«Wir können nicht so schlank sein wie Private»
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Interview Gilles Marchand:«Wir können nicht so schlank sein wie Private»

Interview mit SRG-Generaldirektor Gilles Marchand
«Wir können nicht so schlank sein wie Private»

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand steht BLICK nach dem gestrigen Sparhammer in Bern Red und Antwort und sagt, wo er den Hebel genau ansetzen will, um weitere 50 Millionen streichen zu können.
Publiziert: 30.09.2020 um 23:09 Uhr
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Aktualisiert: 10.04.2021 um 14:14 Uhr
Christian Dorer und Jean-Claude Galli (Interview), Thomas Meier (Fotos)

Wir treffen SRG-Generaldirektor Gilles Marchand (58) in seinem Büro im zehnten Stock des SRG-Hochhauses in Bern. Während sich draussen der Hochnebel lichtet und die Alpenkette sichtbar wird, erklärt er die jüngste Sparmassnahme: Noch einmal müssen 50 Millionen Franken weg – und bis 2024 sollen 250 Vollstellen verschwinden.

Herr Marchand, hat die SRG in der Vergangenheit zu üppig gewirtschaftet?
Nein, wir achten schon lange auf die Kosten. Gleich nach der gewonnenen No-Billag-Abstimmung starteten wir im März 2018 ein Reformprogramm, mit dem wir bereits 100 Millionen eingespart haben. Jetzt kommen zwei Dinge dazu: Werbung wandert zu digitalen Plattformen ab, und die Corona-Krise trifft uns heftig. Deshalb die erneuten 50 Millionen.

Bei einem Budget von 1,5 Milliarden Franken sind 150 Millionen machbar.
Das sind zehn Prozent des Budgets – und gleichzeitig bleibt der Leistungsauftrag gleich. Das ist anspruchsvoll.

SRG-Generaldirektor Gilles Marchand im SRG-Hochhaus an der Giacomettistrasse in Bern.
Foto: Thomas Meier
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SVP-Nationalrat Gregor Rutz sagt, bei der SRG gebe es noch genug Speck ...
Ich kenne diese Vorwürfe. Tatsache ist: Die öffentlich-rechtlichen Anstalten anderswo haben ein viel grösseres Budget. France Télévision und Radio France zum Beispiel stehen für einen ähnlichen Leistungsauftrag mit nur einer Sprache 3,8 Milliarden Euro zur Verfügung.

Frankreich ist viel grösser als die Schweiz.
Auch wir sind dezentral und haben sieben Standorte. Und wir produzieren in vier Sprachen. Wenn wir uns mit anderen vergleichen, kann man objektiv feststellen: Wir sind sehr fit.

Unter Politikern gab am Abstimmungssonntag zu reden, dass die SRG zwei Extra-Studios aufbaute: auf dem Flugplatz Dübendorf für die Kampfjets und in Chur fürs Jagdgesetz. So gross scheint die Not nicht zu sein.
Aber man verlangt von uns gleichzeitig Dezentralisierung sowie Sprach-, Kultur- und Medienvielfalt. Das sind die Herausforderungen, mit denen wir leben müssen.

Sie hoffen auf die natürliche Fluktuation. Wie viele Entlassungen wird es am Ende geben?
Das wissen wir noch nicht genau. Gemeinsam mit unserem Sozialpartner werden wir schauen, ob zusätzlich zu unserem Sozialplan Mitarbeiter für neue Funktionen umgeschult oder freiwillig frühzeitig pensioniert werden können. Die Alterspyramide mit vielen älteren Mitarbeitern hilft, diesen Plan umzusetzen. Falls Entlassungen nicht zu vermeiden sind, helfen wir diesen Personen mit diversen Massnahmen.

Wird im Tessin und in der Westschweiz mehr abgebaut?
Nein, wir sparen gleichmässig über alle Sprachregionen hinweg. Der gleichwertige Leistungsauftrag ist unsere Kernaufgabe. Das italienischsprachige «Telegiornale» muss dieselbe Qualität haben wie die «Tagesschau» oder das welsche «19h30». Wenn wir uns das nicht mehr leisten können, haben wir ein Legitimationsproblem.

Wo sehen Sie das grösste Sparpotenzial?
Wir schauen alle Bereiche an – Forschung, Journalismus, Technik und Arbeitsabläufe. Beim Sport zum Beispiel können Kommentatoren mit unserer modernen Remote-Technik auch aus dem Studio moderieren, besonders während Corona-Zeiten. Auch die Verwaltungskosten müssen tief bleiben.

