5 Milliarden für Wiederaufbau
«Schweizer Firmen sollen Arbeitsplätze in der Ukraine schaffen»

Helene Budliger Artieda arbeitete sich von der Sekretärin zur Staatssekretärin hoch. Ein Gespräch mit der Seco-Chefin über Russland-Sanktionen, den Wiederaufbau der Ukraine – und Meerschweinchen als Delikatesse.
Publiziert: 12.05.2024 um 12:38 Uhr
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Aktualisiert: 12.05.2024 um 13:15 Uhr
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Raphael RauchBundeshausredaktor

Frau Staatssekretärin, Ihr Mann stammt aus Peru. Haben Sie schon einmal Meerschweinchen gegessen, das dort als Delikatesse gilt?
Helene Budliger Artieda:
Nein (lacht). Das erste Haustier in meinem Leben war ein Meerschweinchen.

Trinken Sie den Nationaldrink Pisco Sour mit rohem Eiweiss?
Ich trinke keinen Alkohol. Auf diplomatischen Empfängen stosse ich symbolisch an und nippe am Glas, aber es ist für mich kein Genuss.

Kommen wir zum Land des Wodkas: Bringen die Sanktionen gegen Moskau überhaupt etwas? Der russischen Wirtschaft scheinen sie nicht sonderlich wehzutun.
Russland befindet sich in einer Kriegswirtschaft. Auf den ersten Blick hat man das Gefühl, dass der Motor brummt. Auf den zweiten Blick sieht man, dass Russland Probleme in Bereichen hat, wo es auf westliche Technologien angewiesen ist. Klar, Moskau hat Alternativen. Aber trotzdem: Was würden wir denn sonst machen? Nichts tun ist keine Option.

Helene Budliger Artieda ist Chefin des Staatssekretariats für Wirtschaft.
Foto: Philippe Rossier
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Die Ukraine wünscht, dass in der Schweiz blockierte russische Gelder in die Ukraine fliessen.
Wir haben Vermögenswerte von 5,8 Milliarden Franken eingefroren sowie 17 Liegenschaften und Luxusgüter gesperrt, zum Beispiel Autos. In der Schweiz gibt es keine gesetzliche Grundlage, um Vermögenswerte definitiv einziehen zu können.

Und wie viel Geld der russischen Zentralbank liegt in der Schweiz auf Eis?
Rund 7,24 Milliarden Franken.

Die EU hat diese Woche beschlossen, mit den Zinserträgen aus den gesperrten Zentralbankgeldern Militärhilfe für die Ukraine zu finanzieren. Könnte die Schweiz hier nachziehen?
Der Bundesrat verfolgt die laufenden Arbeiten in der Europäischen Union und der G7 aufmerksam. Er wird seine Position unter Berücksichtigung der schweizerischen Rechtsordnung, des Völkerrechts und seiner aussenpolitischen Interessen festlegen. Dabei wird er sich auf die laufenden Arbeiten stützen und vor allem der spezifischen Situation der Schweiz Rechnung tragen, auch weil hiesige Zentralverwahrer im Gegensatz zu jenen der EU keine Gelder der russischen Zentralbank halten.

Der Concierge eines Zürcher Luxushotels erzählte der «Zeit», dass die Russen an der Bahnhofstrasse nicht weniger geworden seien, denn: «Die Russen checken mit aserbaidschanischen Pässen ein. Ein Herr Sergej Leskow heisst jetzt eben Leskovoglu.» Lassen sich Sanktionen so leicht austricksen?
Erst muss klargestellt werden, dass nur bestimmte russische Staatsangehörige sanktioniert sind. Viele der sanktionierten Personen sind global tätige Geschäftsleute. Von daher kann es zwar gut sein, dass einige von ihnen eine zweite Nationalität haben, sie unterliegen jedoch denselben Sanktionen wie Personen, die nur die russische Staatsangehörigkeit haben. Sie dürfen nicht in die Schweiz einreisen.

Die Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit betreibt wie das Seco Wirtschaftsförderung. Nervt es Sie, dass Deza-Direktorin Patricia Danzi in Ihrem Revier wildert?
Patricia wildert nicht, wir sind gute Kolleginnen und arbeiten beide für das gleiche Ziel. Unsere Aufgabengebiete sind gut abgesteckt und komplementär. Das Deza-Kompetenzzentrum für den Privatsektor betrifft ganz spezifische Bereiche wie den Gesundheitssektor in fragilen Kontexten ausserhalb des Seco-Auftrags.

