SRF-Kulturchefin Susanne Wille
«Der Kopf muss beweglich sein, den ganzen Tag»

Seit Juni ist sie SRF-Kulturchefin: Susanne Wille erzählt, wie sie in dieser schwierigen Zeit 300 Leute führt. Und wie sie gerne entspannt.
Publiziert: 08.11.2020 um 01:13 Uhr
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Aktualisiert: 04.02.2021 um 15:01 Uhr
Interview: Peter Padrutt und Dominik Hug

Ein Interview mit ihr zu bekommen, ist schwierig. Seit Susanne Wille (46) Kulturchefin bei SRF ist, hetzt sie von Sitzung zu Sitzung. 300 Leute hat sie seit Juni unter ihren Fittichen, verantwortet den «Tatort», die neue 8,4 Millionen teure Nachkriegsserie «Frieden». Aber auch Religionsendungen, Dokumentationen. Ein Mammutpensum.

Frau Wille, wann waren Sie zuletzt in einem Theater oder Kino?
Susanne Wille: Mit der Familie war ich kürzlich im Kino. Am Zurich Film Festival hatte SRF gleich mehrere Premieren, bei denen ich dabei war. Und ich war im Stadtkasino Basel an einem Konzert. Alles mit Maske.

Kulturchefin zu sein, während eine ganze Branche darniederliegt – wie schafft man das?
Das ist effektiv anspruchsvoll, vor allem aber für die Kulturschaffenden selbst, denen die Einnahmen wegbrechen, die nicht mehr oder nur noch in einem kleineren Rahmen auftreten können. In der Abteilung Kultur reagieren wir auf diese Ausnahmesituation. Wir berichten über die Kultur, über die Probleme, aber wir wollen auch aktiv etwas unternehmen, um zu helfen.

Seit Juni leitet sie die Kulturabteilung von SRF.
Foto: SRF/SEVERIN NOWACKI
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Wie das?
Wir lancieren nächstens weitere Sonderprojekte, mit denen wir die Kultur in dieser Krise unterstützen. Wir schaffen zusätzliche Programmflächen für die Kulturschaffenden, bieten Musikerinnen, Künstlerinnen, Schriftstellern originelle Bühnen im TV, Radio, online oder lancieren einen Ideenwettbewerb für Kreative. Am Montag verabschieden wir diesen «Kulturkick».

Es war nicht einfach, einen Termin mit Ihnen zu bekommen. Liegt es daran, dass Sie sich als Newsfrau in einen Ihnen fremden Bereich einarbeiten mussten?
Ich startete effektiv unter ausserordentlichen Bedingungen, die meisten Kolleginnen und Kollegen der Kulturabteilung im Homeoffice, Dreharbeiten unterbrochen und parallel dazu viele neue Abläufe und Redaktionen, die es kennenzulernen galt. Deshalb hatten die Mitarbeitenden in diesen ersten Monaten Priorität. Ihnen gilt auch weiterhin meine Aufmerksamkeit. Auch vor dem Hintergrund der anstehenden strategischen Veränderungen im Unternehmen.

Sie müssen jetzt Drehbücher lesen und Budgets von Serien verantworten. Haben Sie eine Schnellbleiche zur Filmproduzentin gemacht?
(Lacht) Um Filme und Serien zu entwickeln und herzustellen, haben wir ein sehr gutes Team im Haus und arbeiten mit den Profis aus der unabhängigen Filmbranche zusammen. Ich muss vor allem dafür sorgen, dass unsere Teams gute Rahmenbedingungen haben. Aber ja, ich habe die Ärmel hochgekrempelt, lese Drehbücher, studiere Budgets, und das macht mir grossen Spass.