Die SRG mit ihren verschiedenen Räten hat sehr komplexe Strukturen. Muss das nicht alles einfacher werden?
Wir sind ein Spiegelbild unserer Schweiz: Wir haben Checks and Balances, wir sind dezentral organisiert, und wir gehören unserem Publikum. Unsere Trägerschaften sind wie unsere «Aktionäre». Wir können uns nicht so schlank organisieren wie eine private Firma.

Was werden der Zuschauer und die Zuhörerin vom Sparprogramm merken?
Es wird weniger klassische TV-Shows wie die grossen Samstagabend-Produktionen geben. Und wir werden im Bereich der Fiktion mehr mit privaten Produzenten zusammenarbeiten. Unser Vollprogramm ist jedoch nicht gefährdet. Wir werden eine neue Balance zwischen Information, Kultur, Unterhaltung und Sport finden müssen. Und wir kämpfen hart, um gute Sportrechte zu behalten.

Das Aus von «Eco», «Sportaktuell» und «Viva Volksmusik» wurde bereits kommuniziert. Sind nun also auch SRF-Evergreens wie «Happy Day» und Formate wie «Darf ich bitten?» akut gefährdet?
Für SRF-Sendungen müssen Sie mit SRF-Direktorin Nathalie Wappler sprechen. Zudem: «Eco» verschwindet nicht, es wird neu. Was aber stimmt: Die grossen Abendshows werden künftig eine etwas weniger grosse Rolle spielen.

Wer sich unterhalten will, kann das überall tun. Müsste sich die SRG auf News konzentrieren und auf alles andere verzichten?
Nein, das wäre falsch! Man kann unseren Kernauftrag nicht auf Information reduzieren. Wenn wir keine Filme mehr drehen und keine Serien produzieren, dann ist die Schweiz diesbezüglich Ödland. Die Privaten können ihr Angebot auf ein Zielpublikum ausrichten. Wir sind da für alle.

Schweizerinnen und Schweizer zahlen Gebühren von 1,2 Milliarden doch vor allem, weil die SRG wichtig ist für die Meinungsbildung und damit für unsere Demokratie.
Wir haben nie gesagt, dass wir weniger Information machen werden. Wir haben nur gesagt, dass wir die anderen Felder nicht total vergessen dürfen. Egal, ob wir die Champions League nicht mehr übertragen, eine Kirchensendung verkürzen oder «Viva Volksmusik» absetzen: Das gibt sofort starke Reaktionen. Und das ist ganz normal. Service public ist nicht bloss Information.

Sie wollen es allen recht machen.
In jedem Land mit Service-public-Angebot fällt auf: Die Daseinsberechtigung hat stark mit der Vollprogrammlogik zu tun. Wie schon gesagt: Wir sind für alle da. Wir investieren etwa 50 Prozent in die Information, aber im Kern liegt der Anspruch, möglichst alle zu erreichen.

Wo ist Ihre rote Linie bei den Sportrechten: Wäre es vorstellbar, die Fussball-Nati-Spiele an Private abzutreten?
Es gibt eine finanzielle Grenze. Wir sind bei der Champions League ausgestiegen, weil wir sonst anderes hätten einstellen müssen. Mit den grossen Telekomunternehmen können wir finanziell nicht mithalten. Aber wir bieten Reichweite. Deshalb könnte es gefährlich werden für eine grosse Sportorganisation, wenn sie nicht mit dem Service public zusammenarbeitet, weil sie auch auf Sponsoren angewiesen ist, die Reichweite brauchen.

Die «NZZ» hat kürzlich ein internes SRG-Dokument veröffentlicht, in dem steht, dass künftig die Hälfte der Deutschschweizer die SRF-Newsapp nutzen soll. Wieso dieser Frontalangriff auf die Privaten?
Das war ein internes Papier, ein unglückliches Wording und auch gar nicht der entscheidende Punkt. Wir erreichen mit unseren Newssendungen heute circa die Hälfte aller Deutschschweizer. Das Nutzerverhalten aber ändert sich radikal, bereits 20 Prozent der Schweizer schauen kein lineares TV mehr. Und wir haben einen Leistungsauftrag, alle zu erreichen. Diesen Auftrag müssen wir in die neue Welt übertragen und uns fragen: Wo erreichen wir die Schweizerinnen und Schweizer morgen? Zum Beispiel mit unseren A-la-carte-Angeboten.

