Radiomoderator – Sie sind stets Gastgeber.
Genau. Zwischen Moderator und Wirt besteht eine hundertprozen­tige Übereinstimmung. Ob im Restaurant oder am Radio: Man will, dass die Menschen einen guten Moment erleben und mit einem guten Gefühl wieder nach Hause gehen.

Gibt es Unterschiede?
Beim Radio ist es zuweilen noch ­intimer: Man kommt mit seinen Moderationen bis ins Schlafzimmer oder Esszimmer einer Familie – man redet sich mitten in den ­Mittagstisch rein.

Genau. Früher musste man bei den Halb-­eins-Nachrichten am ­Familientisch immer still essen.
Das habe ich nie erlebt. Weil meine Eltern um diese Zeit im Restau- rant bedienten, musste ich immer alleine zu Mittag essen. Danach half ich in der Küche mit.

Und das neben der Schule?
Einmal kam ein Schulinspektor zum Mittagessen in unser Restaurant. Als er nach 13 Uhr zahlte, ­sagte er meiner Mutter: «Sie, ich habe das alles beobachtet: Ihr Sohn arbeitet seit 12 Uhr in der Küche. Sie wissen, das ist nicht erlaubt, er muss um halb zwei wieder in die Schule.» Dann fragte er mich, und ich sagte, dass ich die Arbeit sehr gerne mache. Heute bin ich gerne bei meinem Vater im Rebberg – das macht mich glücklich.

Gibt es etwas, das Sie ärgerlich stimmen kann?
Wenn Kollegen im Radio beim ­Wetterbericht sagen, dass es leider regne. Dann gehe ich jeweils zu ­ihnen hin und sage: «Hört damit auf, denn nur wenn es regnet, ist das Wetter gut.»

Weshalb?
Weil wir hier im Thurgau viel zu wenig Wasser haben. Das ist eine Katastrophe. Seit letztem Sommer ist der Grundwasserspiegel massiv zurückgegangen. Ich komme halt aus diesem bäuerlichen Umfeld und bin dafür sensibilisiert.

Ein ernster Reto Scherrer?
Ich bin ein lustiger Typ. Aber ich kann unterscheiden, wann es lustig sein soll und wann nicht. In der heutigen Zeit kennen viele die Grenze nicht mehr. Die sind dann wie Kinder – die wissen häufig auch nicht, wann genug ist.

Sie haben selber drei Kinder.
Jesses Gott, ja. Sie sind knapp zwei, vier und bald sechs Jahre alt.

Lachen Sie bei und mit ihnen alle ­Probleme weg?
Nein, ich bin eher der, der sagt: «Das dürft ihr nicht!», «Seid ­ruhig!», «Esst schön!». Ich brauche enorm viel Energie für die Kinder. Ich bin recht alt geworden, körperlich und psychisch. Für die Arbeit habe ich lang nie so viel Energie ­gebraucht.

Kann Ihnen je die Energie aus­gehen? Sie wirken in Radio und Fernsehen immer so quick­lebendig.
Meine Frau sagte kürzlich, dass ich früher auch zu Hause noch mehr der Entertainer war. Wenn wir ­heute am Mittagstisch sitzen, bin ich jeweils froh, wenn ich nicht viel sprechen muss. Der Part gehört dann Frau und Kindern. Und ich höre gerne einfach zu. 

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