Der Innenminister versucht, die Rentenreform doch noch ins Ziel zu bringen
Berset auf Rettungstour

Die Abstimmung über die Rentenreform wird zur Zitterpartie. SP-Bundesrat Alain Berset gibt daher Vollgas und tritt in 16 Kantonen auf – zum Ärger der Reformgegner. Sie sprechen von Behördenpropaganda.
Publiziert: 27.08.2017 um 23:44 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 00:49 Uhr
Etappenorte von Bundesrat Alain Bersets Abstimmungsmarathon.
Foto: Ringier Infographics
Ruedi Studer

SP-Bundesrat Alain Berset (45) ist im Abstimmungsstress: Seine Rentenreform wird zur Zitterpartie. Mit einer Tour durch die Schweiz versucht er sein Mammutprojekt zu retten. Seit Mitte August tingelt der Sozialminister durchs Land. Morgen zum Beispiel tritt er in Schaffhausen für die Vorlage an, am Freitag in Steffisburg BE und nächste Woche in Volketswil ZH, Lausanne und Chur.

SP-Bundesrat Alain Berset im Abstimmungsstress: Der Sozialminister tourt durch die Schweiz, um dem Stimmvolk seine Rentenrefom zu erklären (Symbolbild).
Foto: Keystone

Aufgeschreckt durch die schlechten Umfrageergebnisse, setzt Berset seine Auftritte fast Schlag auf Schlag auf die Agenda. Insgesamt 17 Infoanlässe in 16 Kantonen listet sein Departement auf BLICK-Anfrage für August und September auf (siehe Karte). Und weitere Anlässe könnten hinzukommen. Das alles stemmt Berset neben zahlreichen Interviews, dem Auftritt in der Abstimmungs-«Arena» auf SRF und den offiziellen TV- und Radio-Ansprachen für die Romandie. 

Der rote Sozialminister führt damit einen der aufwendigsten bundesrätlichen Abstimmungskämpfe der letzten Jahre – öfter war wohl nur Ueli Maurer bei der Gripen-Abstimmung unterwegs.

SVP-Frehner: «Reine Behördenpropaganda»

Bersets Offensive stösst den Reformgegnern sauer auf. «Berset spürt sich nicht mehr und betreibt reine Behördenpropaganda», wettert SVP-Nationalrat Sebastian Frehner (43, BS). Anstatt objektiv und neutral zu orientieren, informiere er einseitig. «Seine inszenierten Auftritte gleichen einem abgekarteten Spiel, für das sich Organisationen wie etwa Pro Senectute gezielt einspannen lassen.»

Auch FDP-Ständerat Damian Müller (32, LU) ärgert sich über den SP-Bundesrat. «Sein Engagement bewegt sich in einer Grauzone und driftet immer stärker Richtung Behördenpropaganda», kritisiert Müller. «Berset versucht, mit dem Bundesratsbonus das Stimmvolk um den Finger zu wickeln.» Man merke, dass er unter Druck stehe. «Wenn die Reform überzeugend wäre, müsste er ja nicht so viele Auftritte machen. Aber die Vorlage hält eben nicht, was Berset verspricht.»

FDP-Ständerat Damian Müller (LU): «Berset versucht, mit dem Bundesratsbonus das Stimmvolk um den Finger zu wickeln.»
Foto: Keystone

SP-Levrat: «Den Leuten erklären, was auf dem Spiel steht»

Freude über das magistrale Engagement herrscht dafür bei SP-Chef Christian Levrat (47): «Es ist seine Aufgabe als Bundesrat, die Rentenreform zu erläutern. Das ist keine Propaganda.» Man habe schon bei der SP-Urabstimmung gemerkt: «Wenn man die Vorzüge der Reform erklärt, stimmen die Leute zu.»

Darum seien Berset, aber auch alt Bundesrätin Ruth Dreifuss, Gewerkschaftsbundpräsident Paul Rechsteiner oder Bürgerliche wie Ruth Humbel, Konrad Graber oder Christine Egerszegi in der Kampagne sehr stark engagiert. «Man muss den Leuten erklären, was auf dem Spiel steht: unsere AHV! Mit dieser Reform sichern wir die AHV für die nächsten Jahrzehnte.»

