«Die Linken gefährden unsere Souveränität»
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Chiesa schiesst gegen Städter:«Die Linken gefährden unsere Souveränität»

1.-August-Rede von SVP-Präsident Chiesa im Faktencheck
Füttert das Land wirklich die Städte durch?

Die SVP will aus dem Stadt-Land-Graben politisches Kapital schlagen. Die Städte lägen dem Land auf der Tasche, behauptet Parteipräsident Marco Chiesa. Stimmt das?
Publiziert: 02.08.2021 um 19:23 Uhr
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Aktualisiert: 03.08.2021 um 08:32 Uhr
Lea Hartmann

Die SVP hat einen neuen Feind: die Städterinnen und Städter. «Die Politik der linken Städte ist Schmarotzer-Politik! Sie sind Weltmeister darin, das Geld auszugeben, das andere verdient haben», wetterte SVP-Präsident Marco Chiesa (46) in seiner 1.-August-Ansprache, die die Partei als Videobotschaft verbreitete. «Immer mehr» bezahle die Landbevölkerung «die Privilegien der Städte». Das, so Chiesa, werde die SVP nicht länger akzeptieren.

Der Ton des obersten SVPlers war ungewohnt scharf für eine Rede am Nationalfeiertag. Während Bundespräsident Guy Parmelin (61, SVP) an den nationalen Zusammenhalt appellierte, tat sein Parteipräsident das genaue Gegenteil. Und er ist nicht allein – die SVP hat sich den Kampf gegen die Städte für die kommenden Jahre auf die Fahne geschrieben.

Geber oder Nehmer?

Doch nicht nur deswegen sorgte Chiesas Rede ausserhalb der SVP für Kritik. Die Aussagen des Parteipräsidenten werden auch inhaltlich in Zweifel gezogen: Liegen die Städte dem Land wirklich so sehr auf der Tasche, wie die SVP das behauptet?

Liegen Städte wie beispielsweise Zürich dem Land so stark auf der Tasche, wie dies Chiesa behauptet?
Foto: Keystone
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Tatsächlich lässt ein Blick auf den nationalen Finanzausgleich eher den gegenteiligen Schluss zu. Unter den sechs Geber-Kantonen befinden sich mit Genf und Basel-Stadt zwei Stadtkantone. Mit Abstand grösster Beitragszahler ist der Kanton Zürich, in dem mit Zürich und Winterthur die grösste sowie die sechstgrösste Schweizer Stadt liegen. Die klassischen Nehmerkantone hingegen sind alles Landkantone.

Stadt/Land – Geteilte Schweiz?

Die Schweiz versteht sich nicht mehr so richtig. Warum? Und wie kann man das ändern? Die grosse Blick-Sommerserie zum Stadt-Land-Graben geht diesen Fragen aus verschiedenen Perspektiven auf den Grund.

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Unter dem Strich bleibt kaum etwas in der Stadt

Wichtiger ist aber, wie das Geld innerhalb der Kantone verteilt wird. Die SVP stört sich daran, dass die Städte in einigen Kantonen einen Extra-Beitrag für die sogenannten Zentrumslasten erhalten. Am meisten erhält die Stadt Zürich: Rund 400 Millionen Franken bekommt sie im nächsten Jahr als Entschädigung dafür, dass sie Aufgaben übernimmt, von der auch die Landbevölkerung profitiert. Beispielsweise für Theater, die auch Menschen vom Land besuchen. Oder für die Sicherheitseinsätze der Stadtpolizei bei Demos – auf denen etwa auch Corona-Gegner vom Land protestieren.

Unter dem Strich bleibt davon aber kaum etwas in der Stadt. Denn gleichzeitig zahlt Zürich 350 Millionen Franken in den sogenannten Ressourcenausgleich, der ärmeren Gemeinden zugutekommt. 2020 waren es am Schluss gerade einmal 17 Millionen Franken, die vom Land in die Limmatstadt flossen. 2018 zahlte Zürich innerhalb des Kantons sogar erstmals mehr als sie erhielt.

Verhältnismässig deutlich weniger Zentrums-Entschädigungen erhält die Stadt Bern von ihrem Kanton. Vergangenes Jahr waren es 64 Millionen Franken. 46 Millionen speiste sie zugunsten kleinerer Gemeinden in den Finanzausgleich ein.

«Offensichtlich, dass Städte höhere Lasten haben»

Lukas Rühli vom liberalen Thinktank Avenir Suisse sagt angesichts dieser Zahlen: «Die pauschale Aussage, dass das Land die Stadt finanziert, ist falsch.» Dass Städte gewisse Ausgleichszahlungen erhielten, sei sinnvoll. «Es ist offensichtlich, dass Städte erhöhte Lasten haben, weil sie viel mehr Aufgaben wahrnehmen müssen – auch fürs Umland», sagt Rühli.

Gegen die SVP-These spreche zudem allein die Tatsache, dass die meisten Städte im Vergleich zu den übrigen Gemeinden im Kanton eine überdurchschnittliche Steuerbelastung aufweisen würden.

Als ein weiterer Konter auf den Städte-Angriff der SVP könnten auch die Agrarsubventionen gebracht werden – 2,8 Milliarden Franken, die jedes Jahr zu den Bäuerinnen und Bauern auf dem Land fliessen. Rühli hält dies aber zu Recht für ein zweifelhaftes Argument. «Ich würde generell Abstand nehmen davon, Land und Stadt gegeneinander auszuspielen», sagt er.

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