Zustände «wie in einer Bananenrepublik»
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Strafverfahren wahrscheinlich:Rechtskommission hebt Laubers Immunität auf

Angesehene «FAZ» zieht über oberste Schweizer Richter her
Zustände «wie in einer Bananenrepublik»

Der mutmassliche Justizskandal um Treffen zwischen Bundesanwalt Lauber und Fifa-Präsident Infantino sei nur die Spitze des Eisbergs. Im Ausland blickt man erstaunt auf Schweizer «Verhältnisse wie in einer Bananenrepublik». Justizversagen sei politisch gewollt.
Publiziert: 23.08.2020 um 21:59 Uhr
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Aktualisiert: 23.08.2020 um 22:15 Uhr

Deutliche Worte der angesehenen «FAZ»: Der Umgang der Schweiz mit dem mutmasslichen Fifa-Skandal stösst auf Empörung. Der Justizskandal um den Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber (54) und seine Treffen mit Fifa-Präsident Gianni Infantino (50) «hat es an den Tag gebracht: An den obersten Gerichten der Schweiz», so ein deftiger Kommentar der Zeitung, «geht es drunter und drüber. Das Versagen ist politisch gewollt.»

Attacken aus Deutschland gegen die Fifa-Spitze sind nicht neu. Ungewöhnlich an diesem Angriff ist, dass der Schweiz Mauscheleien an höchsten Justizstellen vorgeworfen werden. An den obersten Schweizer Richtern wird kein gutes Haar gelassen. Die Fifa-Justizskandal sei nur ein Spiegelbild der Bananenrepublik-Verhältnisse im Land. Dem Land tue eine Justizreform dringend Not. Im Land würden «Verhältnisse wie in einer Bananenrepublik» herrschen, so Johannes Ritter, seit November 2014 «FAZ»-Korrespondent in der Schweiz.

Lauber und Infantino droht zwar Ungemach in der Schweiz. Der eingesetzte ausserordentliche Staatsanwalt Stefan Keller will den abtretenden Bundesanwalt und den Fifa-Chef wegen Amtsmissbrauch, Begünstigung und Verletzung des Amtsgeheimnisses vor Gericht bringen. Dass es überhaupt dazu gekommen sei, sei «an Peinlichkeit kaum zu überbieten» und lasse das «ganze Ausmass des Systemversagens der Schweizer Justiz erkennen».

Harsche Vorwürfe aus Deutschland zum Justizskandal um den abtretenden Bundesanwalt Lauber.
Foto: Keystone
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Selbst Juristen sprechen von Bananenrepublik

Es falle wie Schuppen von den Augen: die Schweiz als musterhafte Demokratie, wo die Justiz nicht gut und verlässlich als Säule des Rechtsstaates arbeiten. Inzwischen würden selbst Juristen von Zuständen wie in einer Bananenrepublik sprechen. Laut Bundesverwaltungsgericht hatte Lauber «vorsätzlich die Unwahrheit» gesagt, indem er sich nicht an ein erwiesenes Treffen mit Infantino am 16. Juni 2017 im Berner Luxushotel Schweizerhof erinnern konnte.

Mit den verleugneten Hinterzimmergesprächen zum Fifa-Korruptionskomplex habe Lauber nicht nur seine eigene Karriere selbsttätig beendet und seinen mit Abstand wichtigsten Fall vergeigt. Mehr noch: Auch an den obersten Gerichten der Schweiz gehe es «offenkundig drunter und drüber».

Nicht nur, dass das Bundesstrafgericht in Bellinzona in dem Prozess wegen der Vergabe der Fussball-WM 2006 nach Deutschland ein «aufreizendes Schneckentempo vorlegt». Wegen Verjährung ist das Verfahren inzwischen sowieso gescheitert, während das Gericht aufgrund interner Querelen in die Schlagzeilen geraten sei. Italienischsprachige Richter fühlten sich von deutschsprachigen gemobbt. Auch von Spesenexzessen und Sexismus sei die Rede.

Von Sesselklebern, zahnlosen Tigern, «Mandatssteuer»

Rücktritte nach Fehlern oder Fehlverhalten seien in der Schweiz höchst selten. Sesselklebern sei in öffentlichen Institutionen eher die Regel als die Ausnahme. Ähnlich sei auch die Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) «ein ziemlich zahnloser Tiger. Das ist politisch so gewollt: Man will den heimischen Banken nicht weh tun».

Gerade bezüglich Richterwahl: Diese werde von Parteiinteressen dominiert. Die gutdotierten Posten an den obersten Schweizer Gerichten werden analog zur Sitzverteilunng der Parteien im Nationalrat und Ständerat vergeben. Entscheidend sei «das Parteibuch der Kandidaten, nicht deren Fachkompetenz». Die Wiederwahl nach sechs Jahren sei wieder parteigebunden. Von Unabhängigkeit dieser Richter könne keine Rede sein, wovon auch ihre finanzielle Abgabe, die sogenannte «Mandatssteuer», zeuge, die Richter gleichsam als Dank Jahr für Jahr an ihre jeweilige Partei zu überweisen hätten.

Reform tue not, urteilt das angesehene Blatt. Weder hätten Regierung noch Parlament ein Interesse daran, etwas zu ändern. Doch es gebe Hoffnung. Eine Volksinitiative zur Entpolitisierung der Richterwahl wurde lanciert. «Stimmten die Schweizer zu», schliesst der «FAZ»-Kommentar, wäre dies ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg, das einer Demokratie unwürdige Systemversagen der Schweizer Justiz zu bekämpfen. (kes)

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