«Frieden» ist die erste Serie, die Sie verantworten müssen. Im Gegensatz zum ersten neuen «Tatort» ist das Projekt zugänglicher. Erleichtert?
Moment. Der «Tatort» aus Zürich mit zwei starken Ermittlerinnen ist mit rund 700’000 Zuschauenden sehr zugänglich gewesen. Ich habe bereits die zweite Folge gesehen, Sie dürfen sich freuen. «Frieden» ist kein Krimi, sondern eine packende, eindringliche Dramaserie. Sie zeigt ein Kapitel Schweizer Geschichte, das fiktional noch kaum erzählt wurde. Das Kriegsende war eine Zäsur, und das Leben der Menschen ging unter erschwerten Bedingungen weiter. Auch in der Schweiz.

Das ist Susanne Wille

Die Aargauerin Susanne Wille (47) studierte Journalistik, Geschichte und Anglistik. Daneben arbeitete sie als Flugbegleiterin bei der Swissair, bevor sie 1999 Videojournalistin beim Aargauer Sender Tele M1 wurde. Von 2001 bis 2011 moderierte sie «10 vor 10». Danach wurde sie Bundeshaus-Korrespondentin, arbeitete für die «Rundschau». 2016 kehrte sie zu «10 vor 10» zurück. Im Frühling 2020 hörte sie dort auf, weil sie zur SRF-Kulturchefin befördert wurde. Sie ist mit «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin (57) verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne und eine Tochter.

Die Aargauerin Susanne Wille (47) studierte Journalistik, Geschichte und Anglistik. Daneben arbeitete sie als Flugbegleiterin bei der Swissair, bevor sie 1999 Videojournalistin beim Aargauer Sender Tele M1 wurde. Von 2001 bis 2011 moderierte sie «10 vor 10». Danach wurde sie Bundeshaus-Korrespondentin, arbeitete für die «Rundschau». 2016 kehrte sie zu «10 vor 10» zurück. Im Frühling 2020 hörte sie dort auf, weil sie zur SRF-Kulturchefin befördert wurde. Sie ist mit «Tagesschau»-Moderator Franz Fischlin (57) verheiratet und hat mit ihm zwei Söhne und eine Tochter.

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Ausstattung, schauspielerische Leistungen – hier stimmt alles. Was haben wir vergessen?
Den Inhalt. «Frieden» ist das Porträt einer Generation, die unserer Urgrosseltern, Grosseltern oder Eltern. In der Zeit unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg haben sie den Grundstein gelegt zum späteren Wohlstand des Landes und dafür auch einen Preis bezahlt. Die Serie erzählt ein Stück Vergangenheit, das uns und unser Land bis heute prägt. Und ist Kern eines ganzen Themenschwerpunkts. Rund 40 Beiträge, Dokumentarfilme, Recherchen, Analysen auf allen Ausspielkanälen beleuchten die Zeit nach 1945 und ermöglichen ein tieferes Verständnis für die Herausforderungen jener Zeit.

Wie wichtig ist «Frieden» für die Filmbranche?
Mit der Ausstrahlung der Serie schaffen wir ein Wir-Gefühl, ein Kulturerlebnis als Signal: «Frieden» unterstreicht, dass Kultur Inspiration, Ablenkung vom Alltag oder Debattenbeitrag ist, weil wir uns immer wieder auch mit Tabuthemen befassen. Wichtig ist nun, dass wir weiterhin Filme und Serien in der Schweiz produzieren, und das stellen wir mit unserem Engagement sicher.

Sie müssen in Zukunft massiv sparen. Ist «Frieden» das letzte grosse SRF-Projekt dieser Art?
Aber nein doch. Unsere Serien und Filme sind imageprägend und tragen viel zur Unverwechselbarkeit von SRF bei. Bereits Ende November startet die Krimiserie «Advent, Advent», im Januar folgt die dritte Staffel von «Wilder» und später im Jahr zeigen wir die neue Serie «Neumatt», die von einer Erbschaft in einem modernen landwirtschaftlichen Familienbetrieb handelt.

Wie führt man eigentlich 300 Leute?
Verantwortungsbewusst. Mit Respekt, Wertschätzung und Hingabe. Und mit einem starken Kompass, wohin die Reise gehen soll.

