«Ich glaube Janis wusste, dass seine Zeit gekommen ist»
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Donghua Li trauert:«Vor ein paar Tagen war Janis noch zu Hause»

Vor einem Jahr starb der Sohn von Donghua Li mit sieben Jahren
«Ich glaube Janis wusste, dass seine Zeit gekommen ist»

Donghua Li hat stets gestrahlt, pure Lebensfreude versprüht. Bis zum 20. August 2019. An dem Tag starb sein geliebter Sohn Janis (†7). Schmerz und Wut über den Verlust weichen bei Li immer mehr der Dankbarkeit.
Publiziert: 19.08.2020 um 22:26 Uhr
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Aktualisiert: 20.08.2020 um 10:50 Uhr
Flavia Schlittler

Der hellblaue Hase mit den Schlappohren und dem Lächeln liegt immer noch auf dem Bett des kleinen Janis (2012–2019), der heute vor einem Jahr plötzlich an einem unbekannten Krebs-Tumor verstorben ist. Sein Vater Donghua Li (52) konnte im Zimmer seines einzigen Sohns in diesen 365 Tagen nichts verändern, gar nichts. «Die ersten Wochen dachte ich immer, Janis kommt jeden Moment in die Wohnung, rennt in sein Zimmer und spielt. Nun weiss ich, dass dies nie mehr der Fall sein wird.»

Anfangs wusste der Olympiasieger im Pauschenpferd von 1996 nicht, ob er in seiner Eigentumswohnung in Adligenswil LU bleiben will. «Nun möchte ich das. Die Erinnerungen an meinen Sonnenschein Janis sind in jedem Winkel, ich fühle mich heute wohl hier in unserer Oase, es fühlt sich für mich nicht mehr nur traurig an.»

Lange wurde Donghua Li von offenen Fragen gequält

Die letzten Monate wurde der Schweiz-Chinese von vielen offenen Fragen gequält. «Weshalb musste mein Sohn so jung sterben, weshalb hat er die Tumore bekommen, weshalb er?»

Der Olympiasieger für die Schweiz von 1996 am Pauschenpferd schippert nun alleine auf dem Vierwaldstättersee.
Foto: Zvg
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Das Drama begann am 16. August 2019. Janis' Bauch war plötzlich ungewöhnlich geschwollen. Li war auf dem Weg mit ihm, der weder Schmerzen verspürte, noch ungewohnt unruhig war, notfallmässig zum Kinderarzt. Auf dem Weg dorthin habe Janis grosse Lust auf ein «Happy Meal» bei McDonald's gehabt, daher habe er einen Zwischenstopp eingelegt. Beim Arzt angekommen, folgte die sofortige Überweisung ins Kinderspital Luzern.

Ihm wurde viel erklärt, eine Erklärung bekam er jedoch nicht

Vier Tage lang wurde Janis Li untersucht, behandelt und biopsiert. «Ihm wurde unter Vollnarkose ein kleiner Schnitt in den Bauch gemacht. Festgestellt wurden bösartige Tumore in der Leber mit Ablegern in anderen Organen.» Diese wären gut behandel- und heilbar gewesen, versicherten dem besorgten Vater die Ärzte. Doch es kam anders. Am vierten Tag verlor Janis das Bewusstsein. Eine Herzmassage zur Wiederbelebung nutzte nichts, er starb.

Die Autopsie ergab, dass sein Bauch voller Blut war. «Mein Liebster ist nicht einfach nur an Krebs gestorben, sondern innerlich verblutet.» Das Ausmass der Tragik war für Donghua Li kaum auszuhalten. Er beschäftigte sich mit seinem Anwalt mit der Staatsanwaltschaft, die den Tod untersuchte, mit den medizinischen Berichten. «Mir wurde sehr viel erklärt, doch eine Erklärung bekam ich nicht.»

Hilfe und Kraft findet er in seinem Glauben

Hilfe und Kraft findet er in seinem christlich-buddhistischen Glauben. «In meinen Gebeten konnte ich Ruhe finden und neue Hoffnung schöpfen.» Eine Kraftquelle, die er mit seiner Tochter Jasmin (23) aus erster Ehe teilte. Sie schenkte ihrem Halbbruder noch den Schulthek mit einem kleinen Drachen, nur einen Tag vor seinem Tod, wäre Janis in die 1. Klasse gekommen.

«Jasmin hat auch sehr gelitten. Sie konnte sich die letzten Monate in ihrem Studium nicht mehr konzentrieren. Auch sie leidet immer noch stark. Wir sitzen oft zusammen, schauen uns Fotos und Videos von uns dreien an. Es sind Momente, wo wir uns stark als Familie spüren.»

Donghua Li, der stets strahlende, extrovertierte Turner, ist ruhig geworden. «Ich mache mir sehr viele Gedanken. Merke, wie meine Wut und Trauer immer mehr von Dankbarkeit abgelöst werden. Dass ich sieben Jahre lang meinen Engel Janis an meiner Seite haben durfte, ist ein Geschenk.»

Janis sass auf seinem blauen Stuhl, schaute zum Fenster hinaus

Beim Nachsinnen traten ihm folgende zwei Begebenheiten vor die Augen, an die er vorher nicht gedacht hatte. «Janis liebte es, viele Spielsachen um sich zu haben. Doch etwa zwei Wochen vor seinem Tod hat er all seine Legos, die er so liebte, und anderes in den Keller getan. Ohne das zu erklären», so Li, der ergänzt: «Und ein paar Tage später ging ich an seinem Zimmer vorbei. Er sass auf seinem kleinen blauen Stuhl, sah aus dem Fenster heraus und war dabei ganz ruhig. Etwas, das Janis so nie machte.»

Er fand das eine sehr spezielle Situation, die er aber nicht wertete, bis vor kurzem, als ihm diese Bilder wiederkamen. «Ich glaube, Janis spürte, dass seine Zeit gekommen ist.» Das Wegbringen der Spielsachen deutet Li als unbewussten Abschied von zu Hause.

Am heutigen ersten Todestag wird Donghua Li sein Grab besuchen. «Danach gehe ich mit meinem Boot auf den See», sagt er und ergänzt: «Auch daran habe ich sehr schöne Erinnerungen mit seinem Sohn. Er hat die Freiheit, die wir da verspürten, auch so genossen. Dann werde ich nach Hause gehen, mich in sein Zimmer setzen und in Gedanken mit meinem geliebten Janis sprechen.»

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