Hat das dann zur Folge, dass Sie eine seriöse Sendung wie «Eco» einstellen, um dafür Filmchen für Tiktok zu produzieren?
Das ist jetzt etwas gar plakativ. Tatsächlich probieren wir neue Plattformen aus, um zu schauen, wie unser Publikum darauf reagiert. In der Deutschschweiz etwa ist Instagram sehr präsent, im Welschland ist es immer noch Facebook. Wir nützen verschiedene Wege, um unser Publikum zu erreichen.

Wie wollen Sie die Jungen ansprechen?
Wir müssen neue Erzählformen entwickeln. Wir können nicht eine 45-Minuten-Sendung auf eine Plattform stellen und auf Zuspruch hoffen. Dann müssen wir Themen und Formate finden, die für Junge wichtig sind.

Werden die Jungen in 20 Jahren noch bereit sein, Gebühren zu zahlen?
Wenn wir die Jungen erreichen, dann schon. Deshalb nutzen wir die neuen Kanäle.

Kritiker monieren, Sie würden mit dem starken Fokus aufs Digitale Ihre Konzession verletzen.
Wir nehmen die Konzession sehr ernst. Sie sagt klar: Wir dürfen nicht nur, wir müssen auch die Jungen besser erreichen. Dafür muss man digital sein oder à la carte, ich finde diesen Ausdruck besser. Wir können auch digital first sein, aber wir dürfen kein Geschäft damit machen. Das respektieren wir.

In zwei Jahren läuft die Konzession aus. Wie muss sie angepasst werden?
Mich treibt die Frage um: Gibt es eine bessere Zusammenarbeit zwischen uns und den Privaten, um internationalen Plattformen entgegenzuwirken, die uns die kommerziellen Einnahmen wegnehmen? Wir wissen seit Jahren, dass jährlich 300 Millionen Werbegelder in die Werbefenster ausländischer Stationen fliessen. Im Digitalen stellen sich nun die gleichen Probleme. Können die SRG und die Privaten da ein Gegenangebot, eine gemeinsame Programmstrategie entwickeln? Ich weiss es nicht, aber ich bin offen dafür, seit Jahren schon.

Gehört zu diesen Bestrebungen auch Ihre neue Streaming-Plattform Play Suisse?
(Strahlt.) Das ist mein Herzensprojekt! Play Suisse ist die neue Idée Suisse. Wir nutzen damit die Digitalisierung und die neue Welt. Unser gesamtes Angebot an Sendungen, Dokfilmen, Reportagen, Serien etc. wird neu ganz einfach verfügbar sein, und zwar mit Untertiteln in Deutsch, Französisch, Italienisch und teilweise Rätoromanisch. Damit bauen wir Brücken und sprechen die Schweiz ganz neu an.

Ein Netflix für die Schweiz?
In der Art. Wir können damit unsere Inhalte allen in diesem Land viel besser und jederzeit zugänglich machen. Wir haben für diese Plattform gespart und reinvestieren hier einen Teil der eingesparten 100 Millionen.

Soziologe an der Spitze

Gilles Marchand wuchs in Paris und Nyon VD auf und studierte an der Universität Genf Soziologie. Seine Medienkarriere begann er 1988 bei der «Tribune de Genève» im Bereich Marketing und Leserforschung. 1998 wurde er Direktor von Ringier Romandie, 2001 folgte die Wahl zum Direktor von Télévision Suisse Romande (TSR). Unter seiner Ägide kam es 2010 zur Zusammenlegung von Radio, Fernsehen und Online zu Radio Télévision Suisse (RTS). Am 1. Oktober 2017 trat er sein Amt als Generaldirektor der SRG SSR in der Nachfolge von Roger de Weck an. Marchand ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Bern.

Gilles Marchand wuchs in Paris und Nyon VD auf und studierte an der Universität Genf Soziologie. Seine Medienkarriere begann er 1988 bei der «Tribune de Genève» im Bereich Marketing und Leserforschung. 1998 wurde er Direktor von Ringier Romandie, 2001 folgte die Wahl zum Direktor von Télévision Suisse Romande (TSR). Unter seiner Ägide kam es 2010 zur Zusammenlegung von Radio, Fernsehen und Online zu Radio Télévision Suisse (RTS). Am 1. Oktober 2017 trat er sein Amt als Generaldirektor der SRG SSR in der Nachfolge von Roger de Weck an. Marchand ist verheiratet, Vater von zwei Kindern und lebt in Bern.

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