Die Reform bewege die Menschen stark und gebe viel zu reden, erklärt Bersets Sprecher Peter Lauener: «Es sind zwei wichtige, komplexe Vorlagen. Entsprechend hoch ist der Informationsbedarf.» Es sei denn auch die Pflicht des Bundesrats, «kontinuierlich, transparent und umfassend zu informieren, was Bundesrat Berset gerne tut – und das bei all seinen Vorlagen».

Zank um 70 Fr!

Er ist das Herzstück und zugleich der grosse Zankapfel der Rentenreform: Der 70-Franken-AHV-Zuschlag für Neurentner. BLICK erklärt, was es damit auf sich hat.

Worum geht es?

Mit der Rentenreform wird die AHV leicht ausgebaut. Ab 2019 werden die neuen AHV-Einzelrenten um 70 Franken monatlich erhöht. Die Mindestrente steigt damit von 1175 auf 1245 Franken, die Maximalrente von 2350 auf 2420 Franken.

Geichzeitig wird die Heiratsstrafe für Ehepaare gemildert. Heute bekommen diese nicht zwei volle Einzelrenten ausbezahlt, sondern erhalten höchstens 150 Prozent der maximalen Einzelrente. Dieser Plafond steigt mit der Reform auf 155 Prozent. Das heisst: Die maximale Rente für Ehepaare steigt von heute 3525 auf 3751 Franken.

Warum bekommen nur Neurentner den Zuschlag?

Mit der Reform soll das Rentenniveau aus AHV- und Pensionskassen-Rente insgesamt erhalten bleiben. Die 70 Franken mehr AHV sind als (Teil-)Ausgleich für tiefere Pensionskassen-Renten gedacht. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung fehlt in den Pensionskassen zunehmend Geld, um die Rentenversprechen einzuhalten. Deshalb soll der Mindestumwandlungssatz im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge ab 2019 schrittweise von heute 6,8 auf 6,0 Prozent im Jahr 2022 sinken.

Da von dieser Senkung nur Neurentner ab 2019 betroffen sind, erhalten auch nur diese den AHV-Ausgleichszustupf. 

Wer zahlt das Ganze?

Die 70 Franken mehr Rente werden über 0,3 Prozent zusätzliche Lohnabgaben bezahlt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen ab 2021 je 0,15 Prozent zusätzlich an die AHV abgeben. Ein Arbeitnehmer zahlt pro 1000 Franken Lohn also 1.50 Franken mehr an die AHV.

Insgesamt steigen die Ausgaben für die AHV kontinuierlich an. Im Jahr 2030 kostet der Zuschlag 1,4 Milliarden Franken. Bis dahin fliesst dank der Lohnprozente mehr Geld in die AHV-Kasse, als für den Zustupf benötigt wird. Danach wird der Saldo negativ (siehe Grafik). Dank der zuvor aufgebauten Reserven ist der AHV-Zustupf laut Bundesrat Alain Berset bis 2039 gedeckt.   

Weshalb ist er derart umstritten?

Den Reformgegnern aus SVP und FDP sind die 70 Franken ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass der Ausbau die AHV langfristig in den Ruin führt. Zudem geht ihnen die Finanzierung über zusätzliche Lohnprozente gegen den Strich. Einerseits aus ökonomischen Gründen, weil diese eine Belastung der Wirtschaft bedeutet. Anderseits aus ideologischen Gründen, weil die AHV eine Umverteilung von Reich zu Arm bedeutet. Gutverdiener bezahlen nämlich mehr in die AHV ein, als sie zurückerhalten.

Umgekehrt ist genau dieser Umverteilungsmechanismus von oben nach unten der Grund, weshalb die Linke den AHV-Zustupf befürwortet. Kleinere und mittlere Einkommen profitieren unter dem Strich stärker – damit verhältnismässig öfter Frauen, die im Alter einzig oder zumindest hauptsächlich auf die AHV-Rente angewiesen sind.

Für die CVP hingegen ist der höhere Ehepaar-Plafond ein wichtiges Element, wird dadurch doch die sogenannte Heiratsstrafe etwas abgemildert.

