SRG-Präsident Jean-Michel Cina übt Selbstkritik
«Ja, wir haben Fehler gemacht»

Er kämpft mit Leidenschaft – denn es gehe um mehr als nur die SRG, argumentiert VR-Präsident Jean-Michel Cina (54). Warum bei einem Ja zu No Billag die Lichter bei der SRG «sehr schnell» ausgehen würden, wie die SRG die Jungen zurückgewinnen will und welche Nackten er niemals auf seinem Bildschirm haben will. Das grosse Livegespräch.
Publiziert: 29.11.2017 um 23:40 Uhr
|
Aktualisiert: 07.10.2018 um 13:29 Uhr
Interview: SermÎn Faki, Cinzia Venafro; Fotos: Karl-Heinz Hug

Bis zum 4. März will SRG-Präsident Jean Michel Cina (54) das Stimmvolk von einem Nein zu No Billag überzeugen. Gestern stellte sich der Walliser beim BLICK-Livetalk den Fragen von BLICK und BLICK-Lesern. Und verteidigte die SRG voller Leidenschaft.

BLICK: Herr Cina, No Billag bedeute No SRG, sagen Sie. Wieso?
Jean-Michel Cina:
Die Initiative ist klar: kein subventioniertes, kein gebührenfinanziertes Radio und Fernsehen mehr. Konzessionen müssten versteigert werden. Das heisst: Wir müssten die SRG bis zur Liquidation zurückfahren.

Glauben Sie so wenig an Ihr eigenes Produkt, dass Sie meinen, es hätte auf dem freien Markt keine Chance?
Überhaupt nicht! Aber ein rein werbefinanziertes nationales Radio- und Fernsehangebot ist einfach nicht möglich.

Die No-Billag-Initianten behaupten das Gegenteil. Sie sagen, die SRG mache einen guten Job. Und dafür werde es weiterhin einen Markt geben.
Wir glauben das nicht. Die Leute sind bereit, für Sport und Serien zu bezahlen. Für Kultur nicht.

Eine traurige Einschätzung der Schweizer Gesellschaft.
Man sieht es ja in den Printmedien, wo eine Gratismentalität entstanden ist. Doch diese «Ich bezahle nur, was ich konsumiere»-Einstellung ist nicht die Schweiz. Ich bin stolz, dass dank meiner Billag-Gebühren die Rätoromanen, die Italienisch- und Französischsprachigen das gleich gute Angebot haben. Diese solidarische Finanzierung ist das Gegenteil der Ich-Generation.

Aber Sie müssen doch einen Plan B haben?
Wir bereiten ein Szenario vor, wie die Betriebseinstellung laufen würde. Aber das ist kein Plan B, der davon ausgeht, dass es dann schon irgendjemanden geben wird, der zahlt, oder dass das Parlament eine Lösung finden wird. Wer das sagt, handelt unverantwortlich.

Wie lange würde es dauern, bis die SRG-Lichter ausgehen?
Sehr schnell! Ich rechne mit ein, eineinhalb Jahren.

Leser Marco: Warum soll ich auch noch Billag zahlen, wenn mir die SRG ständig Werbung aufdrängt?
Diese Diskussion über eventuelle Werbeeinschränkungen ist im Gange. Aber momentan sind wir auf die Werbeeinnahmen angewiesen. Und auf die Gebühren: Das ist ein Franken pro Tag – eine Briefmarke! Dafür bekommt man wirklich viel, finde ich.

Leserin Alexandra: Ich habe seit mehr als zehn Jahren keine SRG-Sendungen konsumiert. Denken Sie nicht, dass die SRG einfach nicht mehr zeitgemäss ist?
Wir sind zeitgemäss! Jemand, der zehn Jahre lang nichts von uns konsumiert hat, gehört zu einer kleinen Randgruppe. Denken Sie nur schon an die Übertragung der Spiele der Nationalmannschaft.

Würde man für die Spiele unserer Fussballnati bei einem Ja künftig bezahlen müssen?
Ja, das ist so. Wir könnten die Spiele unserer eigenen Mannschaft nicht mehr so sehen wie heute.

Leser Sandro: Wie wollen Sie Zuschauer zurückgewinnen?
Wir erreichen heute pro Woche 95 Prozent der Schweizer. Aber wir stellen fest, dass die Jungen sich weniger an den traditionellen Angeboten orientieren.

Haben Sie die Jungen vernachlässigt?
Nein, aber ihr Konsumverhalten hat sich verändert.

Wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass die SRG so wenig vom Volk getragen wird, sodass Sie jetzt Horrorszenarien an die Wand malen müssen?
Es ist kein Horrorszenario, sondern die Folge einer sehr radikalen Initiative, die in sich ein Fehlkonstrukt ist, aber ein so präzis formuliertes, dass uns kein Spielraum bleibt nach einem Ja.

Ist die SRG in den letzten Jahren nicht zu gross geworden? Braucht es über 1000 Mitarbeiter alleine im Tessin?
Es braucht so viele Mitarbeiter, damit die italienischsprachige Schweiz ein gleichwertiges Angebot erhält. Aber ich gebe zu: Wir haben sicher auch Fehler gemacht.

Zum Beispiel?
Es ist uns in den letzten Jahren zu wenig gelungen, aufzuzeigen, welche Leistungen wir für diese Gesellschaft erbringen. Beispielsweise für Sinnesbehinderte. Oder auf unser Korrespondentennetz hinzuwiesen, das News aus der Welt mit Schweizer Blick ermöglicht.

Jetzt reden Sie wieder von den Nachrichten. Aber wo ist der Service public bei einer Quizshow?
Wenn man das Publikum behalten will, müssen wir auch Unterhaltungsangebote machen. Aber ich gebe zu, dass wir die Swissness darin stärken müssen.

Leserin Nadine: Wo würden Sie sparen, wenn die Gebühren auf 200 Franken gesenkt würden?
Darüber stimmen wir nicht ab! Es geht nicht um eine Abmagerungskur, sondern darum, dass man uns die Grundsubstanz unserer Erträge wegnimmt.

Aber wo könnten Sie sparen?
Bei Anschaffungen von Material und bei Verwaltungsstrukturen. Jetzt sind wir bei zehn Prozent, da könnte man wohl noch runter.

Leser Chrigi: Wird die SRG ihr Online-Streamingangebot ausbauen?
Wir haben ein Pilotprojekt im Tessin, wo der zweite Sender nur noch per Streaming übertragen wird.

Konkret: SRF 2 in der Deutschschweiz nur noch im Internet – ist das ein Szenario?
Das ist ein Teil der Überlegungen, die wir machen. Das ist sehr hypothetisch. Das Pilotprojekt beschränkt sich wirklich nur auf das Tessin.

SRF-Prominente haben sich per Social Media in den Abstimmungskampf eingeschaltet. Ihre Mitarbeiter nutzen hier ihre Bekanntheit für Politik.
Wir haben ganz klare Weisungen rausgegeben: Die Leute sollen verhältnismässig erklären und keine Position beziehen. Sie dürfen keine Abstimmungsempfehlung geben und sich nicht in emotionale Diskussionen einmischen.

Das hat, gelinde gesagt, bedingt geklappt...
Ja, das stimmt. Es ist passiert, und das tut mir leid. Wir schauen, dass das nicht mehr passiert.

Die Initiative fordert, dass die Konzessionen versteigert werden. Wer wird sie kaufen? Ausländische Konzerne? Oder politisch interessierte Milliardäre?
Tatsächlich, ausländische Konzerne oder Privatleute mit ganz dickem Portemonnaie könnten mitsteigern. Dann würden wir die Unabhängigkeit verlieren.

Leser Michi: Wieso stellen Sie sich nicht den Wettbewerbsbedingungen und bieten das Programm auf dem Markt per Pay-TV an?
Nehmen wir das Tessin: Es wären horrende Beiträge, die die Tessiner bezahlen müssten. Ich habe es nicht selbst errechnet, aber ich habe Zahlen gesehen, die von 2000 Franken pro Haushalt ausgingen.

Leser Andy: Bezahlen Sie selbst Billag-Gebühren?
Ich bezahle, bald auch für meinen Sohn. Bei den Mitarbeitern ist es jetzt Teil von Verhandlungen, die wir mit den Gewerkschaften führen.

Gibt es eine Sendung der privaten Konkurrenz, auf die Sie neidisch sind?
Ich habe eine Sendung gefunden, da bin ich froh, dass wir sie nicht haben: Da irren nackte Menschen desorientiert auf einer Insel herum und suchen sich ihren Adam und ihre Eva. Das will ich nie bei uns.

Ihre Lieblingssendung?
Dort, wo ich die Schönheit der Schweiz spüre. Wenn Nik Hartmann wandert und Menschen im ganzen Land trifft, berührt mich das.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?