Oder kommen Sie Frau Danzi ins Gehege? Hinter den Kulissen weibeln Sie dafür, dass von den fünf Milliarden für die Ukraine möglichst eine Milliarde an Schweizer Unternehmen fliesst.
Der Bundesrat hat dem EDA und dem WBF den Auftrag erteilt, ein Programm zu entwickeln, das dann noch verabschiedet werden muss. Es ist illusorisch zu denken, dass die Ukraine nur Geld braucht. Wir müssen den Privatsektor mit ins Boot holen. Schweizer Firmen sollen Arbeitsplätze in der Ukraine schaffen. So erhalten die Menschen eine Perspektive und der ukrainische Staat kann Steuereinnahmen generieren.

Welche Schweizer Branchen würden davon profitieren?
Besonders diejenigen, die bereits in der Ukraine sind und bis jetzt durchgehalten haben. Und selbstverständlich werden wir die Ukraine fragen, was sie für den Wiederaufbau benötigt.

Die Aufräumerin

Seit 1. August 2022 ist Helene Budliger Artieda (59) Staatssekretärin unter Guy Parmelin. Bei ihrer Einführung betonte sie, die einzelnen Seco-Bereiche besser verzahnen und sich für die KMU-Förderung sowie den Marktzugang in bedeutende Exportmärkte einsetzen zu wollen. Die ehemalige Diplomatin sammelte neben Erfahrungen in Ländern wie Thailand, Südafrika und Kuba unter anderen auch solche als Direktorin für Ressourcen im EDA. Sie hat das Eidgenössische Handelsdiplom und einen MBA-Abschluss von der Universidad Externado de Colombia in Bogotá (Kolumbien).

Seit 1. August 2022 ist Helene Budliger Artieda (59) Staatssekretärin unter Guy Parmelin. Bei ihrer Einführung betonte sie, die einzelnen Seco-Bereiche besser verzahnen und sich für die KMU-Förderung sowie den Marktzugang in bedeutende Exportmärkte einsetzen zu wollen. Die ehemalige Diplomatin sammelte neben Erfahrungen in Ländern wie Thailand, Südafrika und Kuba unter anderen auch solche als Direktorin für Ressourcen im EDA. Sie hat das Eidgenössische Handelsdiplom und einen MBA-Abschluss von der Universidad Externado de Colombia in Bogotá (Kolumbien).

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Nach dem Strassburger Klima-Urteil: Wo könnte das Seco klimafreundlicher werden?
Nachhaltigkeit ist im Seco ein Querschnittsthema und Bestandteil unserer täglichen Arbeit.

Warum fördert Ihre Exportversicherung dann eine Firma, die Gasturbinen exportiert?
Grundsätzlich versichert die Exportrisikoversicherung Serv nur erneuerbare Energien. Kohle und Torf sind ein absolutes No-Go. Bei Gaskraftwerken gibt es zwei Ausnahmen. Wenn eine Gasturbine Bestandteil eines Net-Zero-Planes ist, man also das Gas braucht, um ein Kohlekraftwerk aufzugeben. Die zweite Ausnahme besteht, wenn sich ein Land noch in einer starken Entwicklung befindet und auf Energie angewiesen ist.

Wäre es nicht sinnvoller, erneuerbare Energien zu fördern?
Das tut die Serv ja auch. Wir sind hierüber im ständigen Austausch – auch mit der OECD. Aber wir dürfen nicht alles verteufeln. Mir ist ein Beispiel bekannt, wo ein Land mit Gaskraftwerken seinen CO2-Ausstoss um 50 Prozent reduzieren konnte. Ich habe Mühe mit Doppelmoral. Nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Schweiz als Notlösung Öl- und Gasturbinen gekauft, um eine Stromkrise zu verhindern.

Ihre Karriere verlief wie im Bilderbuch: Sie haben im EDA als Sekretärin angefangen und sich zur Staatssekretärin hochgearbeitet. Was würden Sie einer jungen Frau raten? Fleiss allein reicht ja nicht im Leben …
Ich denke schon, dass Fleiss mich sehr weit gebracht hat. Ich war immer jemand, der Freude an der Arbeit hatte und vor schwierigen Aufgaben nicht zurückschreckte. Ich rate allen: Haltet die Hand hoch, wenn es schwierig wird – nur so macht man sich bemerkbar.

Hatten Sie schon mal mit einer toxischen Machokultur zu tun?
Natürlich! Ein Beispiel: Als Konsularbeamtin musste ich mich für die Interessen von Schweizer Gefängnisinsassen mit prekären Haftbedingungen einsetzen. Ich wusste: Wenn ich dem Gefängnisdirektor mit Paragrafen komme, dann habe ich verloren. Ich war damals noch sehr jung. Meine Strategie war, meinen Stolz hinunterzuschlucken und um Hilfe zu bitten.

Haben Ihre blonden Haare und blauen Augen in dieser Situation geholfen?
Ja, ich habe mich in dieser Situation bewusst für die Rolle der überforderten Blondine entschieden. Es hat funktioniert und den Betroffenen geholfen.

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