Tamy Glauser zu Missbrauch in der Modeszene
«Ich kenne kein einziges Model, das nicht sexuellen Übergriff erlebt hat»

Model Anja Leuenberger offenbart, dass sie in der Fashion-Branche sexuell missbraucht wurde. Leider seien solche Übergriffe in der Modelwelt immer noch an der Tagesordnung, erklärt ihre Kollegin Tamy Glauser.
Publiziert: 08.06.2020 um 18:00 Uhr
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Aktualisiert: 08.04.2021 um 18:31 Uhr
Patricia Broder

Es ist eine schockierende Enthüllung, die Anja Leuenberger (27) in ihrem Buch macht: Das Aargauer Model wurde zwei Mal vergewaltigt. Den ersten Übergriff erlebte sie im Alter von 15 Jahren in einem Zürcher Nachtclub. Den zweiten als 18-Jähriges Model in Los Angeles. «Dieses Mal war es jemand aus der Modeindustrie», so Leuenberger.

Eine tragische Offenbarung, die Topmodel Tamy Glauser (35) bestürzt, aber nicht überrascht: «Ich kenne kein einziges Model, das nicht schon mal sexuellen Übergriff erlebt hat», sagt Glauser zu BLICK. «Vom Klaps auf den Hintern bis hin zur Vergewaltigung.» Leider seien solche Übergriffe im Model-Business immer noch an der Tagesordnung, so die Bernerin. «Seit #MeToo finden sie zwar weniger öffentlich, dafür wahrscheinlich umso mehr im Verborgenen statt.»

«Ich kenne kein einziges Model, das nicht schon mal sexuellen Übergriff erlebt hat», sagt Glauser zu BLICK. «Vom Klaps auf den Hintern bis hin zur Vergewaltigung.»
Foto: Thomas Meier
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Glauser hat Missbrauchsverhalten mehrfach miterlebt

Glauser, die während ihrer langjährigen Karriere für namhafte Designer wie Jean-Paul Gaultier (68), Givenchy oder Vivienne Westwood (79) über den Laufsteg schritt, hat Missbrauchsverhalten in der Modebranche hautnah miterlebt: «Vor wenigen Jahren nahm ich an einem Abendessen in Tokio teil, das von einer Casting-Agentur organisiert wurde. Die Jüngste in unserer Gruppe war 13 Jahre alt. Beim Essen wurde mir schnell klar, dass es nicht um mögliche Jobangebote ging, sondern bloss um Sex. Als einer der Agenten schliesslich ein 17-Jähriges Model mit nach Hause nehmen wollte, schritt ich ein und bestellte schnell für uns beide ein Taxi. Wir wollten nur noch weg von dort.»

«Ich war bestimmt nicht die Einzige, der sie das angetan haben»
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Model Anja Leuenberger:«Ich wurde zweimal vergewaltigt»

Ein anderes Mal haben die zuständige Castingagentin und der Fotograf Glauser in einem Londoner Studio zu einem Oben-ohne-Shooting zwingen wollen: «Ich weigerte mich und verliess sofort die Location. Mit diesen Leuten habe ich nie mehr wieder gearbeitet.» Diese klare Haltung hat die Partnerin von Dominique Rinderknecht (30) mitunter davor bewahrt, selber Opfer sexuellen Übergriffs zu werden. Glauser: «Ich hatte ja mit der Glatze lange Zeit einen androgynen Look, war schon etwas älter als die anderen Mädchen. Ich trat stets selbstsicher auf und war immer offen lesbisch. Das hat mir wohl den nötigen Respekt verschafft und mir geholfen, nicht an solche Verbrecher zu geraten.»

«Viele Mädchen haben Angst, sich ihre Karriere zu verbauen»

Leider hätten viele junge Mädchen nicht den Mut, auf diese Weise für sich einzustehen, sagt Glauser. «Viele haben Angst, sich mit einem Nein ihre Karriere zu verbauen. Das ist sehr schade. Denn ein gutes Model schafft es auch, ohne mit einem schmierigen Typen ins Bett zu gehen.» Und manche der Täter seien in der Szene gut bekannt, erklärt Glauser: «Es gibt unter den Models eine Blacklist von Fotografen oder Castingagenten, die man sich weiterreicht. Wir wissen, mit welchen teilweise auch grossen Namen wir besser nicht arbeiten sollten.» So kam es auch, dass das Berner Model ein Shooting mit US-Starfotograf Terry Richardson (54) konsequent ablehnte: «Terry eilte ein schlimmer Ruf voraus. Ich wusste bereits von den Vorwürfen des Missbrauchs und der sexuellen Nötigung gegen ihn. Eine Zusammenarbeit mit ihm kam für mich auf keinen Fall infrage.»

Dass nun Anja Leuenberger mit ihrem Buch «The Depths of My Soul» an die Öffentlichkeit geht und damit anderen jungen Frauen und Männern Mut machen will, findet Tamy Glauser «bewundernswert». Dennoch hätte sie sich von ihrer Kollegin gewünscht, dass sie noch einen Schritt weitergeht: «Ich finde es schade, dass Anja nicht sagt, wer ihr das angetan hat. Sexualverbrecher in der Modebranche sind, wie solche im Filmbusiness, Serientäter. Würde sie den Täter nennen, hätten vielleicht auch andere seiner Opfer den Mut, an die Öffentlichkeit zu treten.»

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