AHV-Experte Ulrich Grete beklagt Milchbüechli-Rechnung in der Rentendiskussion
«Sozialistische Schönwetter-Prognosen»

Ex-AHV-Präsident UIrich Grete (74) widerspricht Ex-Bundesrätin Ruth Dreifuss. Die AHV-plus-Initiative sei nicht finanzierbar.
Publiziert: 17.09.2016 um 20:41 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 23:50 Uhr
Ulrich Grete: «Es stimmt nicht, dass die Renten in der zweiten Säule generell sinken.»
Foto: NIK HUNGER
Guido Schätti

BLICK: Herr Grete, die AHV-plus-Initiative will die Renten um zehn Prozent erhöhen. Können wir uns das leisten?
Ulrich Grete: Nein, in der jetzigen Struktur nicht. Die Lebenserwartung steigt kontinuierlich, das Verhältnis zwischen Aktiven und Rentenbezügern verschlechtert sich zusehends. Das führt zu Löchern in der AHV.

Das wurde schon in der Vergangenheit behauptet. Dennoch blieb die AHV stabil. Die Kritiker haben immer unterschätzt, dass die höheren Löhne den Rückgang der Beitragszahler ausgleichen.
Wir reden heute über eine Rentenerhöhumg von zehn Prozent. Das ist eine Zusatzbelastung, welche die AHV nicht verkraftet. Es stimmt, dass die Prognosen in der Vergangenheit zu pessimistisch waren. Sie wurden übertroffen, weil wir konjunkturell viele gute Jahre hatten. Es gibt aber keine Garantie, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Man denke nur an die drohende Arbeitskräftebegrenzung durch die Masseneinwanderungs-Initiative. Das stimmt mich wenig optimistisch.

Die frühere Bundesrätin Ruth Dreifuss sagt, es liege im System der AHV, dass sich die Schere zwischen Lohn und Renten langfristig öffne. Deswegen brauche es von Zeit zu Zeit eine ausserordentliche Erhöhung der Rentenniveaus. Hat sie recht?
Nein, zum Grossteil nicht. Die Aussage, die AHV-Renten seien nie angepasst worden, ist falsch. Die Renten sind seit vielen Jahren an die Teuerung und die Lohnentwicklung gekoppelt. Frau Dreifuss vergisst auch, dass unser System der Altersvorsorge drei Säulen hat. Man muss die Summe anschauen, nicht nur eine Säule.

Ein gutes Stichwort: Die Renten der Pensionskassen schmelzen zusammen. Da macht es doch Sinn, die AHV zu erhöhen.
Es trifft nicht zu, dass in der zweiten Säule generell Lücken entstehen. Gerade Menschen, die in ihrem Arbeitsleben relativ wenig verdient haben, können mit stabilen Renten rechnen. Sie sind in der zweiten Säule im Obligatorium versichert. Dort gilt nach wie vor der Umwandlungssatz von 6,8 Prozent. Die reduzierten Umwandlungssätze gelten nur für den überobligatorischen Teil. Das sind Leute mit einem Jahreseinkommen von mehr als 84'000 Franken. Selbst für Schweizer Verhältnisse ist das ein gutes Einkommen.

Die Erhöhung der AHV-Rente um zehn Prozent wäre mit 0,8 zusätzlichen Lohnprozenten relativ günstig zu haben, sagt der Gewerkschaftsbund. Kommt hinzu, dass die Lohnnebenkosten in den letzten Jahren gesunken sind.
Natürlich sind in einigen Firmen die Lohnnebenkosten gesunken. Aber das ist noch lange kein Grund, dass man sie nun ohne sachlichen Zusammenhang wieder erhöht. Ich kann aber vor allem nicht nachvollziehen, wie die 0,8 Prozent reichen sollen, um eine zehnprozentige Rentenerhöhung zu finanzieren. Man muss davon ausgehen, dass das eine sozialistische Schönwetterprognose ist.

Was passiert aus Ihrer Sicht, wenn eine Mehrheit der Schweizer in einer Woche Ja stimmt?
Dann ist die Rentenreform 2020 von Bundesrat Berset tot. Der Nationalrat wird nicht mehr darauf eintreten. Das wäre sehr schlecht. Denn die Reform 2020 ist besser als AHV plus, weil sie nicht nur einen Teil abdeckt, sondern die Probleme der gesamten Altersvorsorge angeht. Das ist dringend nötig.

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