Alt Bundesrätin Doris Leuthard engagiert sich international für Regeln im Internet
«Weiter wie bisher geht es nicht»

Ein hochkarätiges Gremium hat im Auftrag der Uno über Regeln für die Digitalisierung diskutiert. Neben Melinda Gates und Alibaba-Chef Jack Ma mit an Bord: alt Bundesrätin Doris Leuthard.
Publiziert: 10.06.2019 um 23:01 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
Interview: Sermîn Faki

Die Bodenständigkeit hat sie nicht verloren: Während in New York ein Bericht zur Zukunft des Internets vorgestellt wird, putzt Doris Leuthard (56) daheim in Merenschwand AG Fenster. Dabei war die CVP-Politikerin eine von 22 Persönlichkeiten, die den Digitalisierungs-Report im Auftrag der Uno erstellt haben (siehe Box). «Es regnet grad nicht, und die schmutzigen Fenster haben mich schon lang geärgert», sagt die alt Bundesrätin, als BLICK sie anruft.

BLICK: Frau Leuthard, im letzten Sommer wurden Sie in das UN High-Level-Panel zur digitalen Kooperation berufen. Worum ging es dabei?
Doris Leuthard:
Seit einigen Jahren wird deutlich, dass die Welt in Sachen Digitalisierung etwas Orientierung braucht. Denn bei allen Möglichkeiten, die das Internet bietet, bergen die neuen Technologien auch Risiken - sei es, dass wir erst lernen mussten, was es bedeutet, wenn man seine privaten Fotos in sozialen Medien postet, sei es Hate Speech gegen Frauen oder gar Eingriffe in die Demokratie. 2017, als ich Bundespräsidentin war, habe ich gegenüber Uno-Generalsekretär António Guterres gesagt, dass sich die Uno diesen Fragen annehmen müsse.

Warum?
Die Staaten sind damit überfordert - die Digitalisierung ist ein globales Phänomen. Zudem: Wie will man mit den USA auf der einen und China auf der anderen Seite eine Lösung finden? Also war die Idee, unter dem Dach der Uno die Kräfte zu bündeln: Staaten, aber auch NGOs und Experten an einen Tisch zu holen.

Alt Bundesrätin Doris Leuthard ist überzeugt: Soll die Digitalisierung eine Erfolgsgeschichte bleiben, brauche es internationale Standards.
Foto: Keystone
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Gestern nun wurde der Bericht vorgestellt. Was ist das Ergebnis?
Wir brauchen keine neuen Regeln. Aber wir müssen sicherstellen, dass die Regeln, die wir in der analogen Welt haben, auch im Internet gelten.

Zum Beispiel?
Die Menschenrechte. Auch wenn Roboter oder Algorithmen Entscheidungen treffen: Der Mensch und seine Rechte müssen im Zentrum der neuen Technologien stehen. Am einfachsten und schnellsten können wir das sicherstellen, wenn sich die Tech-Giganten dazu verpflichten, bestimmte Standards einzuhalten.

Facebook, Google, Alibaba und Co. dürften keine Freude daran haben. Was haben denn Melinda Gates und Jack Ma - diese beiden Vertreter der Giganten habendas Panel geleitet - dazu gesagt?
Jack Ma und Melinda Gates sehen vor allem den Nutzen, den die Digitalisierung bringt - Arbeitsplätze und Wohlstand. Über die Risiken reden sie nicht so gern. Aber auch sie verstehen, dass ohne Regeln ein Vertrauensverlust droht. Die Menschen werden sich von der Technologie abwenden, wenn sie kein Vertrauen haben, dass die Unternehmen, die immer mehr Kontrolle über uns alle haben, damit keinen Schaden anrichten.

Was war Ihre Rolle in diesen Diskussionen?
Zu sagen: Weiter wie bisher geht es nicht. Gemeinsam mit anderen Europäern haben wir versucht, Werte wie Transparenz zu fordern. Zudem konnte ich als Schweizerin die Vorteile erklären, die es bringt, wenn man alle an Bord holt, so wie die Schweiz das immer tut - etwa in Vernehmlassungen.

