Isolation, Schlafstörungen, Fressattacken, Depressionen
Aargauerin Samira (25) geriet in den Bodybuilding-Teufelskreis

Die Aargauer Bodybuilderin Samira sagt, wie sie die krassen Folgen ihres Sports in die Depressionen trieben – und wie sie wieder rausfand.
Publiziert: 11.05.2019 um 20:02 Uhr
Bodybuilderin Samira Bär war fitnesssüchtig.
Foto: SRF
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Sie hätte den Kampf gegen sich selber fast verloren: Bodybuilderin Samira Bär (25) packt gegenüber BLICK über die Schattenseiten ihres Sports aus, die sie mit einer starken Essstörung sowie Depressionen sogar in eine Klinik brachten.

Begonnen hat alles noch ganz harmlos – als Hobby, «als Leidenschaft», wie Bär sagt. Die Aargauerin trainierte zunächst dreimal die Woche, daraus wurden aber bald mal vier-, später gar fünf- und sechsmal. «Ich brauchte immer mehr, ich liebe das Gefühl, über meine Grenzen zu gehen und schliesslich waren die Bodybuilding-Wettkämpfe ein optimales Ziel, um mir selbst etwas zu beweisen», sagt sie. Zudem sei auch das Thema Ernährung immer wichtiger geworden. Die Folgen von alledem: «Mein Selbstwertgefühl begann, immer mehr vom Bodybuilding-Lifestyle abhängig zu werden. Auf einmal konnte ich nicht mehr rational entscheiden, sondern ordnete alles dem Sport und der Ernährung unter. Ich war zeitweise wie fremdgesteuert.»

Sie nahm innert Tagen 20 Kilo zu

Ein Teufelskreis, der ihren Körper schnell einmal an die Grenze der Belastbarkeit brachte. Bär gab im Job 100 Prozent, danach im Training gar 120 Prozent. «Zudem achtete ich bis ins kleinste Detail akribisch auf die Ernährung, machte mehrere Diäten.» Sie habe sich sehr viel verboten, um endlich die für sie nötigen Muskeln aufzubauen und dabei möglichst geringen Fettanteil zu bewahren. «Es ging darum, die bestmögliche sportliche Version aus mir heraus zu holen.» Doch das Hungern und ihr ständiges Übertraining führten schliesslich zu Schlafstörungen. Und noch etwas machte der Sportlerin immer mehr zu schaffen: Sie litt – besonders nachts – unter Fressattacken, wie sie es selbst nennt.

«Man muss sich das so vorstellen, dass man komplett die Kontrolle verliert, man ist high, kann gar nicht mehr aufhören zu essen.» Sie habe in diesen Momenten dann alles in sich reingestopft, was sie gerade im Haus hatte, Schoggi, Guetzli, Glace und Pizza – und oft alles miteinander. Auf diese Art habe sie versucht, ihre Unzufriedenheit zu kaschieren. Manchmal habe sie tagelang einfach gegessen und das alles zeitgleich versucht, mit exzessiven Sporteinheiten zu kompensieren. Das Resultat: Die Aargauerin nahm so nach den Wettkämpfen innert einigen Tagen 20 Kilo zu – und später wieder ab. Ein Riesenstress für den Körper.

Alles stürzte wie ein Kartenhaus in sich zusammen

Fünf Jahre lang lebte Bär dieses extreme Leben, in dem sie sich auch zunehmend zu isolieren zu begann. «Ich nahm meine eigenen Mahlzeiten überall hin mit und mied soziale Anlässe öfters, dort ist man ja auch immer mit Essen konfrontiert.» Mit der Zeit forderte ihr ungesunder Lebensstil aber einen hohen Tribut: Ihre Leistung nahm überall rapid ab, im Büro, beim Sport, überhaupt im Alltag. «Ein Dominospiel: Das eine wackelt, dann das nächste, bis alles wie ein Kartenhaus zusammenstürzt.» 

Anfang 2018 ging dann gar nichts mehr. Samira Bär erlitt einen Zusammenbruch, wurde krankgeschrieben. Ein Arzt diagnostizierte bei ihr die Essstörung und schwere Depressionen, für deren Heilung sie in eine Klinik eingewiesen und in der Abteilung Psychosomatik und Esstörungen behandelt wurde. Sechs Monate verbrachte sie insgesamt in der Reha, habe dort unter anderem gelernt, wieder einen normalen Bezug zum Essen zu pflegen und sich nicht immer so krass zu verurteilen, sich auch mal etwas zu gönnen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.

Sie will jetzt Personal-Trainerin werden

Heute gehe es ihr deutlich besser, so Samira Bär weiter, sie sei aber nach wie vor in ambulanter Therapie. Den Sport wolle sie trotz allem, was passiert sei, nicht aufgeben. «Der ist und bleibt meine Leidenschaft», sagt sie. Sie habe aber einen anderen, gesünderen Bezug zum Ganzen erhalten, sei nicht mehr so streng zu sich. «Ich habe mich selber wieder wertschätzen gelernt, kann wieder eigene und sinnvolle Entscheidungen treffen. Und ich begann, meinen Körper wieder zu akzeptieren und spüren.»

Samira Bär will nun ihren Traumjob als Personal-Trainerin in Angriff nehmen – um so auch anderen helfen zu können, und als Vorbild zu fungieren. Sprich: Ihr Wissen zusammen mit dem Erlebten der Fitness-Community weitergeben. «Doch ich muss es langsam angehen, um das ganze weiterhin im Auge behalten zu können, und mein Arbeitspensum erst mit der Zeit kontinuierlich steigern.» Das Ganze habe krassere Folgen gehabt, als zunächst angenommen, sagt die Muskelfrau. «Aber: Never give up. Dieses Motto hat mich auch in meinen dunkelsten Tagen gerettet.»  (wyt)

«Süchtig», Donnerstags, ab 16. Mai 2019, 21.05 Uhr, SRF 1

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