Anstellungsmodell für Private gerät in die Kritik
Firmen kassieren, wenn Angehörige pflegen

Wenn die kranke Mutter von einem Familienmitglied gepflegt wird, kann es sich über die Spitex oder einer privaten Organisation anstellen lassen und bekommt einen Lohn ausbezahlt. Im Parlament sorgt dieses Vorgehen für Kritik.
Publiziert: 31.05.2023 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 31.05.2023 um 14:30 Uhr
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Tobias BruggmannRedaktor Politik

Kenny Kunz (31) hat es am eigenen Leib erfahren: Seine Mutter musste zuerst den Opa, dann ihn selbst pflegen. Zu Hause, ohne Hilfe von Spitex oder ähnlichen Organisationen. So geht es vielen.

Ist die Mutter alt und gebrechlich, oder das Kind körperlich behindert, pflegen oftmals die Angehörigen. Viele davon gratis. Sie reduzieren ihr Pensum im angestammten Job, um zu helfen. Einbussen beim Lohn und in der Altersvorsorge sind die Folge.

Wenn Angehörige ihre Familienmitglieder pflegen, können sie sich bei einer Firma anstellen lassen. So bekommen sie einen Lohn.
Foto: keystone-sda.ch
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Kunz wollte helfen, und gründete Asfam. Die private Organisation stellt pflegende Angehörige an. Wenn also die Mutter gepflegt wird, bekommt der Sohn einen Arbeitsvertrag und Lohn. Die Firmen dahinter verrechnen dann wiederum den Krankenkassen und dem Staat die Pflegeleistungen weiter. Auch bei der Spitex sind solche Anstellungen möglich.

Hohe Margen

Ein erfolgversprechendes System, könnte man meinen. Doch es gibt Stolpersteine. Im Parlament kritisiert unter anderem der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann (66) die ungleiche Verteilung der Gelder. «Die privaten Firmen kassieren den wesentlichen Teil der Einnahmen und zahlen den angestellten Familienangehörigen nur einen kleinen Teil aus.» Das sei stossend.

In eine ähnliche Richtung argumentiert Mitte-Nationalrat Benjamin Roduit (60). «Diese Firmen müssen weder für den Transport der Angehörigen aufkommen, noch Ausbildungskosten übernehmen. Darum ist es unfair, wenn sie so viel mehr Geld bekommen.» Auch Mitte-Nationalrat Lorenz Hess (61) ist skeptisch. «Dass Angehörige ihre Verwandten pflegen, ist eigentlich der Idealfall. Es darf aber nicht sein, dass sie als Scheinangestellte benutzt werden», sagt Hess. Sie haben deshalb im Parlament Vorstösse eingereicht.

Tatsächlich zahlt Kunz' Asfam den Angehörigen einen Bruttolohn von 34.30 Franken pro Stunde. Bezahlt wird die sogenannte Grundpflegeleistung: Also Hilfe beim Essen, Trinken, Waschen und Ankleiden. Von der Krankenkasse und dem Staat bekommt Asfam aber 52.60 pro Stunde – wobei die Beiträge je nach Kanton variieren können. «Wir brauchen das zusätzliche Geld. Mit der Marge finanzieren wir unsere Infrastruktur und stellen diplomierte Pflegekräfte an, welche die Qualität sicherstellen», sagt Kunz.

Sorgen um Qualität

Dazu kommen die Sorgen um die Qualität der Pflege. «Die Qualitätssicherung ist zu wenig geregelt», sagt Hess. Mitte-Nationalrat Roduit schlägt vor, dass die Angehörigen einige Stunden Grundbildung erhalten sollen. «Wir dürfen keine grossen Hindernisse schaffen.»

Wer sich bei der Spitex anstellen lässt, muss mindestens einen Kurs in Pflegehilfe besuchen. Auch bei Kunz' Asfam ist das so. Die Angehörigen werden bei der Pflege kontrolliert. «Jede Person, die Pflege benötigt, ist einer ausgebildeten Pflegefachperson zugeteilt. Diese hat mindestens alle zwei Wochen Kontakt mit der Familie», sagt Kunz. Diese Vorgaben hat das Bundesgericht gemacht.

Spitex trägt Verantwortung

Bei der Spitex sieht man ob der Anstellungs-Lösung Chancen und Risiken. «Die Angehörigen leisten in der Pflege von Angehörigen unglaublich viel», sagt Co-Geschäftsführer Cornelis Kooijman (48). Dennoch entscheidet jede Spitex-Organisation autonom, ob sie pflegende Angehörige anstellt oder nicht. «Ein Vorteil ist, dass die Spitex nahe dran ist und erfährt, wenn pflegende Angehörige an ihre Grenzen stossen.» Aber: «Wichtig ist, dass die Pflege entsprechend den Anforderungen der Spitex erbracht werden kann, weil wir dafür letztlich die Verantwortung tragen.»

Der Bundesrat kündigt als Antwort auf die Vorstösse einen Bericht an, um die Praxis zu analysieren. Die hohen Margen der Firmen sieht er nicht als Problem an.

Klar ist auch: Der Pflegenotstand in der Schweiz ist akut. Schon heute leisten die Angehörigen viel, hier sind sich auch die Politiker einig. «Dass diese im Rahmen von Arbeitsverträgen eine minimale Entschädigung für ihre Leistungen erhalten, trägt aber nicht wirklich zur Verbesserung der eigenen Situation bei», sagt Germann.

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