Wo liegen die grössten Herausforderungen bei Ihrer Arbeit?
Der Kopf muss beweglich sein, den ganzen Tag. In der Kultur verantworte ich die Kulturberichterstattung, die Wissenschaft, die Fiktion und Hörspiele, die Dokumentarfilme und Reportagen, die Philosophie. Es gehört das Kulturradio SRF 2 Kultur dazu, das Onlineangebot der Kultur und diverse Fernsehprogramme. Nun gilt es, nach vorne zu schauen, dieser Vielfalt Sorge zu tragen und sie in die Zukunft zu führen, in einer Zeit, in der in der Medienwelt kein Stein auf dem anderen bleibt.

Führen Frauen anders als Männer?
Ich kann nur für mich sprechen. Führungsverantwortung heisst, etwas bewegen zu können. Teamarbeit und Eigenverantwortung sind in einer schnelllebigen Zeit und im digitalen Umbruch wichtiger denn je. Beides unterstützte ich konkret, etwa indem ich mit einem «Wochenbriefing» oder einem «Digitalatelier» einen regelmässigen Austausch über alle Team-, Hierarchie- und Vektorgrenzen hinweg lanciert habe. Es dürfte übrigens auch ruhig noch mehr Frauen in Führungspositionen geben. Nur weil es mehr sind als früher, reicht das noch nicht.

Sie haben im Bereich mit vielen sensiblen Menschen zu tun – auch mit einigen Mimosen. Wie stark fordert Sie das?
Ich habe es vor allem mit sehr vielen kreativen Köpfen zu tun. Mit Menschen, die brennen, für das, was sie tun.

Daneben haben Sie schulpflichtige Kinder. Wie sieht es derzeit bei Ihnen zu Hause aus.
Seit dem Lockdown stehen bei uns ein paar Pulte mehr an den Wänden. Wir waren zeitweise zu fünft im Homeoffice und verteilten uns in verschiedenen Ecken. Im Moment ist wieder ein Stück Normalität eingekehrt.

Ihr Mann, Franz Fischlin, hat sein Pensum Ihretwegen verkleinert. Wie teilen Sie sich im Haushalt auf?
Nun. Die Kisten mit scharfen Kanten räumt bekanntlich mein Mann weg. Scherz beiseite. Wir sind ein Team und lachen über das, was nicht wie am Schnürchen klappt. Wenn wir zum Beispiel beide die gleichen Joghurts mit nach Hause bringen. Momentan packt er im Haushalt stärker an als ich. Als die Kinder klein waren, fielen bei mir mehr Aufgaben an.

Was kann er besonders gut?
So spontan fällt mir nichts ein, was er nicht gut kann (schmunzelt). Zudem: Mein Mann ist leidenschaftlicher Journalist. Er ist mein ehrlichster Kritiker und meine grösste Unterstützung.

Sie wirken stets kontrolliert. Können Sie uns eine Seite von sich nennen, die uns in Erstaunen versetzt?
Diese Wirkung kommt vermutlich aus meiner Zeit als News- und Polit-Anchor. Wer mich kennt, weiss, dass ich neues Terrain sehr schätze. Dafür spricht auch meine heutige Funktion. Ich habe keine Probleme damit, ins kalte Wasser zu springen. Auch nicht als Schwimmerin. Ich schwimme das ganze Jahr hindurch, draussen, ohne Neoprenanzug. Falls Ihre Frage auf so was abzielt.

Was ist Ihr nächstes Ziel – erste SRG-Generaldirektorin zu werden?
Es ist effektiv eines meiner Glücksrezepte, dass ich stets in der momentanen Aufgabe aufgehe. Auch in der aktuellen, die atemberaubend spannend ist. Und: Was ist denn schon planbar im Leben? Wenig.

Welches ist Ihr grösster Traum?
Wie viele Sätze geben Sie mir noch? Meine neunjährige Tochter schrieb mir letzthin einen Brief: «Es gibt Momente, da können wir in den Himmel schauen, und wir sehen die Zukunft.» Schöner kann man Träumen nicht ausdrücken. Mein Traum ist es, weiterhin offen zu sein für das, was das Leben bringt. Jeden Tag.

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