Bis 2030 fliesst dank der Lohnprozente mehr Geld in die AHV-Kasse, als für den Zustupf benötigt wird. Danach wird der Saldo negativ.
Bis 2030 fliesst dank der Lohnprozente mehr Geld in die AHV-Kasse, als für den Zustupf benötigt wird. Danach wird der Saldo negativ.
Ringier Infographics

Er ist das Herzstück und zugleich der grosse Zankapfel der Rentenreform: Der 70-Franken-AHV-Zuschlag für Neurentner. BLICK erklärt, was es damit auf sich hat.

Worum geht es?

Mit der Rentenreform wird die AHV leicht ausgebaut. Ab 2019 werden die neuen AHV-Einzelrenten um 70 Franken monatlich erhöht. Die Mindestrente steigt damit von 1175 auf 1245 Franken, die Maximalrente von 2350 auf 2420 Franken.

Geichzeitig wird die Heiratsstrafe für Ehepaare gemildert. Heute bekommen diese nicht zwei volle Einzelrenten ausbezahlt, sondern erhalten höchstens 150 Prozent der maximalen Einzelrente. Dieser Plafond steigt mit der Reform auf 155 Prozent. Das heisst: Die maximale Rente für Ehepaare steigt von heute 3525 auf 3751 Franken.

Warum bekommen nur Neurentner den Zuschlag?

Mit der Reform soll das Rentenniveau aus AHV- und Pensionskassen-Rente insgesamt erhalten bleiben. Die 70 Franken mehr AHV sind als (Teil-)Ausgleich für tiefere Pensionskassen-Renten gedacht. Aufgrund der steigenden Lebenserwartung fehlt in den Pensionskassen zunehmend Geld, um die Rentenversprechen einzuhalten. Deshalb soll der Mindestumwandlungssatz im obligatorischen Teil der beruflichen Vorsorge ab 2019 schrittweise von heute 6,8 auf 6,0 Prozent im Jahr 2022 sinken.

Da von dieser Senkung nur Neurentner ab 2019 betroffen sind, erhalten auch nur diese den AHV-Ausgleichszustupf. 

Wer zahlt das Ganze?

Die 70 Franken mehr Rente werden über 0,3 Prozent zusätzliche Lohnabgaben bezahlt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssen ab 2021 je 0,15 Prozent zusätzlich an die AHV abgeben. Ein Arbeitnehmer zahlt pro 1000 Franken Lohn also 1.50 Franken mehr an die AHV.

Insgesamt steigen die Ausgaben für die AHV kontinuierlich an. Im Jahr 2030 kostet der Zuschlag 1,4 Milliarden Franken. Bis dahin fliesst dank der Lohnprozente mehr Geld in die AHV-Kasse, als für den Zustupf benötigt wird. Danach wird der Saldo negativ (siehe Grafik). Dank der zuvor aufgebauten Reserven ist der AHV-Zustupf laut Bundesrat Alain Berset bis 2039 gedeckt.   

Weshalb ist er derart umstritten?

Den Reformgegnern aus SVP und FDP sind die 70 Franken ein Dorn im Auge. Sie befürchten, dass der Ausbau die AHV langfristig in den Ruin führt. Zudem geht ihnen die Finanzierung über zusätzliche Lohnprozente gegen den Strich. Einerseits aus ökonomischen Gründen, weil diese eine Belastung der Wirtschaft bedeutet. Anderseits aus ideologischen Gründen, weil die AHV eine Umverteilung von Reich zu Arm bedeutet. Gutverdiener bezahlen nämlich mehr in die AHV ein, als sie zurückerhalten.

Umgekehrt ist genau dieser Umverteilungsmechanismus von oben nach unten der Grund, weshalb die Linke den AHV-Zustupf befürwortet. Kleinere und mittlere Einkommen profitieren unter dem Strich stärker – damit verhältnismässig öfter Frauen, die im Alter einzig oder zumindest hauptsächlich auf die AHV-Rente angewiesen sind.

Für die CVP hingegen ist der höhere Ehepaar-Plafond ein wichtiges Element, wird dadurch doch die sogenannte Heiratsstrafe etwas abgemildert.

Mehr
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?