Uno und die digitale Welt

Uno-Generalsekretär António Guterres (70) rief – und 22 Persönlichkeiten kamen zusammen. Als einzige Schweizerin auch alt Bundesrätin Doris Leuthard (56). Unter der Leitung von Melinda Gates (54), Ehefrau von Microsoft-Gründer Bill Gates (63), und Jack Ma (54), Gründer des chinesischen Internet-Konzerns Alibaba, diskutierten sie während neun Monaten darüber, was es braucht, damit alle Menschen der Welt von der Digitalisierung profitieren. Dabei ging es darum, jedem den Zugang zur digitalen Welt zu eröffnen, aber auch darum, Regeln aufzustellen, wie Menschenrechte, Sicherheit und Privatsphäre auch digital durchgesetzt werden können. Gestern wurde der Bericht veröffentlicht. In Zukunft sollen Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an konkreten Regeln arbeiten. Wie, ist noch offen. Im kommenden Jahr, zum 75. Geburtstag der Uno, soll eine Erklärung «für digitale Zusammenarbeit» verabschiedet werden. Als Standort für diese Initiative unter dem Dach der Uno ist auch Genf im Gespräch.

Uno-Generalsekretär António Guterres (70) rief – und 22 Persönlichkeiten kamen zusammen. Als einzige Schweizerin auch alt Bundesrätin Doris Leuthard (56). Unter der Leitung von Melinda Gates (54), Ehefrau von Microsoft-Gründer Bill Gates (63), und Jack Ma (54), Gründer des chinesischen Internet-Konzerns Alibaba, diskutierten sie während neun Monaten darüber, was es braucht, damit alle Menschen der Welt von der Digitalisierung profitieren. Dabei ging es darum, jedem den Zugang zur digitalen Welt zu eröffnen, aber auch darum, Regeln aufzustellen, wie Menschenrechte, Sicherheit und Privatsphäre auch digital durchgesetzt werden können. Gestern wurde der Bericht veröffentlicht. In Zukunft sollen Staaten, Wirtschaft und Zivilgesellschaft an konkreten Regeln arbeiten. Wie, ist noch offen. Im kommenden Jahr, zum 75. Geburtstag der Uno, soll eine Erklärung «für digitale Zusammenarbeit» verabschiedet werden. Als Standort für diese Initiative unter dem Dach der Uno ist auch Genf im Gespräch.

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Konnten Sie überzeugen?
Ja, wir haben uns gefunden. Doch man darf nicht vergessen: Die europäische Sicht ist gerade für Asiaten fremd. In Asien und Afrika stehen die wirtschaftlichen Aspekte viel stärker im Vordergrund, beziehungsweise dass man überhaupt Zugang hat zum Internet. Vertrauen, Sicherheit und Fairness im Internet interessieren dort weniger.

Als Sitz für das Uno-Internetgremium ist neben Den Haag und Helsinki auch Genf im Gespräch. Wie stehen unsere Chancen?
Mit seinen vielen internationalen Organisationen ist Genf prädestiniert. Aber das reicht nicht. Wir werden etwas bieten müssen. Zum einen eine gewisse Infrastruktur - etwa ein Gebäude, das die Organisation nutzen könnte. Aber wir werden auch inhaltlich zeigen müssen, dass die Schweiz der richtige Ort ist.

Wie?
Wir könnten zum Beispiel eigene Standards definieren. Oder in bestimmten Bereichen - digitale Gesundheitssysteme oder Weiterbildung etwa - mit Pilotprojekten vorangehen.

Im Moment ist die Schweiz aber nicht besonders innovativ: Technologien wie 5G oder die E-ID lösen Proteste aus. Ist das nicht ein Nachteil?
Die Nordeuropäer sind neuen Technologien gegenüber aufgeschlossener als wir. Aber man muss auch nicht naiv sein: Unsere Bevölkerung bringt zum Ausdruck, dass Vertrauen gut, Kontrolle aber besser ist. Es muss kein Nachteil sein, wenn wir uns interessiert zeigen, was mit unseren Daten passiert, und wir nicht einfach alles Google und Co überlassen wollen.

Waren Sie eigentlich dankbar für das Uno-Mandat? Sonst wäre Ihnen nach dem Rücktritt aus dem Bundesrat doch sicher langweilig gewesen?
(Lacht) Ein bisschen schon. Ich gebe zu: Die Umstellung vom grossen Arbeitspensum zur leeren Agenda war gross. Aber keine Sorge, mir geht es gut, und ich geniesse es, mehr Zeit für Freundinnen, den Garten und sogar fürs Fensterputzen zu haben.

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