Zu Gast beim «Donnschtig-Jass» in Sutz-Lattringen am Bielersee
Annäherung an ein Phänomen

Seit 1984 wird auf SRF auch unter der Woche gejasst. Mit zuletzt bemerkenswert hohen Zuschauerzahlen. Weshalb ist der «Donnschtig-Jass» so erfolgreich? Und was passiert in einer Gemeinde, die zum Austragungsort wird? Der Blick war in Sutz-Lattrigen BE dabei.
Publiziert: 21.07.2024 um 00:55 Uhr
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Aktualisiert: 21.07.2024 um 09:03 Uhr

Der SRF-«Donnschtig-Jass» gastierte diese Woche in Sutz-Lattrigen BE. In einem Boot kommt Moderator Rainer Maria Salzgeber (54) um 20 Uhr am Landesteg beim Strandbad an. «So geht Sommer», ruft er begeistert. Bilderbuchwetter und Zuschauermenge bilden die perfekte Kulisse für die Livesendung.

Mit 3500 Leuten wurde gerechnet, zwei Stunden vor Beginn sind es über 4000. Dominierten bei den Proben noch Familien und Senioren die Szenerie, haben nun auch die Väter Feierabend. Die Dorfjugend ist da und hat Durst. Auffällig häufig sind auch Fanshirts von George zu sehen.

Der Landschaftsgärtner George Schwab (55) ist mit seiner Seeland-Hymne «Hie bini deheim» heute der heimliche Star. Der Titel lügt nicht. Sein Wohnort Siselen BE ist zehn Kilometer entfernt. Schwab ist einer von hier, von ihnen, der Prototyp der Zuschauer, ein bescheidener «Chrampfer» mit dem kleinen Wunsch nach dem ganz grossen Glück.

Schon bei der Generalprobe um 16 Uhr ist die Wiese beim Strandbad rappelvoll. In der Bildmitte mit Gitarre der Berner Hitsänger Peter Reber. Angetischt wurde für 3500 Leute, um 18 Uhr sind es weit über 4000.
Foto: Thomas Meier
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Wo ist Nemo? Und warum sind die Quoten so gut?

Die ersten Gäste sitzen schon am Mittag hier. Gesprächsthema Nummer 1: Wieso kommt der Bieler ESC-Sieger Nemo (24) nicht? Antwort: Er ist am Gurtenfestival. Doch neben George treten Pegasus auf, Lokalmatadoren auch sie. Und der Berner Liedermacher Peter Reber (75). An einem andern Tisch wird über die Halbierungs-Initiative diskutiert. «Ob sie sparen können, weiss ich nicht», sagt ein pensionierter Lehrer. «Einfach hinter den ‹Donnschtig-Jass› dürfen sie uns auf keinen Fall.»

Das wäre mit Blick auf die Quoten wirklich auch keine gute Idee. Die 40-Jahr-Ausgabe 2023 war die erfolgreichste der letzten zehn Jahre. Durchschnittlich 468'000 sahen zu. Die ersten zwei Sendungen 2024 bestätigen das hohe Niveau. In Sutz-Lattrigen wird die 500'000-Marke erreicht.

Woher kommt der Zuspruch? Wer es wissen muss, ist Marco Krämer (43), Leiter Quiz- und Spielshows bei SRF. In einer grenzenlos wirkenden Welt sei es wieder wichtiger geworden, «etwas zusammen zu haben», sagt Krämer.

«Dieses Wir-Gefühl auf dem Platz überträgt sich auf die Zuschauer zu Hause, die denken, da wären sie am liebsten auch dabei und würden etwas verpassen, wenn sie nicht einschalten.» Die Sendung vermittle klassische Schweizer Sommerferien-Stimmung.

Über die Kosten und das Risiko

Geografisch sei man gut austariert. «Ein Tessin-Abstecher könnte nächstens auch drinliegen.» Aber Ausflüge nach Mallorca wie 2008 zum «Samschtig-Jass»-Jubiläum seien kein Thema mehr. «Das würde zu Recht einen Aufstand geben.»

Eine SRF-Unterhaltungsshow kostet rund 400'000 Franken. Hier ist die Summe etwas tiefer, weil es wiederkehrende Protagonisten gibt und keine Kulisse aufgebaut wird. «Wir finanzieren alles, was mit der Show zusammenhängt. Für das Sicherheitsdispositiv im Dorf, das Catering und alles andere ist die Gemeinde zuständig. Wir empfehlen immer, sich abzusichern, weil sich das Wetterrisiko schlecht kalkulieren lässt.»

Sutz-Lattrigen hat eine Defizitgarantie von 30'000 Franken angenommen. Reich werde niemand. «Wir können mit einer Null zufrieden sein», sagt Gemeindepräsident Daniel Kopp (55). «Springt etwas heraus, wird es an die Vereine verteilt. Und jeder Helfer bekommt mindestens einen Fünfliber pro Stunde.»

Am Jasstisch in Scuol GR gewann vor einer Woche Sutz-Lattrigen gegen Ipsach. Doch Rivalität ist keine zu spüren. «Wir hatten zwei OKs, machten die Sitzungen aber zusammen.» Seit einem Jahr wissen die Gemeinden, dass eine von ihnen die Sendung ausrichten darf.

Der Gemeindeschreiberin sei Dank

Kopp hat Salzgeber die 300 Kilometer vom Engadin her auf dem Velo begleitet. «Das hat noch nie ein Präsident gemacht, Hut ab», sagt der Moderator. Das eigentliche Verdienst, dass der «Jass» nach Sutz-Lattrigen kam, gehört Gemeindeschreiberin Caroline Streit (51). Sie ist ein grosser Fan der Sendung und meldete 2018 im Namen der Gemeinde das Interesse an.

«Wir haben 270 Helferinnen und Helfern im Einsatz, so kommen wir gerade über die Runden», sagt Streit. 5000 Würste, 1500 Portionen Fisch und 500 Portionen Baked Potatoes wurden vorbereitet. In den Kühlschränken lagern 13'000 Flaschen Bier. Neben einer Grossmarke auch ein nach der Postleitzahl «2572» benanntes süffiges Lager.

Anhaltender Regen wäre problematisch gewesen, nicht nur für den Bierumsatz. Im Gegensatz zu anderen Gemeinden, die Strasse oder Plätze zur Verfügung stellen, ist der Untergrund hier weich. «Ein Kartoffelacker hätte sich optisch schlecht gemacht», sagt Produzent Tino Zimmermann (51).

Mit 12 Lastwagen wurden seit Montag 30 Tonnen Material aufs Gelände gebracht und drei Kilometer Kabel verlegt. 200 Scheinwerfer und 9 Kameras kommen jeweils zum Einsatz, vor Ort sind am Sendetag 60 Leute tätig. «Wir besichtigen im Mai alle Orte und legen umfangreiche Dossiers an», so Zimmermann. Einen Ausfall gab es noch nie.

Auch nicht in Sutz-Lattrigen. Bei Showende ist es immer noch wolkenlos. Sarnen OW gewinnt am Spieltisch, der nächste «Jass»-Halt ist fixiert. Nun schlägt die Stunde von George und seinen Friends: «Wenn d Sunne hingerem Jura ungergeit», singen sie. Und beschreiben, was tatsächlich gerade am Horizont passiert. Die Leute summen mit und schwenken ihre Handys als Taschenlampen. Eigentlich könnte die Welt so heil sein ...

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